180 Mitarbeiter von Bieler Sozialfirma betroffen
Bern streicht den Ärmsten den Extra-Franken

Weil der Kanton eine Verordnung angepasst hat, müssen die Angestellten der Bieler Sozialfirma Gadplus den Gürtel enger schnallen. Sie leben sowieso schon am Existenzminimum.
Publiziert: 17.09.2020 um 23:10 Uhr
1/7
Arbeiterin von Gadplus: Fast 200 Sozialhilfebezüger arbeiten für Gadplus, weit über 100 stehen auf der Warteliste.
Foto: zVg
Marc Iseli

Die Arbeiter in der Bieler Sozialfirma Gadplus wissen es zum Teil noch gar nicht. Aber spätestens Ende Jahr erhalten sie weniger Geld für ihre Arbeit. Statt eines Einkommensfreibetrags soll nur noch eine Integrationszulage fliessen, wie der Kanton bestätigt. Heisst im Klartext: Bis zu 300 Franken weniger im Portemonnaie.

180 Personen sind betroffen. Ihr Budget war ohnehin schon knapp. Bei Gadplus arbeiten nur Sozialhilfeempfänger. Die Firma ist ein Pilotprojekt mit Vorbildcharakter. Das oberste Ziel: die berufliche Integration.

Die Arbeiter bei Gadplus sind Langzeitarbeitslose. Oft sind sie schon etwas älter und bringen eine schwierige Biografie mit sich. Aber in den Augen der Behörden haben sie eine Chance verdient. Sie zeigen eine gewisse «Grundarbeitsfähigkeit und Motivation», wie es im Verwaltungsjargon heisst.

Angst um die Existenz

Der Job gibt den Arbeitern eine Struktur. Über 100 Personen stehen auf der Warteliste für eine Anstellung bei Gadplus, denn die Arbeit sorgt auch für etwas Luft im Portemonnaie. Die Angestellten leben allesamt am Existenzminimum. Ihr Einsatz bei Gadplus sicherte ihnen bislang ein paar Hunderter extra im Monat.

Jetzt die Streichung. Hintergrund ist eine Änderung in der Sozialhilfeverordnung. «Einmal mehr wird bei den Falschen gespart», sagt ein Betroffener. Er hat vor einiger Zeit seine Stelle im ersten Arbeitsmarkt verloren, ist ausgesteuert, hat Hunderte Bewerbungen verschickt – ohne Erfolg. Bei Gadplus übernimmt er Arbeiten für eine weltweit agierende Organisation mit Millionenbudget.

Der Einkommensfreibetrag sicherte die Existenz. Er war aber auch Wertschätzung und Antrieb. «Bis jetzt war das für mich Motivation, jeden Morgen aus den Federn zu kommen und mich in meiner Aufgabe völlig einzubringen», so der Gadplus-Angestellte. «Ich bin oft an meinen freien Tagen in die Firma gegangen.»

100 statt 400 Franken

BLICK konfrontiert SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (57) mit den Aussagen. Eine Sprecherin seiner Sozialdirektion weist einzig darauf hin, dass nicht ersatzlos gestrichen werde. Neu würde eine Integrationszulage ausgezahlt. Macht unterm Strich maximal 100 Franken extra im Monat – statt bis zu 400 Franken.

«Die Vergabe der Einkommensfreibeträge wurde durch eine Änderung der Sozialhilfeverordnung im Rahmen der Neustrukturierung des Asylwesens neu geregelt», heisst es zur Begründung. «Tätigkeiten im zweiten Arbeitsmarkt, die ‹geschützte› und vom Kanton finanzierte Einsätze anbieten – so wie Gadplus –, erfüllen die Merkmale und Anforderungen nicht mehr.» Der Kanton äussert kein Wort des Bedauerns.

Immerhin: Der Geschäftsführer von Gadplus sieht die missliche Lage seiner Angestellten. «Wir respektieren den Entscheid des Kantons», sagt Iso Etoski (32). Aber: «Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie für alle anderen Menschen im zweiten Arbeitsmarkt ist er bedauerlich, weil sie auf jeden Franken angewiesen sind.»

Einkommensfreibetrag: Anreiz zur Arbeit

Die Idee des Einkommensfreibetrags ist es, einen Anreiz zur Arbeit zu setzen. Wer auf Sozialhilfe angewiesen ist, gleichzeitig aber auch arbeitet, soll unterm Strich besser dastehen als eine Person, die voll auf Sozialhilfe setzt. Ein Beispiel: Die Frau arbeitet 100 Prozent, der Mann ist arbeitslos. Das Einkommen liegt bei 3200 Franken pro Monat. Die Sozialhilfe zahlt weitere 800 Franken, weil das Existenzminimum für ein Ehepaar bei 4000 Franken liegt. Der Kanton zahlt für das 100-Prozent-Pensum zudem einen Einkommensfreibetrag von 400 Franken. Total erhält das Ehepaar 4400 Franken. Ein Ehepaar, das voll auf Sozialhilfe angewiesen ist und gar nicht arbeitet, bekommt aber nur 4000 Franken.

Die Idee des Einkommensfreibetrags ist es, einen Anreiz zur Arbeit zu setzen. Wer auf Sozialhilfe angewiesen ist, gleichzeitig aber auch arbeitet, soll unterm Strich besser dastehen als eine Person, die voll auf Sozialhilfe setzt. Ein Beispiel: Die Frau arbeitet 100 Prozent, der Mann ist arbeitslos. Das Einkommen liegt bei 3200 Franken pro Monat. Die Sozialhilfe zahlt weitere 800 Franken, weil das Existenzminimum für ein Ehepaar bei 4000 Franken liegt. Der Kanton zahlt für das 100-Prozent-Pensum zudem einen Einkommensfreibetrag von 400 Franken. Total erhält das Ehepaar 4400 Franken. Ein Ehepaar, das voll auf Sozialhilfe angewiesen ist und gar nicht arbeitet, bekommt aber nur 4000 Franken.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.