Aus Angst den Job zu verlieren
Tausende Schweizer schleppen sich krank und ansteckend zur Arbeit

Wer trotz Krankheit arbeiten geht, verletzt die Treuepflicht. Und doch tun es dieser Tage Tausende im ganzen Land. Aus Angst, den Job zu verlieren. Damit schaden sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Arbeitskollegen.
Publiziert: 04.01.2019 um 14:34 Uhr
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Aktualisiert: 12.03.2019 um 18:11 Uhr
Wer krank ist, gehört ins Bett und sicher nicht ins Büro.
Foto: KEYSTONE
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Tausende Schweizer Angestellte kennen das Gefühl nur zu gut: Der Kopf tut weh, die Nase läuft, und der Husten lässt einen nicht schlafen. Und dabei müsste man am nächsten Morgen wieder fit zur Arbeit erscheinen. Doch kaum einer traut sich, im Bett liegen zu bleiben. Aus Angst vor ihren Vorgesetzten oder aus Furcht, den Arbeitsplatz zu verlieren, schleppen sich viele Angestellte trotz Krankheitssymptomen zur Arbeit.

Mehrere Schweizer Studien zeigten in der Vergangenheit auf: Fast die Hälfte der Angestellten hierzulande erscheint mindestens einmal pro Jahr krank zur Arbeit. Dies, obwohl sie dort ihre Kolleginnen und Kollegen anstecken und ausserdem ihrer Gesundheit Schaden zufügen könnten.

Bei Arbeitnehmervertretern ist die Problematik bekannt. Es gebe die Tendenz, dass sich Angestellte vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt fühlten, unter allen Umständen zur Arbeit zu erscheinen, erklärt Leena Schmitter, Sprecherin der Gewerkschaft Unia, der Nachrichtenagentur AWP.

Kranke müssen den Chef informieren

Dabei ist die Situation aus juristischer Sicht eigentlich klar. «Arbeitnehmer, die trotz Krankheit arbeiten, verletzen ihre Treuepflicht», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger. Ein Angestellter müsse seinen Arbeitgeber auch informieren, dass er krank sei.

Rechtlich gesehen dürften Arbeitnehmer, die sich krank fühlen, dann nicht arbeiten, wenn ihre Krankheit ansteckend ist oder wenn die Arbeit den Heilungsprozess verlangsamt beziehungsweise die Krankheit gar verschlimmert.

«Ebenfalls nicht arbeiten darf, wer aus gesundheitlichen Gründen vollständig arbeitsunfähig ist», führt Steiger weiter aus. Das würde normalerweise durch ein Arztzeugnis bestätigt. Doch nicht bei jeder Krankheit sei man komplett arbeitsunfähig. «Im Zweifelsfall entscheidet der Arzt.» Doch auch die Arbeitgeber stehen in der Pflicht. Wenn sie wüssten, dass ein Arbeitnehmer krank sei, müssten sie ihn heimschicken, sagt der Anwalt weiter.

Firmen müssen für Ausfälle gerüstet sein

Das sei zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Arbeitnehmer selbst sage, dass er trotz Krankheit arbeite oder wenn er offensichtlich krank sei. «Es handelt sich hierbei um einen Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, eine solche Person nicht arbeiten zu lassen.»

Dabei spiele das richtige Verhalten im Krankheitsfall auch versicherungstechnisch eine Rolle. Die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber sei bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung grundsätzlich geschuldet, erklärt Steiger. Doch wer krank zur Arbeit gehe, riskiere, dass die Lohnfortzahlung verweigert werde, falls er im Anschluss schliesslich doch noch ausfallen sollte.

Dass trotzdem manchmal Druck auf Angestellte ausgeübt wird, krank zur Arbeit zu erscheinen, dafür hat Unia-Sprecherin Schmitter kein Verständnis. «Der Betrieb sollte für Krankheitsfälle und Ferienabwesenheiten Stellvertretungsregelungen im Voraus regeln», sagt sie.

Weiterarbeiten trotz Krankheit geht ins Geld

Denn wenn Angestellte trotz Krankheit arbeiteten, könnte das mittelfristig gar zu Mehrkosten für das Unternehmen führen, vor allem wenn die Betroffenen dadurch am Schluss noch länger ausfielen, sagt Schmitter weiter.

Das sieht man allerdings auch von Seiten der Arbeitgeber so. «Gemäss Studien entstehen rund zwei Drittel der durch Krankheit verursachten Kosten nicht durch Absenzen, sondern durch das Weiterarbeiten trotz Krankheit», erklärt Fredy Greuter vom Arbeitgeberverband.

«Weil kränkelnde Mitarbeiter nicht die volle Leistung bringen, kommt es zu einem Produktivitätsverlust», betont er. Wenn ein Arbeitnehmer trotz offensichtlicher Arbeitsunfähigkeit am Arbeitsplatz erscheine, müsse der Vorgesetzte den Kranken daher unbedingt nach Hause schicken.

Home Office ist keine Lösung

Auch eine Erledigung der Aufgaben im Home Office komme grundsätzlich nicht in Frage. «Eine Verzögerung der Genesung als Folge von Home Office gilt es zu vermeiden», sagt Greuter. Nur in begründeten Einzelfällen könne es sinnvoll sein, dass der Arbeitgeber von zu Hause aus tätig ist, wenn er beispielsweise zwar noch ansteckend, aber trotzdem schon wieder voll leistungsfähig ist.

Dezidiert gegen Heimarbeit bei Krankheit äussert sich die Gewerkschaft. «Auch Home Office ist Arbeit. Deshalb ist Home Office, wenn man selber krank ist oder kranke Kinder betreuen muss, die falsche Lösung», erklärt Unia-Sprecherin Schmitter.

In diesem Kontext betont die Gewerkschafterin, dass auch für die Betreuung kranker Familienmitglieder ein Anspruch auf eine Arbeitsbefreiung von bis zu drei Tagen pro Krankheitsfall bestehe. «Die Absenzen für die Pflege kranker Kinder müsse als Arbeitszeit angerechnet werden, und die Angestellten haben Anspruch auf Lohnfortzahlung, wie bei eigener Krankheit», sagt Schmitter. (AWP)

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