8 aus 67'000 Turnern
Farbkessel, Knochen und James Bond

Das Eidgenössische Turnfest vereint Sport-Tradition mit 
 Moderne, Jung und Alt, Gross und Klein. 67'000 Turnerinnen und Turner zeigten in Aarau ihr Können. SonntagsBlick pickte sich acht heraus und stellt sie vor.
Publiziert: 23.06.2019 um 01:06 Uhr
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Turnerin Erika Stäuble (50) beim Steinheben.
Foto: Sven Thomann
Cécile Klotzbach (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Farbkessel als Kraftquelle

Erika Stäuble (50),TSV Mettauertal (AG): Eigentlich sieht Erika Stäuble zierlich aus. Eher drahtig als kräftig. Aber wenn die 50-Jährige den grossen, schweren Stein auf einem Arm in die Höhe stemmt, zeigt sich deutlich, wie muskulös die Turn-Seniorin ist. Im Wettkampf stemmt sie 10 Kilo – für das Foto mit SonntagsBlick traut sie sich noch fünf Kilo mehr zu, damit das Bild eindrücklicher aussieht.

Seit vier Jahren macht Erika das mit ihren Vereinskolleginnen Nadja, Gaby und Luzia. «In unserem Verein üben nur wir vier das Stein­heben aus, die anderen schaffen das nicht.» Sie trainiere ein bis zwei Mal die Woche, neben Steinheben bestehe ihr Vereinsturnen aus Fit+Fun und anderen Spielen. Gewichte stemmt sie nicht – woher hat Erika Stäuble dann die Kraft? Sie klärt auf: «Ich arbeite als Malerin auf dem Bau, da schleppe ich viele schwere Farbkessel rum.»

Sein halbes Leben gehört dem Turnverein

René Keller (74),FSG Alle (JU): Das rote Vereins-Liebli verrät sofort, wo er hingehört: zum FSG Alle, einem traditionsreichen Turnverein im Jura. Dazu trägt René Keller aber Jeans. Die Turnhosen hat der 74-jährige Pensionär vor einiger Zeit abgelegt. Getragen hatte er sie lange Zeit: Zum 11. Mal geniesst der Jurassier ein Eidgenössisches Turnfest!

Fünfmal war er als Aktiver dabei, andere Male als Präsident seines Vereins – das Amt hat er 17 Jahre lang ausgeübt. Der Sport reduziert sich beim rüstigen Senior zwar auf die täglichen Spaziergänge mit seinem Hund. Für seinen Turnverein ist der heutige Vizepräsident aber nach wie vor jederzeit da. «Den Wettkampf überlasse ich den Jungen, aber ich helfe da, wo es mich braucht – in der Küche, im Komitee oder bei Anlässen wie diesem hier», so Keller.

Er widme sein Leben zur Hälfte dem Turnverein. Sagts und schart die gesamte nach Aarau gereiste Gruppe – inklusive seinem Sohn, der die Vereinsflagge trägt – für ein Gruppenfoto hinter sich. Begeistert ruft Keller: «Das ist meine zweite Familie!» 

Knochen statt Keulen

Loanne Roch (15),Vétroz Gymnastes (VS): Turnen ist bei den Rochs Familiensache. Loannes Mama ist die Trainerin, Cou­sine Eléa (18) ihr Pendant auf der Bühne. Die Mädchen aus Vétroz im Wallis sind als Skelette verkleidet – ihre Knochen sind gruselig abnehmbar und fliegen anstelle der üblichen Keulen durch die Lüfte. Beim derzeitig starken Wind, der einen Sturm über Aarau ankündigt, ist es kein einfaches Unterfangen, sich die leichten Knochen präzise zuzuwerfen.

«Trotzdem lief es ganz gut», zieht Loanne nach der fehlerfreien Vorführung Bilanz. Ein gutes Zeichen, denn ihre Ansprüche sind hoch: Letztes Jahr wurde die Hobby-Turnerin Schweizer Meisterin im Einzel und Zweite im Paarwettkampf. «Besser gehts für mich nicht – es ist die höchste Kategorie unterhalb der Profis.» Und auch an der «Fête Fédéral» geht s nicht besser: Die beiden Cousinen holen in ihrer Kategorie prompt Gold!

Fünf Brüche nach Rückwärtssalto

Mischa Schranz (15), Turnverein Siebnen (SZ): Er trägt zwar das T-Shirt seines Turnvereins Siebnen. Aber dass er heute keine Salti dreht, ist unübersehbar: Mischa Schranz sitzt im Rollstuhl – zum Glück aber nur vor­übergehend. Es passierte vor vier Wochen, beim ersten offiziellen Training für das Eidgenössische Turnfest. «Beim Ringturnen wollte ich mit einem Rückwärtssalto abspringen und fiel dabei erst über die Matte, schlug dann hart auf dem Boden der Turnhalle auf», erklärt der 15-jährige Horgener, der seit sechs Jahren Kunst- und seit zwei Jahren Geräteturnen ausübt.

