«Man muss sich schon mal Sprüche anhören»
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LKW-Chauffeurin im Interview:«Man muss sich schon mal Sprüche anhören»

BLICK begleitet LKW-Chauffeurin Sindy Steiner auf einer ihrer Touren
«Man muss sich schon mal Sprüche anhören»

Sindy Steiner ist Chauffeurin. Als Frau gehört sie in der Transportbranche zur Minderheit. BLICK hat die Transportfachfrau auf einer ihrer Touren begleitet.
Publiziert: 17.10.2019 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2019 um 14:03 Uhr
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Sindy Steiner mag es, auf Achse zu sein. Seit sie in den Ferien als Kind mit ihrem Götti mit dem Lastwagen unterwegs war, liebt sie die Freiheit auf den Strassen.
Foto: Fabio Giger
Fabio Giger

Mit der Sonnenbrille in den Haaren und dem Blick in die Rückspiegel gerichtet, zirkelt Sindy Steiner (26) ihren Sattelzug rückwärts an eine Laderampe heran. «Eine so kleine Frau und ein so grosser Lastwagen», antwortet die Chauffeurin auf die Frage, welchen Spruch sie immer wieder hört. Klar: «Man muss sich schon mal Sprüche anhören», sagt die junge Frau, doch damit kann die St. Gallerin leben. «Solange man anpackt, wird man hier respektiert – egal ob Mann oder Frau.»

Der Arbeitstag der Lastwagenführerin beginnt um sechs in der Früh in der Verteilzentrale der Camion Transport AG. Die liegt in Schwarzenbach SG, an der gleichen Strasse wie der Hauptsitz von Aldi Schweiz. Im Warenumschlag saugen Stapel von Kartonschachteln die Luft trocken. An der Laderampe reihen sich gut zwei Dutzend Lastwagen, die darauf warten geladen zu werden. Es herrscht Hochbetrieb. 

Frauen sind in der Minderheit

Mittendrin wirbelt Steiner mit einem Stapel Lieferaufträgen in der Hand. Sie koordiniert die Ladung und weist Logistiker auf ihren Gabelstaplern ein. In der Transportbranche sind Frauen in der Unterzahl.

Nur rund fünf Prozent der Lastwagen bei Camion Transport werden von Transportfachfrauen geführt. Gesamtschweizerisch dürfte der Anteil – wenn überhaupt – nur unwesentlich höher sein. «Das kann und soll sich ändern», meint die Chauffeurin und nimmt den Palettrolli zur Hand.

Steiner hat Heizkörper, Tierfutter und Verpackungsmaterial eigenhändig geladen. Kurz bevor sie die Heckklappe schliessen will, flattern drei weitere Lieferscheine rein. Es sind Express-Lieferungen, die sie zusätzlich in ihre Tour einbauen muss.

Von Hand stemmt sie Autoreifen vom Boden auf einen Palettenturm, um noch etwas Platz zu schaffen. «Das Training ist im Beruf mit inbegriffen», sagt sie und zieht die engen Handschuhe aus.

Die grossen Trucks faszinieren schon lange

Es ist Viertel vor Acht. Steiner biegt aus dem Firmenareal und steuert Richtung Autobahn. Die Sonne steht knapp über dem Horizont. Die Fahrerkabine ist volltapeziert mit Fotos von ihren Freunden, der Familie und ihrem Hund. Das Bett im Rücken des Fahrersitzes ist fein säuberlich gerichtet. Die Fahrerkabine sei wie ihr zweites Zuhause: «Hier drin verbringe ich den halben Tag. Da muss ich mich einfach wohlfühlen.»

Der Sitz hinter dem Lenkrad ist seit fünf Jahren ihr Arbeitsplatz. Dass die gelernte Verkäuferin damals den Beruf wechselte, überraschte ihre Familie nicht. «Mein Götti war Brummifahrer. In den Ferien nahm er mich mit auf seine Touren. Seither wollte ich selbst ans Steuer», schwärmt die Transportfachfrau. Ein sechsmonatiges Ausbildungsprogramm hat ihr den Einstieg schliesslich ermöglicht.

Solche Quereinsteiger sind derzeit gesucht. Denn in der Schweiz herrscht Chauffeurmangel. «Wer nicht bereit ist auszubilden, braucht sich nicht über den Fachkräftemangel zu beklagen», stellt Camion Transport-Chef Josef Jäger (58) klar.

Deshalb bildet die Firma derzeit 37 Transportfachleute aus. 14 davon sind Frauen. Dennoch meint Jäger: «Man hat es in der Branche noch nicht geschafft das Potenzial der Frauen auszunützen. Daran müssen wir arbeiten.» Der Lohn kann für Steiner kein Grund sein, dass Frauen dem Job fernblieben: «Mit unserem Zahltag lässt es sich soweit ganz gut leben.»

Wenn Kunden zu Kollegen werden

Steiner ist auf dem St. Galler Industrieareal angekommen. Die Auslieferung beginnt. Laderampe ansteuern. Heckklappe auf. Material abladen. Leergut aufladen. Heckklappe zu. Lieferschein unterschreiben. Abfahren. «Manchmal gibts noch einen Kaffee oder Gipfeli beim Kunden», sagt Steiner. Doch diesmal geht es ohne Znüni weiter.

Der nächste Termin beim Pneuhändler steht an. Dort packen zum Abladen dann auch die Angestellten mit an. «Zugegeben, Abladen müssen wir selten allein. Zumindest weniger oft als unsere männlichen Kollegen», sagt Steiner an. Das könne manchmal auch ganz unangenehm sein. Schlimm sei es oft auf Baustellen, so die 26-Jährige: «Da reissen uns einige Arbeiter fast den Rolli aus der Hand.»

An diesem Morgen ist der Ton aber freundschaftlich und respektvoll. «Bis zur Fasnacht dann! Spätestens», verabschiedet sich Steiner mit Handschlag bei einem Kunden. Sie mag es, in der Region zu arbeiten, wo sie auch zu Hause ist. Auf die Frage, ob das bei allen Kunden so sei, meint sie: «Man kennt sich halt. Einige laufen mir auch in der Freizeit oder im Ausgang über den Weg.» 

Lange Arbeitstage sind keine Seltenheit

Sowohl Steiner als auch ihr Chef Josef Jäger hätten gerne mehr Frauen in der Firma. «Unsere Frauen sind tendenziell rücksichtsvoller unterwegs als ihre männlichen Kollegen. Das zeigt sich auch bei den Schadensmeldungen», sagt der Camion-Direktor. Dieser will mit Teilzeit-Arbeitsmodellen auch Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern.

Am frühen Nachmittag ist Steiner zurück im Warenlager. Auf der Ladefläche des Sattelschleppers steht nur noch der Rolli und Leergut. Doch der Arbeitstag ist noch nicht zu Ende. «Je nach Auftragslage kann es gut sein, dass wir auch mal 12 bis 13 Stunden arbeiten.» Nur Ruhepausen müssen strikt eingehalten werden.

Auf dem Lenkrad kontrolliert Steiner nochmals die Lieferscheine, bevor diese zurück ins Büro gehen. Dort wartet ein weiterer Auftrag auf sie. Wohin es gehen wird und was es ist? Alles ist möglich. Sicher ist nur: Sie wird gefordert. Nicht nur auf der Strasse hinter dem Lenkrad.

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