BLICK bei den Obdachlosen am Flughafen
Vor Mitternacht beginnt der Kampf um die Schlafplätze

Endstation Flughafen: Ein Dutzend Obdachlose fühlen sich hier wie zu Hause. Im Winter sind es noch viel mehr. Unterwegs durch die Nacht mit einer Patrouille der Sip Züri.
Publiziert: 21.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:02 Uhr
Eine Gruppe von Obdachlosen bei den Holztischen im Airport-Center des Flughafen Zürich. Gegen 2 Uhr schlafen die meisten.
Foto: THOMAS LUETHI / HEG
Ulrich Rotzinger

Tagsüber tarnen sie sich als Reisende. Koffer und Plastiktaschen sind verstaut auf einem Gepäckwagen. Die Jacke hängt ordentlich darüber. Stundenlang sitzen sie inmitten der Menschen. Sie sind keine Punks, Wegelagerer oder Kriminelle.

Rasiert und frisiert, saubere Kleidung – einzig die vom Wetter gezeichnet Haut ihrer Gesichter und hin und wieder eine Alkoholfahne verrät ihr Leben ohne ein festes Dach über dem Kopf.

«Die Randständigen vom Flughafen Zürich sind tatsächlich ein anderer Schlag von Obdachlosen», sagt Mithat Foster. «Sie sind eher gepflegt und fallen darum unter den Reisenden kaum auf.» Der Sozialpädagoge und sein Kollege Roman Puorger nehmen BLICK mit auf Nacht-Patrouille. Sie sind bei der Sip Züri angestellt. Sip steht für «Sicherheit, Intervention, Prävention». Ein bis drei Mal pro Woche, wenn die letzte Maschine gegen 23 Uhr abhebt, beginnt ihre Nachtschicht.

Ständige Notschlafstelle für ein Dutzend Personen

Rund 12 Personen zwischen 25 und 70 Jahren nutzen den Flughafen als ständige Notschlafstelle. Manche leben hier schon seit einem Jahrzehnt. Die Hälfte sind Schweizer, die anderen kommen aus Deutschland, Österreich oder Italien. Sie haben meist eine Aufenthaltsbewilligung, weiss Foster.

Vor Mitternacht beginnt der Kampf um die besten Schlafplätze. Zum Beispiel beim Abflug 2, unweit der Swiss Arrival Lounge für Vielflieger oder bei den Holztischen im Airport-Center beim Busbahnhof.

Fussschweiss bringt Obdachlose auf die Palme

Plötzlich droht die Lage zu eskalieren. Zwei Rumänen mit Akkordeon – offenbar Wandermusiker – haben Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Fussschweiss breitet sich aus – mit der schwülwarmen Luft ein toxisches Gemisch.

«Das ist ja nicht zum Aushalten, eine Katastrophe», schimpft eine adrett gekleidete, magere Schweizerin in den Fünfzigern. Sie kommt von den Toiletten, wo sie sich für die Nacht parat gemacht hat. Dann stürmt sie auf eine Patrouille der Flughafen-Sicherheit zu. «Die Dame lebt schon lange hier. Sie verhält sich so wie in ihrer eigenen Wohnung», sagt Psychologe Puorger.

Die Flughafen-Polizei checkt die Personalien der beiden Osteuropäer und schickt einen zu den Toiletten. Die ältere Dame lassen sie in Frieden ihren Schlafplatz einrichten.

Warum ist der Flughafen Endstation?

Wie viele andere der gut zwei Dutzend Obdachlosen in dieser Nacht, will die Dame nicht mit BLICK sprechen. Was ist in ihrem Leben passiert, damit sie an diesem Ort hängen blieb? Und warum ist ausgerechnet der Flughafen zu ihrer Endstation geworden?

Foster selbst kennt nicht jede Lebensgeschichte. «Bei den meisten ist irgendwann das Geld ausgegangen. Bei manchen kam dann der Alkohol dazu.» Hier im Flughafen fühlen sich die Obdachlosen sicher. «Und wenn einer aufs WC muss, schaut die Gruppe auf das Gepäck», sagt Foster. Es ist warm, es gibt Schliessfächer und saubere Toiletten für die «Katzenwäsche».

Mit der ständigen Berieselung durch Kaufhaus-Musik und dem Neonlicht rund um die Uhr haben sie sich offenbar arrangiert. Zumindest sind in dieser Nacht keine Klagen darüber zu hören.

Obdachlose können Gemeinde Kloten Kosten verursachen

Wie in den anderen Nächten kontrollieren Foster und sein Kollege jede Ecke der Terminals. Sprechen den einen oder anderen an. «Wir versuchen, die Leute mit den Sozialämtern ihrer Heimatgemeinde zu vernetzen.» Dies sei auf freiwilliger Basis. «Zwingen können wir sie nicht», sagen Puorger und Foster. Ihr Auftraggeber ist die Standortgemeinde Kloten. Sie muss dafür aufkommen, wenn ein Obdachloser ohne bekannten Heimatort etwa Arztkosten verursacht und diese nicht zahlen kann.

Im Andachtsraum beim Swiss-Check-in stossen die Sip-Männer auf Marco. Der Italiener mit B-Bewilligung ist vor einem halben Jahr am Flughafen gestrandet. Er hat kein Geld mehr, klaute Lebensmittel und sass dafür ein. Marco hat Angst vor dem Alkohol, hält sich darum von den Obdachlosen-Gruppen fern. Durch Foster erfuhr er nun, dass er Recht auf Sozialhilfe hat. Ein Termin bei der Stadt Zürich wird vereinbart. Ob Marco ihn einhalten wird?

Eine «Airport-WG» soll es nicht mehr geben

Das Flughafen-Management duldet die Obdachlosen, wenn sie sich an die Hausordnung halten: «Solange die Leute sauber sind, nicht stehlen oder Passagiere belästigen, sind wir tolerant», sagt Sprecherin Raffaela Stelzer. Wohl wissend, dass im Winter gut doppelt so viele Obdachlose am Flughafen leben. Eine «Airport-WG» von 80 Obdachlosen wie vor ein paar Jahren will man aber nicht mehr am Flughafen sehen.

Bis um 5 Uhr morgens surren die Putzmaschinen, dudelt die Musik aus den Lautsprechern der leeren Hallen. Dann gehen die ersten Schalter auf, die Polizei-Patrouille weckt die Obdachlosen. Die Nacht ist kurz und unbequem, aber immer noch besser als unter der Brücke.

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