Bis zu 55 Stunden pro Woche schuften familienfremde Landarbeiter und Erntehelfer auf Schweizer Bauernhöfen. Der Lohn für ihre Arbeit liegt deutlich unter dem anderer Branchen. Gebildete Osteuropäer machen als Praktikanten Landarbeit. Für noch weniger Geld: 2'535 Franken pro Monat (BLICK berichtete).
«Die Richtlöhne für die Landarbeiter reichen nicht, um in der Schweiz ein anständiges Leben zu führen», sagt Milchbauer Werner Locher (62) aus Bonstetten ZH. «Unter dem aktuellen Preisdruck verkommt die Landwirtschaft zusehends zur Billiglohnbranche.»
Dass selbst ein Bauernvertreter zu dieser Einsicht kommt, sollte eigentlich die Gewerkschaften auf den Plan rufen. Doch bei diesen hat die Landwirtschaft «eine tiefe Priorität», sagt Serge Gnos (44). Der Unia-Verantwortliche für Landwirtschaft spricht von «ein paar wenigen Hundert Mitgliedern» – schweizweit.
Es sei schwierig, Leute zu organisieren, die nur wenige Monate als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft schuften. Ausserdem seien viele Arbeiter von den Bauern abhängig. «Viele Büezer essen und wohnen auf den Höfen», sagt Gnos. Den Schutz der anonymen Masse gibt es in den vielen kleinen Betrieben nicht. Der wäre aber wichtig für die Gewerkschaftsmitglieder, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen wollen.
Umso schwieriger, diese Bedingungen zu ändern. Und für die sind die Gewerkschaften mitverantwortlich. In der Landwirtschaft gelten keine Gesamt-, sondern kantonale Normalarbeitsverträge, kurz NAV. «Die NAV schreiben Ausbeutung legal fest», so Gnos. «Wir haben in der Vergangenheit nicht genügend getan, um dies zu ändern.» Und offenbar auch nicht übermässig viel, um deren Einhaltung zu überprüfen.
Das ist Aufgabe der Tripartiten Kommissionen (TPK). Das sind Vertreter von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern wie etwa Gewerkschaften.
Zwar haben die kantonalen TPK im Jahr 2015 nur zwölf Unterbietungen der branchenüblichen Löhne bei Landwirtschaftsbetrieben festgestellt. Sie hatten aber auch nur 714 kontrolliert – von über 53'000 Betrieben in der ganzen Schweiz!
Auf Bundesebene nahm man die Landwirtschaft nur von 2005 bis 2008 als Fokusbranche genauer unter die Lupe.
Heute tun dies lediglich zwei Kantone. Im Baselbiet wird grundsätzlich in Tieflohnbranchen umfangreicher kontrolliert. In Zürich werden Landwirtschaftsbetriebe vor allem zu Erntezeiten kontrolliert. Es gebe viele ausländische Erntehelfer, «deren Löhne überprüft werden sollen», heisst es vom kantonalen Amt für Wirtschaft.
Landwirt Locher, der im Kanton Zürich seinen Betrieb hat, steckt wie viele andere Bauern «in der Zwickmühle», wie er es formuliert: Viele Landwirte kämen nur über die Runden, weil sie den Mitarbeitern die niedrigen NAV-Löhne zahlten. Ohne grosse Abstriche könne man nicht einmal die aufbringen, so Locher.
Er selbst kann sich derzeit keine Angestellten leisten, wenn er sie «einigermassen anständig entlöhnen» wolle. Ohne dass die Familie bis hin zum Grossvater kostenlos mitschufte, sei ein kleiner Bauernbetrieb nicht rentabel. Locher selbst gibt an, gerade mal fünf bis acht Franken pro Stunde zu verdienen.
Mit dem tiefen Verdienst der Landwirte erklärt auch der Bauernverband, dass es nicht möglich sei, «Arbeitnehmern höhere Löhne zu zahlen».
Locher verortet das Grundproblem in der Schweizer Gesellschaft. Dort habe es nie eine breite Diskussion darüber gegeben, wie es in der Landwirtschaft finanziell aufgehen solle, sagt Locher. Er fordert: «Deshalb müssen wir uns jetzt endlich alle zusammensetzen.»