Banken-Experte Martin Hellwig
«UBS und CS sind für die Schweiz noch immer zu gross»

Die Schweiz hat einiges getan, um die Banken sicherer zu machen. Aber das reiche nicht, sagt Star-Professor Martin Hellwig. Die Banken haben aus dem Desaster der Finanzkrise nichts gelernt.
Publiziert: 15.09.2013 um 21:20 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:20 Uhr
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Der Banken-Kritiker: Martin Hellwig (64), Direktor am Bonner Max-Planck-Institut, gilt als einer der renommiertesten Ökonomen Deutschlands. In seinem zusammen mit Stanford-Professorin Anat Admati verfassten Buch «Des Bankers neue Kleider» fordert er deutlich höhere Kapitalpuffer für Grossbanken. Das auch für Laien verständliche Buch hat die Debatte wiederbelebt. Es widerlegt viele Banken-Argumente. Im Oktober erscheint es auf Deutsch.
Foto: Christoph Papsch/laif
Interview von Marco Metzler

Vor fünf Jahren ging die US-Investmentbank Lehman Brothers pleite. Die Schockwellen lösten die heftigste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 75 Jahren aus. Die UBS entging nur dank Staatshilfe dem Kollaps. Ob die Grossbanken heute sicherer sind als damals, ist umstritten. SVP-Nationalrat Christoph Blocher will mit Hilfe der Linken und Grünen die Grossbanken aufspalten und das Investmentbanking abtrennen. Ökonom Martin Hellwig erklärt, warum es schlauer wäre, den Banken dickere Eigenkapitalpuffer zu verordnen.

SonntagsBlick: Herr Hellwig, können UBS und Credit Suisse heute im Notfall in Konkurs gehen, ohne dass die Steuerzahler daran zahlen müssen?
Martin Hellwig:
Nein, dazu sind sie einfach zu gross.

Woher droht Gefahr?
Das ist schwer zu sagen. Wenn der nächste Boom kommt, wird für alle der Druck hoch sein, voll mitzumachen, auch wenn es sich um eine Blase handelt. Auch die Schweizer Grossbanken werden dabei sein. Solange die Banken schöne Gewinne ausweisen, fragt niemand nach den Risiken.

Welche Lehren hätte man aus der Finanzkrise ziehen sollen?
Erstens: Je stärker die Haftung der Eigentümer und Manager ist, desto weniger muss der Regulator beim Bankgeschäft dreinreden. Daher muss man den Anteil der Fremdfinanzierung bei den Banken viel stärker begrenzen. Zweitens braucht es vernünftige Verfahren, um insolvente Banken aus dem Verkehr ziehen zu können. Da haben wir bisher kaum Fortschritte gesehen.

Was sollen die Aufsichtsbehörden tun?
Der Regulator sollte den Banken nicht vorschreiben, welche Geschäfte schlecht und welche gut sind. Er sollte ihnen aber sehr viel höhere Kapitalpuffer vorschreiben: Pro 100 Franken an Schulden brauchen Banken 20 bis 30 Franken Eigenkapital. Dann können sie Ausfälle selbst tragen. Bei der UBS waren 2008 die Verluste auf US-Hypothkenpapieren, die sie für völlig risikolos hielt, grösser als ihr gesamtes Eigenkapital. Ein Risikomanagement, das bestimmte Anlagen als risikolos deklariert, ist absurd.

Hätten die Banken die Finanzkrise mit 20 bis 30 Prozent Eigenkapital besser überstanden?
Sie hätten keine Staatshilfen gebraucht. Auch wären die Auswirkungen auf das Gesamtsystem viel kleiner gewesen. Durch Vervielfachungseffekte löst schon ein kleiner Verlust bei einer Bank mit wenig Kapital Notverkäufe aus, was die Wertpapierpreise drückt. Dadurch geraten auch andere Banken in Schwierigkeiten.

Die Banken argumentieren, dass sich höhere Kapitalpuffer negativ auf Kreditvergabe und das Wirtschaftswachstum auswirken.
Der grösste Einbruch der Kreditvergabe und des Wachstums seit den 1930er-Jahren erfolgte im vierten Quartal 2008 als Folge der Finanzkrise und des Mangels an Eigenkapital, das die Verluste hätte auffangen können. Zu wenig Kapital ist eine viel grössere Gefahr für das Wachstum.

Es hängt also nicht von der Höhe der Eigenmittel ab, wie viele Kredite die Banken vergeben?
Nein. Banken behaupten oft: «Eigenkapital ist teurer und mehr davon würde unsere Kredite verteuern.» Aber das ist falsch. Eigenkapital ist für die Banken nur teurer, weil der Staat Fremdkapital steuerlich begünstigt und die Verschuldung mit Staatsgarantien subventioniert.

Banken können sich heute also zu günstig verschulden?
Ja, wenn Investoren damit rechnen können, dass der Staat im Zweifel der Bank hilft, geben sie ihr zu einem niedrigeren Zins Kredit. Diese Subvention ist für die Bank umso wertvoller, je höher sie sich verschuldet. Geht etwas schief, bezahlt dann der Steuerzahler.

