Brutaler Lieferketteneffekt
Trumps Zollhammer trifft Schweizer KMU besonders hart

Schweizer KMU verlieren nicht nur ihre amerikanischen Kunden, sondern fliegen auch aus den Lieferketten von Schweizer Grosskonzernen. Eine neue Umfrage warnt vor «potenziell existenzbedrohenden Folgen».
Publiziert: 31.08.2025 um 20:14 Uhr
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Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin nach einem Treffen mit US-Aussenminister Marco Rubio.
Foto: Getty Images

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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Nicola Tettamanti (38) ist der Chef von Tecnopinz, eines kleinen Industrieunternehmens mit 50 Beschäftigten im Tessin. Von Mezzovico-Vira unterhalb des Monteceneri liefert das Familienunternehmen Präzisionsmechanik in die ganze Welt. Für das laufende Jahr wollte Tettamanti die Exporte in die USA deutlich steigern, budgetiert war eine Erhöhung von fünf auf sieben bis acht Prozent. Doch seit April verkauft er nichts mehr in die Staaten. Und seit dem 1. August ist alles nochmals unsicherer geworden.

Ein «Slap in the face» seien die Zölle, die Donald Trump gegen die Schweiz erhoben habe, sagte der Tessiner dem «Wall Street Journal» – ein Schlag ins Gesicht.

Tettamanti, der perfekt Schweizerdeutsch spricht, ist Präsident des Verbands Swissmechanic, der die KMU der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie vertritt. Der Verband ist quasi der kleine Bruder von Swissmem, dem mächtigen Branchenverband, der die ganz grossen Firmen wie ABB, Bühler, Georg Fischer oder Schindler repräsentiert. Die beiden Verbände vertreten Unternehmen aus derselben Branche – die aber völlig unterschiedlich betroffen sind vom Zollhammer.

ABB-Aktie legte sogar zu

Die grossen Industrieunternehmen haben die Folgen bisher kaum gespürt. Die Aktienkurse sind nicht gefallen, wie sie es müssten, wenn man von sinkenden Erträgen ausgeht. ABB und Schindler etwa haben im August sogar leicht zugelegt. Warum sind die Kurse nicht eingebrochen? Technologie-Konzerne sind international aufgestellt und verfügen über Werke in den USA, Europa und Asien. Sie können schnell umlagern und ihre Lieferketten anpassen.

ABB etwa betonte ihren hohen Produktionsanteil in den USA. Und der Spritzenhersteller Ypsomed hat entschieden, die für die USA bestimmten Injektionspens in Deutschland zu produzieren und dafür die europäische Produktion in die Schweiz zu verlagern. Alles kein Problem also? Das Onlinemagazin «Republik» jedenfalls schrumpfte den Zollhammer zu einem «Zollschöckli», zu einer Petitesse, einem leichten Ärgernis für eine Branche, die längst gelernt habe, in Krisenzeiten zu wirtschaften. Nichts weiter als «daily business». Als Beleg besuchten die Reporter die Fertigungshallen von Phoenix Mecano in Stein am Rhein.

Ausgerechnet. Zwar wirkt das Unternehmen aus der Schaffhauser Provinz auf den ersten Blick tatsächlich wie ein leicht verwundbares Schweizer KMU. In Wahrheit aber ist Phoenix Mecano ein an der Börse gelisteter internationaler Konzern mit 7000 Mitarbeitenden und Produktionsstandorten rund um den Globus. Für grosse Industrieunternehmen eröffnen Zölle sogar Chancen – vorausgesetzt, sie agieren klug. Durch eine gezielte Verlagerung der Produktion und optimierte Einkaufsstrategien könnten sie ihre Margen nicht nur stabil halten, sondern womöglich sogar ausweiten. Die jüngste Kursentwicklung an der Börse legt zumindest eine solche Interpretation nahe.

«Die Einschätzung, dass Zölle bislang kaum Auswirkungen auf börsenkotierte Grossunternehmen haben, mag aus Sicht der Finanzmärkte zutreffen», sagt Tettamanti. «Doch für die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir als Swissmechanic vertreten, ist die Realität eine andere.» Kleine Unternehmen haben diese Möglichkeit nicht. Sie produzieren in der Regel in der Schweiz und exportieren von hier aus in die ganze Welt. «Oder sie sind Zulieferer für grössere Schweizer Konzerne», sagt er.

Tettamanti benennt damit ein zweites Problem: Die Vorprodukte, die ein kleines Schweizer KMU bisher einem grossen Industriekonzern geliefert hat, kann dieser austauschen und durch Ersatzprodukte eines Herstellers aus einem Land beziehen, das nicht so stark von den Zöllen betroffen ist. Es handelt sich um einen bisher wenig beachteten nachgelagerten Effekt der brutalen Zölle von Donald Trump.

Unterschätzter Lieferketteneffekt

Zwar mögen einige Schweizer KMU-Industrieunternehmen in ihren Nischen kaum Konkurrenz haben und bleiben damit nicht ersetzbar. Doch nicht alle sind kleine globale Champions. Viele Schweizer Betriebe konkurrieren mit Produzenten aus Norditalien, Deutschland oder Polen. Genau vor einem solchen Phänomen warnt auch Tettamanti.

«Besonders besorgniserregend ist die Situation für KMU, die in der Lieferkette grösserer Exportunternehmen stehen – sei es in der Schweiz oder im EU-Raum», sagt er. Swissmechanic hat in dieser Woche eine Blitzumfrage bei seinen Mitgliedern durchgeführt. Das Ergebnis: «Wir beobachten erste Anzeichen, dass Produktionsketten überdacht und vereinzelt auch neu aufgestellt werden. Zwar ist das im Moment noch keine flächendeckende Entwicklung. Aber die Gefahr, dass kleinere Schweizer Industrieunternehmen mittelfristig aus den Lieferketten fallen, ist real. Für viele KMU könnte das existenzbedrohend sein.»

Für solche Unternehmen bricht damit nicht nur das USA-Geschäft ein, sie verlieren auch ihre Kunden in der Schweiz und in Europa. Über ein Drittel der exportierenden Betriebe sehen den Werkplatz Schweiz durch die Zölle bereits geschwächt, ergab die Umfrage weiter. Die Politik sei jetzt gefordert, sagt der Verbandspräsident Tettamanti. «Unsere Mitglieder wünschen sich klare handelspolitische Signale und eine stärkere Positionierung der Schweiz gegenüber den USA. Eine vorausschauende, handlungsfähige Wirtschaftspolitik ist zwingend notwendig, um dem Werkplatz Schweiz Perspektiven zu bieten.»

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