Berner Professor Gunter Stephan warnt
«Nahrungsmittel-Spekulation treibt Flüchtlinge zu uns»

Der deutsche Wirtschaftsprofessor Gunter Stephan erklärt, warum die Juso-Initiative gegen Lebensmittel-Spekulation nötig ist.
Publiziert: 27.07.2014 um 18:32 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:47 Uhr
Interview: Christof Vuille

BLICK: Herr Stephan, warum unterstützt ein Wirtschaftsprofessor ein Anliegen der Jungsozialisten?
Gunter Stephan:
Mir geht es nicht darum, Politik zu machen. Ich unterstütze Inhalte, wenn sie richtig sind. Und diese Debatte liegt absolut im Interesse der Schweiz.

Was ist denn das Problem beim Geschäft mit Nahrungsmitteln?
Der Markt beim Handel mit Nahrungsmitteln funktioniert nicht mehr richtig, er ist gestört. Er sollte drei Dinge erfüllen: das Risiko vor Preisschwankungen durch Termingeschäfte eindämmen, Liquidität sicherstellen und Informationen über den Wert eines Guts liefern. Der letzte Punkt ist problematisch.

Was heisst das?
Riesige Player setzen auf steigende Preise, weil sie damit viel Geld verdienen können. Nur handeln sie nicht mit der Ware, also Reis oder Weizen, sondern mit Verträgen. Das führt dazu, dass der Marktpreis den Wert des Guts bei weitem übertrifft – und der Markt sich so von der Realität entfernt.

Das ist wissenschaftlich nicht bewiesen.
Richtig. Aber die Hinweise deuten klar in diese Richtung. Es gibt Beispiele dafür, meist in Kombination mit dem Klimawandel. 2008 wurde ein beträchtlicher Teil, etwa acht Prozent, der jährlich weltweit produzierten Reismenge durch Unwetter vernichtet. Es gab ein Unterangebot. Dass sich das im Preis manifestiert, ist klar. Doch er stieg viel zu stark an, was weltweit zu Protesten führte.

Daran sind Spekulanten schuld?
Es war ein Herdentrieb auszumachen. Alle Player setzten auf steigende Preise, was die Preise dann tatsächlich explodieren liess. Durch den Klimawandel werden solche Phänomene massiv zunehmen.

Was ist das Problem?
Wenn sich der Preis für Reis oder Weizen um 20 Prozent erhöht, tut das Industrieländern wie der Schweiz kaum weh. Die Bevölkerung gibt hier einen relativ kleinen Teil ihres Einkommens dafür aus. In Schwellenländern liegt der Anteil aber für viele Menschen bei 80 Prozent oder mehr. Gerade für Kleinbauern in Afrika ist das ruinös.

Der Preis ist ja glücklicherweise wieder gesunken. Wurde wegen des höheren Werts nicht einfach mehr produziert?
Nein, die Preise entsprachen nicht mehr dem Wert des Guts. Aber grosse Preisschwankungen haben noch einen anderen schädlichen Effekt: Es wird nicht mehr investiert. Wir wissen heute, dass die Landwirtschaft, wie sie in Lateinamerika, Asien oder Afrika betrieben wird, durch den Klimawandel nicht ewig so weiterfunktioniert. Es braucht Investitionen und Innovationen, um den Strukturwandel zu bewältigen und sich an die neuen klimatischen Verhältnisse anzupassen.

Was passiert, wenn das nicht geschieht?
Dann kommt es in weiten Teilen Afrikas zu einer Entvölkerung und zu riesigen Migrationsströmen in den Norden. Flüchtlinge ertrinken schon heute im Mittelmeer, doch diese Problematik würde sich drastisch verschärfen. Wenn wir uns damit nicht auseinandersetzen, importieren wir soziale Probleme vor unsere Haustüre.

Das ist eine internationale Herausforderung. Die Schweiz alleine kann hier nichts ausrichten.
Oh doch. Wie schon bei der ­Debatte um Finanzmarkt-Regulierungen wird international sehr genau hingeschaut, was die Schweiz tut. Ausserdem ist die Schweiz ein extrem wichtiger Standort für den globalen Rohstoffhandel. Die in Zug domizilierte Firma Glencore verfügt bei manchen Gütern über einen Marktanteil von mehr als 20 Prozent.

Was passiert, wenn die Initiative angenommen wird?
Sollte es so weit kommen, bin ich offen für eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung. Jetzt ist es erst mal sehr gut, dass sie eine wichtige Debatte auslöst. 

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