Die Migros begann mit den Frauen. Mit ihnen würde seine grosse Idee stehen oder fallen, daran hatte Gottlieb Duttweiler keinen Zweifel. «An die Hausfrau, die rechnen muss», wandte sich das Flugblatt in den ersten Migros-Verkaufswagen: «An die intelligente Frau, die rechnen kann.»
1925 war das ein ehrliches Kompliment. Es zahlte sich aus. Die Verkaufswagen mit ihrem günstigen Qualitätssortiment wurden nicht bloss ein Renner, sie starteten eine Bewegung. Und als die kartellisierte Konkurrenz den frechen Neuzugang wieder aus dem Markt drängen wollte, fand Duttweiler eine prominente Fürsprecherin.
Teilzeit-Pionierin
Der neue Band «Historische Begegnungen» (Verlag Hier und Jetzt) beschreibt spannende Paarungen der Schweizer Geschichte von Zwingli bis Dufour. Duttweilers Partnerin war Elsa Gasser. Seine «volkswirtschaftliche Beraterin», wie es hiess. Und eigentlich die Frau, welche die Migros von heute erfand.
1926 war sie noch Wirtschaftsjournalistin bei der «NZZ», setzte sich aber immer klarer öffentlich für Dutti ein, der bei ihr Rat holte. Und ihr seine etwas unbeholfenen Flugblätter zur Durchsicht vorlegte. Vier Jahre später bietet er ihr formell den Job als Beraterin an. Sie nimmt an – aber als junge Mutter nur Teilzeit, mit der Möglichkeit zu Hause zu arbeiten. Aussergewöhnlich im Jahr 1931.
«Fest besoldete Opposition»
Sie darf dem Chef die Meinung sagen. «Fest besoldete Opposition» nennt er sie. Aber Gasser kritisiert nicht nur, sie hat auch Ideen. Sie erfindet den Namen «Hotelplan». Sie startet das Migros-Kultur-Engagement.
Aber ihr grösster Beitrag ist der Einsatz für die Selbstbedienung. Kaum vorstellbar, aber Elsa Gasser musste diese Idee aus den USA gegen den Widerstand des Gründers durchsetzen. Dank ihr eröffnet 1948 der erste Selbstbedienungsladen. Die Migros wird ein Riese.
Nachdem Duttweiler 1962 gestorben ist, verteidigt Gasser seine Ideale gegen den reinen «Geschäftsgeist» der Nachfolger. 1967 stirbt auch sie, Duttis heimlich Migros-Chefin.
Die heutige Quoten-Diskussion wäre ihr womöglich fremd. Elsa Gasser war gewiss ehrgeizig, aber sie sah ihren Beitrag nie als unverzichtbar für den Start der Migros. Kein Zweifel: Das sähe man heute anders.