Die Schweizer Stammtische sterben aus, die Stange zum Zmittag gehört schon lange nicht mehr zum Alltag. Kein Wunder, geht der Bierkonsum zurück. Tranken 1991 die Schweizer pro Kopf 71 Liter, waren es 2017 noch 54 Liter. Ein Viertel weniger.
Das klassische Lager wird unbeliebter. Mittlerweile ist schon mehr als jedes siebte getrunkene Bier ein Spezialitätenbier. Und dann ist da – obwohl auf tiefem Niveau – der Boom-Bereich Alkoholfreies: Sowohl Coop als auch Migros – Alkoholfreies würde auch Dutti akzeptieren – berichten von einer steigenden Nachfrage.
Zwar ist der Marktanteil für alkoholfreies Bier in der Schweiz noch nicht auf dem Niveau des Bierlandes Deutschland (6,5 Prozent) oder von Spanien (12 Prozent). Doch seit 2010 ist der Alkoholfrei-Absatz auch hierzulande um mehr als 50 Prozent auf 3,5 Prozent des Marktes hochgeschnellt.
Fokus auf Sport
Dafür gibt es für die Experten verschiedene Gründe: «Ein Grund ist die 0,5-Promille-Grenze im Strassenverkehr seit 2005», erklärt die Zürcher Bier-Sommelière Nyree Nijboer (47). «Vor allem aber sind die Menschen gesundheitsbewusster geworden. Alkoholfreies Bier hat weniger Kalorien und wirkt isotonisch, versorgt den Körper gut mit Nährstoffen.» So setzt zum Beispiel die Münchner Erdinger-Brauerei bei der Vermarktung ihres alkoholfreien Weizens explizit auf Ausdauersportler.
«Weil die Kunden es annehmen, ist die Vielfalt beim alkoholfreien Bier in den letzten Jahren enorm gestiegen», sagt Achim Zürcher (49), Leiter Qualitätsmanagement bei Feldschlösschen. «Durch die intensive Forschung ist die Qualität heute viel besser geworden.»
Nachdem der dänische Bier-Gigant Carlsberg im Jahr 2000 Feldschlösschen gekauft hatte, baute er dessen Sitz in Rheinfelden AG zum Konzern-Kompetenzzentrum für alkoholfreies Bier aus. Seither hat Feldschlösschen solche Produkte für zehn Länder mitentwickelt, unter anderem das weltweit verkaufte Carlsberg 0,0%.
Harziger Start
Warum hat Carlsberg genau die Schweizer Tochter dafür ausgewählt? Weil die Schweiz nicht nur den Sparschäler und den Hosenladen-Reissverschluss erfunden hat, sondern auch Bier ohne Sprit drin! Ab 1908 produzierte die Winterthurer Haldengut-Brauerei mit Perplex ein «ganz annehmbares Produkt, wenn es kalt getrunken wird», so die Ansicht des Besitzers. Allerdings waren die Konsumenten anderer Meinung. 1913 stellte er die Produktion wieder ein.
Erst in den 60er-Jahren nahm die Industrie einen neuen Anlauf. Es entstanden legendäre Alkoholfreie wie das Ex-Bier von Gurten, Oro (später Birell) von Hürlimann oder das Libero von Löwenbräu. Bald wurden sie auch exportiert – ab den 70ern nach Deutschland, in den 80ern auch in die USA.
Verschiedene Produktionsarten
«Trotzdem schmecken die meisten Alkoholfreien auch heute noch so langweilig, als trinke man Brot», sagt Sommelière Nijboer. «Dank neuer Brautechniken sind ein paar Ausnahmen aber richtig gut geworden.» Ein Beispiel? «Spezielle Hefen, die weniger Alkohol erzeugen.»
Daneben dominieren zwei Herstellungsweisen, die sich am normalen Brauprozess orientieren: Entweder man stoppt den Gärprozess bei unter 0,5 Prozent Alkohol – der verbleibende Zucker lässt das Bier süss schmecken.
Oder man entzieht dem fertigen Bier den kompletten Alkohol und raubt ihm dabei auch das Aroma und einen wichtigen Geschmacksträger. Feldschlösschen wendet für seine Alkoholfreien ein kombiniertes Verfahren an.
Als echte Bier-Alternative bei einem guten Znacht sieht Nijboer das Alkoholfreie aber trotzdem noch kaum. «Die Ausnahme sind die alkoholfreien IPAs (steht für Indian Pale Ale; Anm. d. Red.) bei scharfem Essen», sagt die Sommelière. «Ansonsten sehe ich die Möglichkeiten nur bei Sportlern.»