Wieso ist eine hohe Verschuldung so gefährlich?
Nehmen wir als Beispiel eine Bank, die Anlagen im Wert von 1000 Milliarden Franken hat, die sie mit 970 Milliarden Schulden und 30 Milliarden Franken Eigenmitteln finanziert. Ein Verlust von drei Prozent reicht also schon, und sie ist insolvent. Der Banker sagt: «Wir sind so gut im Risikomanagement. Ein Verlust von drei Prozent kommt nicht vor.» Die Finanzkrise hat aber gezeigt, dass das nicht stimmt: Die Verluste der Banken lagen weltweit bei vier Prozent.

Überschätzen die Banker ihre Fähigkeiten?
Ja. Früher gab es die Vorstellung, dass Eigenkapital dazu da sei, um sich gegen Risiken zu schützen, die man nicht kennt. Es wäre gut, wenn wir wieder zu dieser Vorstellung zurückkehrten.

Leisten die Banker nicht auch deshalb Widerstand, weil bei höherem Eigenkapital ihre Boni sinken?
Sicher. Dies gilt aber genauso für die Aktionäre, die ebenfalls weniger profitieren würden. Angenommen, der Wert der Anlagen der oben erwähnten Bank steigt um drei Prozent, dann ergibt das eine Rendite auf das Eigenkapital von 100 Prozent! Neben den Managern und den Aktionären profitieren auch die Wertpapierhändler der Banken, weil ihre Löhne noch stärker gehebelt sind. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie Risiken eingehen, die nicht mehr im Interesse des Aktionärs liegen.

Die Schweiz ist bei der Gesetzgebung für Grossbanken weiter gegangen als andere Länder. Bis 2019 sollen beide Grossbanken hartes Eigenkapital von je 4,5 Prozent aufweisen. Reicht dies?
Sicher nicht. 4,5 Prozent ist zwar besser als drei Prozent, aber immer noch zu wenig.

Immer wieder wird argumentiert, dass bei höheren Kapitalpuffern für Banken die Geschäfte zu Schattenbanken abwandern würden.
Oft fällt dann das ominöse Wort Hedgefond. Während der Finanzkrise sind aber viele Hedgefonds untergegangen, ohne grosse volkswirtschaftliche Probleme zu verursachen. Diese sind in der Regel sehr gut kapitalisiert und finanzieren sich nur zur Hälfte über Schulden.

Wieso?
Weil die Banken, die ihnen Kredite geben, fordern, dass sie sich nicht zu hoch verschulden. Die grossen Banken selbst tätigen viele Geschäfte, die jenen von Hedgefonds ähneln, haben aber eine viel höhere Verschuldung. Die Kredite an lokale KMU machen nur einen Bruchteil der Geschäfte der Megabanken aus. Der grosse Rest sind riskante Wetten.

Wie könnten die Banken Kapitalpuffer von 20 bis 30 Prozent aufbauen?
Es wird eine gut organisierte Übergangsphase brauchen. Man muss die Eigenkapitalanforderung zunächst als absolute Grösse und nicht als Prozentsatz vorgeben. Sonst versuchen die Banken einfach, Kredite und Wertpapiere abzustossen und damit die Bilanzsumme zu reduzieren, statt effektiv das Eigenkapital zu erhöhen.

Wie würden sich die Banken daran anpassen?
Profitable Banken können die eigenen Mittel erhöhen, indem sie Gewinne einbehalten oder neue Aktien ausgeben. Dies verlangt ein Opfer von den Aktionären, aber eines, das gerechtfertigt ist, wenn wir bedenken, welchen Risiken diese Institute das Gemeinwesen aussetzen. Echte Probleme stellen sich nur, wenn eine Bank nicht profitabel oder überschuldet ist. In diesem Fall sollte man sie schliessen. Ich fürchte, dass dies bei etlichen europäischen Banken anstünde, wenn man ihre Bücher genau anschauen würde.

Schweizer Politiker von linker wie auch rechter Seite fordern höhere Kapitalpuffer. Ginge das Risiko einer Grossbankenpleite nicht alle an?
Doch, es gibt aber Parallelen zu den USA: Dort starteten im Frühjahr zwei Senatoren eine Gesetzesini-tiative. Diese verlangt, dass kleine Banken acht Prozent und grössere Banken 15 Prozent Eigenkapital halten müssen. Dies ist nicht weit von dem entfernt, was wir fordern. Auch hier haben die Pole des politischen Spektrums zusammengefunden: Brown gehört dem linken Flügel der Demokraten an, Vitter steht bei den Republikanern weit rechts.

Wie argumentieren diese?
Die radikalen Republikaner wollen eine bessere Haftung. Eine Rettung von Grossbanken durch den Staat ist für sie nicht akzeptabel. Die Demokraten hingegen wollen keine Staatsmittel verwenden, um Bankenbosse zu retten.

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