Für die Kultfirma Lolipop gibt es nach dem zweiten Lockdown zuerst kein Happy End: Als am 1. März alle Geschäfte wieder aufmachen, bleiben die Lichter in den 40 Lolipop-Filialen aus. An den Schaufenstern der Läden findet sich kein Hinweis darauf. Ein Blick in die Filiale im Zürcher Bahnhof Stadelhofen zeigt Stellwände mit halb gefüllten Süssigkeitenbehältern, zusammengeschobene Kühlboxen und Softgetränkemaschinen – so wie an einem gewöhnlichen Verkaufstag nach Ladenschluss.
Die Lolox AG, welche die Süsswarenkette betreibt, befindet sich in Liquidation. Laut SonntagsBlick offenbart der Betreibungsregisterauszug, dass Lolipop lange vor der Pandemie in Schieflage geraten ist.
Dabei war der Start verheissungsvoll: Firmengründerin Alexandra Bisaz (50) erhielt 2007 den Swiss Economic Award – eine bedeutende Auszeichnung für Jungunternehmen in der Schweiz.
Lolipop mit neuem Besitzer – Läden öffnen am 1. April
Kaum ist der Bankrott bekannt, naht bereits das Comeback: Die SF Retail AG, die auch die Einrichtungskette Søstrene Grene in der Schweiz führt, hat Lolipop übernommen. Wie diese Woche bekannt wurde, eröffnen ab April einige der 40 Lolipop-Filialen wieder. Die Rede ist auch von Expansionsplänen.
Wer auf Fruchtgummis, Lakritzschnecken oder saure Zungen steht, kommt bei Lolipop bald wieder auf seine Kosten. Allerdings ist das Comeback mit Altlasten behaftet. Nachdem der SonntagsBlick über den Bankrott berichtet hatte, meldeten sich betroffene Firmen und ehemalige Mitarbeiterinnen der Kultfirma mit Leserbriefen und E-Mails bei BLICK. Sie berichten von Missständen, die Schleckmäulern die Lust auf Süsses vergehen lassen.
Tote Fliegen und abgelaufenes Gummizeugs
Ins Detail geht Ex-Mitarbeiterin Samantha K.*: Die Verkäuferin arbeitete in den letzten Jahren bei Lolipop, hat die finanzielle Krise hautnah miterlebt. «Als ich gesehen habe, wie der Laden wirklich läuft, habe ich die Kündigung eingereicht», sagt sie.
K. legt der BLICK-Redaktion Fotos, E-Mail-Nachrichten und Chatverläufe vor, die die Missstände dokumentieren. So wurde K. beispielsweise angewiesen, beim Haltbarkeitsdatum zu schummeln. Abgelaufene Süssigkeiten in den Geschenksets musste sie auspacken, um sie unter die neue Ware in den Abfüllbehältern zu mischen.
Probleme gabs auch mit der Hygiene: Auf einem Foto ist eine tote Fliege zu sehen, die an Süsswaren klebt. Ausgewechselt wurden die betroffenen Gummis nicht, erklärt K. Ein beliebtes Lolipop-Getränk: Frozen Yogurt. Hier wirds eklig – und gesundheitsgefährdend. Die Maschine der Filiale, in der die Ex-Mitarbeiterin arbeitete, wurde laut dieser mit dem WC-Putzmittel Javel gereinigt. Eine heikle Sache. Wenn es Rückstände gibt, kann dies zu Verätzungen im Mund führen.
Wer bei Lolipop krank war, sollte arbeiten
Samantha K. machte bei Lolipop eine schwierige Zeit durch. Auf sie und andere Angestellte sei psychischer Druck ausgeübt worden. «Wenn man krank war, musste man trotzdem arbeiten – oder die Stunden nachholen», sagt sie. Dies belegt auch ein Whatsapp-Chat, der BLICK vorliegt, aber nicht gezeigt werden kann, weil sonst die Identität der Mitarbeiterin bekannt würde. «Mir fehlte das Menschliche», sagt K.
Wenn es ums Geld ging, kannte Lolipop kein Pardon. Wenn am Abend zu wenig Geld in der Kasse war, hätten die Angestellten den Fehlbetrag selbst ausgleichen müssen. «Ich musste mehrfach in die eigene Tasche greifen», berichtet K.
Unbezahlte Rechnungen, über 130 Betreibungen
Immerhin: Der Lohn sei jeweils pünktlich eingetroffen. Auch sonst haben die Angestellten nichts von den Problemen gewusst – obwohl Lolipop schon länger in finanzieller Schieflage war.
«In der Zentrale hiess es damals oft, es gebe Lieferschwierigkeiten bei gewissen Produkten», erzählt K. Sie fragt sich jetzt, nachdem sie in der Zeitung vom Bankrott erfuhr: Waren die «Lieferschwierigkeiten» eigentlich ein Lieferstopp des Zulieferers, weil Lolipop die Rechnungen nicht bezahlte?
Klar ist: Von 2018 bis 2020 flatterten Firmenchefin Bisaz mehr als 130 Betreibungen ins Haus. Zahlungen unbeglichener Rechnungen in Höhe von 970'000 Franken wurden eingefordert.
Firmenchefin streitet Vorwürfe kurz und knapp ab
Der Neustart am 1. April steht unter schlechten Vorzeichen. Konfrontiert mit den Vorwürfen ihrer Ex-Mitarbeiterin und den BLICK-Recherchen, streitet Bisaz ab. «Ich kann versichern, dass wir immer alles unternommen haben, um bezüglich Qualität und Hygiene höchsten Ansprüchen zu genügen», schreibt sie in einem knappen Statement zu den vielen Vorwürfen. «Wir haben bei Lolipop stets alle Vorgaben der zuständigen kantonalen Behörden eingehalten und wurden von diesen auch kontrolliert.»
* Name der Redaktion bekannt