Die Folgen des Sturzes: Vier­facher Bruch des Mittelknochens im linken Fuss, das Wadenbein ist auch gebrochen. Rechts riss er sich Bänder und zog sich einen Knochenanbruch zu. Mindestens drei Monate muss Mischa pausieren. Für die Herbstwettkämpfe will er wieder fit sein, die Quali für die nächste Schweizer Meisterschaft schaffen. Seine Vereinskollegen beim Fest in Aarau anfeuern, das kann der ambitionierte Turner indes schon jetzt. Sein Ziel ist, in sechs Jahren selbst die nächste Chance zu packen.

Das Vorbild bleibt Ronaldo

Nico Peter (9), TSV Röschenz (BL): Der aufgestellte Neunjährige aus dem Laufental turnt, seitdem er mit der Mama ins Muki-Turnen ging. Nico ist beeindruckt von dem riesigen Fest mit den vielen Athleten und er findet es «mega cool» hier. Dazu freut er sich, dass er von SonntagsBlick als einer unter rund 70 000 Teilnehmern am Eidgenössischen entdeckt und auserwählt wurde. Der Beginn einer grossen Turnkarriere? Nicht unbedingt.

Er springt zwar locker bis vier Meter weit und ist laut der Vereinsführung einer der Schnellsten seines Jahrgangs, wie auch die heutige Pendelstafette zeigt. Aber der kleine Kraftprotz will lieber Fussballer werden, wenn er gross und noch stärker ist. Im Fussballklub Röschenz ist Nico Stürmer. Sein Vorbild: Ronaldo, wer sonst.

Schon zum siebten Mal dabei

Jörg Anliker (50), TV Wolhusen (LU): Zum siebten Mal nimmt der Vollblut-Turner Jörg Anliker an einem Eidgenössischen Turnfest teil. Das erste Mal erlebte er es 1984 in Winterthur, als er 15 war. «Dass es so viele verschiedene Sportarten und so viele Menschen aus allen Landesteilen der Schweiz zusammen an einem Anlass gibt, ist etwas weltweit Einmaliges», schwärmt der 50-Jährige.

Er und seine Vereinskolleginnen und -kollegen vom TV Wolhusen messen sich heute im Fachtest Allround, wo mit kleinen Holz-Schlägern Beach oder Goba gespielt wird. Diese Sportart läuft nicht unter Leichtathletik, es ist eine eigene Abteilung. «Für die Polysportiven in den Turnverbänden», erklärt Anliker, «es geht um Ballspiel, Reaktion und Geschicklichkeit.» Nach den Vereinswettkämpfen wird das Vereinsleben an einem der zahlreichen Feststände munter weitergepflegt. Anliker: «Am Abend haben wir es auch immer sehr lustig miteinander ...»

Die lila Grazie

Fabia Lendi (25), Gymnastik Vilters (SG): In ihren auffälligen, lilafarbenen Tenüs, die sie gekauft, aber selbst mit Strass und Tüll verziert haben, fallen Fabia Lendi und ihre Gymnastik-Partnerin Mona Nastasi schon von weitem auf. Und auch auf der Bühne, wo sie ihre durch Musik untermalten Übungen mit langen rosa Bändern vorführen, machen sie eine äusserst hübsche, elegante und grazile Figur. «Es hätte besser sein können», sagt Fabia noch immer etwas ausser Atem, «ich war wohl etwas zu aufgeregt, um die ganze Leistung abzurufen.»

Sie ist zwar nur mässig zufrieden, gibt letztlich aber zu, dass es auch hätte schlechter sein können. Am Ende werden die 25-Jährige und ihre Vereinskollegin nach zwei Darbietungen Zehnte unter 29 Paaren. Für eine Teilnahme an der Schweizer Meisterschaft im September war mindestens der achte Rang gefordert. Nicht so schlimm – das Eidgenössische hat dennoch grossen Spass gemacht. Den jubelnden Zuschauern von Fabia und Mona offensichtlich auch!

James Bond trägt die Frauen auf Händen

Pascal Beauverd (33), FSG Yvonand (VD): In seinem hautengen James-Bond-Turntenü – hochgeschlossen und mit Fliege – kommt Pascal Beauverd bei den schwülen Bedingungen unter dem Zeltdach ganz schön ins Schwitzen. Zudem hat er gerade zu James-Bond-Songs wie «Skyfall» und «Golden Eye» Trampolin-Sprünge und Flicflacs gemacht sowie reihenweise Frauen in die Luft gestemmt. «Ich wollte bewusst etwas zu einem Thema mit spezieller Kostümierung und bekannter Musik einstudieren», sagt der 33-jährige Vaudois, der gleichzeitig Trainer der Gerätekombination Yvonand ist.

Früher, unter anderem Namen, wurde seine Vereinsgruppe, die aus Frauen und Männern zwischen 15 und 38 Jahren besteht, schon fünfmal Schweizer Meister. Beauverd: «Dieses Jahr findet keine SM statt. Es geht uns mehr darum, eine gute Show zu zeigen und uns damit für Galas und andere Turnevents zu empfehlen.» In Deutschland und Italien traten sie mit der James-Bond-Nummer schon auf. Nun hat 007 auch die Lizenz fürs Eidgenössische gelöst. 

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