Bund trödelt bei Bestellungen
Bleibt Schweizern das Nachsehen bei Corona-Impfung?

Schweizer könnten leer ausgehen, wenn erste Corona-Impfstoffe zugelassen sind und Länder mit der Impfung ihrer Bevölkerungen beginnen. Beim Wettlauf der Europäer um den begehrten Impfstoff liegt die Schweiz abgeschlagen zuhinterst.
Publiziert: 20.09.2020 um 04:04 Uhr
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Aktualisiert: 21.09.2020 um 07:23 Uhr
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Schweizer könnten zunächst leer ausgehen im Rennen um einen Corona-Impfstoff.
Foto: AFP

Noch immer ist nicht klar, welcher Pharmakonzern weltweit den Zuschlag für das erste ausreichend getestete und wirksame Impfmittel gegen Covid-19 erhält. Die Schweiz hat dabei früh auf ein aussichtsreiches Projekt gesetzt: jenes des US-Biotechunternehmens Moderna. Der Bund sicherte der Schweiz 4,5 Millionen Dosen. Doch während Pharmamultis in China und anderen Ländern Fortschritte bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen melden, hängt die Schweiz grösstenteils von der Zulassung des Moderna-Mittels ab.

Die Produktion des Impfstoffs sei in den USA bereits in grossem Rahmen aufgenommen worden, berichtet die «NZZ am Sonntag». Moderna sei dabei auf den Produktions-Spezialisten Lonza angewiesen, um zügig und in grosser Menge ­liefern zu können. «Wir fangen jeweils im grossen Stil an zu produzieren, bevor Ergebnisse der klinischen Tests der abschliessenden Phase vor­liegen», so Sprecherin Sanna Fowler. Wegen der Pandemie werde alles beschleunigt. Da bald eine weite­re Produktionslinie im Wallis dazukommen werde, wurden 200 Mitar­bei­ter eingestellt.

Moderna und Lonza scheinen zuversichtlich, dass die Zulassung in absehbarer Zeit erfolgt. Falls nicht, droht die Schweiz eine impfstofffreie Insel mitten in Europa zu bleiben, wie die «SonntagsZeitung» meldet. Nachbarländer würden sich breiter absichern, während sich Bundesbern auf das Moderna-Mittel zu konzentrieren scheint. Demnach habe die Europäische Union für ihre Mitgliedsländer bereits 300 Millionen Impfstoffdosen gesichert. Einzelne EU-Staaten setzen auch nicht auf nur ein Vakzin-Projekt, sondern machen zugleich eigene Vorbestellungen bei verschiedenen Anbietern. Dies für den Fall, dass klinische Tests für ein Impfmittel scheitern oder mehrere Impfungen pro Person benötigt werden.

Lonza vermittelte dem Bund den Moderna-Deal

Die Schweiz hat sich zu einem frühen Zeitpunkt für den genbasierten Moderna-Impfstoff entschieden, den der Chemie- und Pharmakonzern Lonza in seinem Walliser Werk in Visp herstellen wird. Lonza vermittelte den Deal. Indem sich der Bund für die ersten Lieferungen entschloss, droht jetzt das Nachsehen, wenn ein anderer wirksamer Impfstoff schneller auf den Markt kommen sollte – oder das Lonza-Mittel scheitert.

Demnach liege die Schweiz mit ihren Vorbestellungen auf dem letzten Platz der reichen Länder, während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weitere Vorbestellungen Woche um Woche hinauszögere.

«Die Schweiz wirkt ziemlich passiv, und man hat den Eindruck, die Verantwortlichen möchten zuerst mal schauen, welche Impfstoffe Erfolg haben, bevor sie bestellen, was eine recht riskante Politik ist», wird Thomas Cueni zitiert, Direktor der internationalen Vereinigung der forschenden Pharmaunternehmen. «Das Abwarten könnte zur Folge haben, dass die Schweiz sich im nächsten Jahr wird gedulden müssen, an einen Corona-Impfstoff zu kommen, denn die Kapazitäten sind beschränkt», warnt Cueni.

Impfstoff-Versorgung erst 2023 gedeckt

Aus dem BAG verlaute gemäss der Zeitung, dass die Evaluation im Gang sei. Einen Zeitplan gebe es nicht, doch man sei, «zuversichtlich, dass wir der Bevölkerung einen zeitgerechten Zugang zu einem Impfstoff gewährleisten können». Laut «NZZ am Sonntag» stehe der Bund seit Monaten in engem Kontakt mit den zuständigen Stellen der EU.

Das BAG hat zudem auch einen Reservationsvertrag mit dem Schweizer Start-up Molecular Partners unterzeichnet. Dieses handelte bereits einen ähnlichen Vertrag mit den USA aus. Das BAG entschied sich zu einem Beitrag in einstelliger Millionenhöhe, weil Fragen aufgekommen wären, wenn das Biotech-Unternehmen mit Sitz in Schlieren ZH bei einem Erfolg sein Mittel zuerst in die USA liefern würde und Schweizer leer ausgingen.

Cueni zufolge dürfte es drei Jahre dauern, bis genügend Kapazitäten geschaffen sind, um die weltweite Nachfrage nach Covid-19-Impfstoffen zu decken. Dies ist der Grund, weshalb reiche Industrienationen gleich mehrere Vorbestellungen bei Pharmakonzernen abschliessen. Damit sichern sie sich das Recht, die Mittel als erste zu erhalten. Gleichzeitig finanzieren sie Entwicklung und Produktionskette. Risiko bleibt, die Vertragsgebühr zu verlieren, wenn ein Projekt scheitert. (kes)

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