Saisonal, regional, lokal: Migros und Coop werben gerne mit frischem Schweizer Gemüse. Wenn Kundinnen und Kunden bei einheimischen Produkten zugreifen, glauben viele, damit die hiesigen Bauern zu unterstützen. Doch eine Studie des Westschweizer Konsumentenverbandes (Fédération romande des consommateurs), welche die Preispolitik von Coop und Migros unter die Lupe nimmt, zeichnet ein anderes Bild. Sie zeigt: Beim Gemüse geht nur der kleinste Teil des Verkaufspreises an die einheimischen Landwirte.
An einer Gurke, die im Laden durchschnittlich 1.80 Franken kostet, verdient ein Schweizer Bauer nach Abzug aller Kosten gerade mal ein paar Rappen. Im Jahr 2021 blieben ihm davon durchschnittlich 13 Rappen – 2022 sind es aufgrund der gestiegenen Preise für Treibstoff und Dünger sogar lediglich zwei Rappen!
Dafür, dass es ohne Bauern gar keine Gurken zu kaufen gäbe, ist das sehr wenig Geld. Die Autoren der Studie sehen den Grund für diese Tatsache in den hohen Margen von Migros und Coop.
«Es kann nicht sein, dass die Bauern das ganze Risiko haben, aber fast nichts an ihren Produkten verdienen», kommentiert Sophie Michaud Gigon (47), Grünen-Nationalrätin und Geschäftsführerin des welschen Konsumentenverbandes.
Michaud Gigon verweist auf die Studienresultate, nach denen die Produktionskosten einer Gurke, die in der Migros 1.80 Franken kostet, 96 Rappen betragen. Zwischenkosten wie etwa für den Transport schlagen mit 28 Rappen zu Buche; der Nettoverdienst des Bauern beträgt wie erwähnt zwei Rappen. Bleiben 54 Rappen, die an die Migros gehen.
Margen geben die Grossverteiler nicht bekannt
Wie hoch die Marge auf diesen 54 Rappen ist – in der Migros fallen ebenfalls Kosten an, etwa die Löhne für das Verkaufspersonal –, bleibt allerdings unklar: Der Detailhändler gab den Studienautoren darüber keine Auskunft.
Auch auf Anfrage von SonntagsBlick schweigt sich der orange Riese über dieses Thema aus. «Margen zu einzelnen Artikeln geben wir – wie jedes andere Unternehmen – nicht bekannt», antwortet die Migros, verbindet dies jedoch mit einem Hinweis: «Übertrieben hohe Margen könnten wir uns angesichts der harten Konkurrenzsituation im Detailhandel nicht leisten.» Die Gewinnmarge der Migros sei mit rund zwei Prozent bescheiden. Zudem pflege man mit den Bauern ein «partnerschaftliches Verhältnis».
Coop antwortet ähnlich. Als Genossenschaft mache man pro Franken Umsatz einen Gewinn von 1,8 Rappen, teilt das Unternehmen mit. Das sei im Vergleich zu gewinnorientierten Unternehmen wenig. Und: «Aufgrund des harten Wettbewerbs» gebe man «grundsätzlich keine Auskunft» zu den Margen einzelner Produkte. Coops Lieferanten erhielten einen «fairen und marktgerechten Preis».
Eine echte Partnerschaft gibts nicht
Sicher ist: Die Grossverteiler sitzen dank ihrer Marktmacht am längeren Hebel. «Die meisten Betriebe verkaufen 80 bis 90 Prozent ihrer Salate, Tomaten und Gurken an sie», sagt Gemüsebauer Urs F.*, der aus Furcht vor Repressalien anonym bleiben will. Die «Partnerschaft», die Migros und Coop mit den lokalen Produzenten angeblich pflegt, ist laut F. eine «reine Alibiübung».
Ein Beispiel: Als F. aufgrund der explodierenden Kosten für Treibstoff und Dünger das Gespräch mit dem Vertreter der lokalen Coop-Filiale suchte, um über eine Anpassung der Preise zu sprechen, sei er regelrecht abgekanzelt worden. Er erinnert sich: «Seine Antwort war: ‹Wenn ihr höhere Kosten habt, ist das nicht unser Problem.›»
Schweizer Saisongemüse teurer als Import
Die Studie wiederum enthält eine weitere überraschende Erkenntnis: Kundinnen und Kunden zahlen für Schweizer Saisongemüse höhere Preise als für Importware.
Das hat unter anderem mit dem Grenzschutz zu tun. Wenn Tomaten im Inland Saison haben, dürfen ausländische Tomaten nur begrenzt importiert werden. Das ermöglicht den Schweizer Bauern, während jener Zeit höhere Preise zu verlangen. So fangen sie den tiefen Verdienst auf, den sie während des restlichen Jahres erhalten.
Ein anderer Teil der höheren Preise aber, so das Fazit der Studienautoren, lässt sich durch die überrissenen Margen von Migros und Coop erklären. Die Unternehmen profitierten von der Bereitschaft der Konsumenten, einheimisches Gemüse zu kaufen – und schlügen auf die höheren Preise hohe Margen. Auch hierzu wollen sich die Detailhändler nicht im Detail äussern.
Verlierer sind Bauern und Konsumenten
Konsumentenschützerin Michaud Gigon bedauert dies und kritisiert die herrschende Intransparenz. «Verlierer der heutigen Situation sind die Bauern und die Konsumenten», sagt sie. Die Grünen-Politikerin fordert den Bund auf, Transparenz rund um Preispolitik und Margen der Detailhändler herzustellen. Sie verweist dabei auf Frankreich, wo die Bauern schon vor Jahren eine staatliche Marktbeobachtung durchgesetzt haben.
Mit ihrer Kritik steht die Waadtländerin nicht alleine. Die ständerätliche Wirtschaftskommission hat sich diese Woche mit den negativen Folgen der Marktkonzentration im Detailhandel befasst und verlangt vom Bundesrat einen Bericht dazu. Das Ziel müsse sein, «die Trans- parenz in der Preisbildung» zu erhöhen.
Also genau das, was die Konsumentenschützer fordern. Gemüsebauer F. würde dies ebenfalls begrüssen. Zwar ist er skeptisch, ob die Detailhändler Angaben zu ihren Margen herausrücken. Doch er sagt auch: «Alles ist besser als das, was wir heute haben.»