Es ist ein schleichendes Drama, das sich um Tennis-Legende Guillermo Vilas abspielt. Der Argentinier, der vor 44 Jahren die US Open gewann, leidet an Alzheimer. Die Zeitung «Olé» berichtete letzte Woche über Details seines Zustands.
Vilas versinkt demnach mehr und mehr im Vergessen. Seit Jahren schon plage ihn die Krankheit, beeinträchtige ihn nun mehr und mehr. Die Familie, seine Frau und vier Kinder (sein Sohn ist erst 4), schotten ihn in der Wahlheimat in Monaco ab. Körperlich sei der 69-Jährige noch auf der Höhe. Doch er könne kaum noch Gesprächen folgen und hat nur noch wenige Momente der Klarheit.
Mit dem Vergessen beschäftigt sich Vilas schon seit langer Zeit. Er kämpft dagegen an und will nach 46 Jahren das bekommen, was ihm seiner Meinung nach rechtmässig zusteht: die Position als Weltnummer 1. Er will die Geschichte umschreiben.
Die Bitte, das Ranking neu zu rechnen
Erstmals spricht Vilas in einem Interview 2007 davon. «Ich habe die ATP gebeten, das gesamte Ranking jener Jahre mit dem gleichen System wie heute zu machen, das gesamte Ranking rückwärts zu rechnen», verkündet er und fokussiert auf das Jahr 1977, eines seiner erfolgreichsten. Er gewann in dieser Saison 16 Titel, holte zwei seiner vier Major-Siege an den French Open und den US Open. Nach dem Triumph in New York jubelt er: «Mit diesem Sieg bin ich die Nummer 1, ich denke, daran kann es keinen Zweifel geben. Von den vier Major-Turnieren habe ich zwei gewonnen, Borg eines und Connors keines.»
Aber nichts da. Er wurde die Weltnummer 2, mehr lag nicht drin. Jimmy Connors und Björn Borg standen ihm vor der Sonne.
Das Problem: In jenen Jahren war das Tennis in drei parallele Tours zersplittert. Es gab den Grand Prix, das World Championship Tennis (WCT) und das World Team Tennis (WTT). Doch nicht alle hatten das gleiche Gewicht in der ATP-Rangliste. Vilas bevorzugte den Grand Prix und dominierte dort. Doch die meisten der 15 besten Turniere gehörten nicht zu dieser Tour, zählten aber umso mehr für das damals sehr komplizierte ATP-Ranking, das aus Durchschnittswerten errechnet wurde.
Also blieb Vilas der Tennis-Thron verwehrt. Der 62-fache Champion fühlt sich bis heute um etwas beraubt, das er sich damals verdient hat. Er gewann in diesem Jahr den besagten Grand Prix. Er lag auch in der offiziellen Preisgeldrangliste mit 766'065 US-Dollar gegenüber 428'919 für Connors an der Spitze.
Ein Journalist startet «Project V»
Als 2007 das Interview erscheint und seine Forderung publik wird, reagieren ATP und ITF fast gleichzeitig: «Das können wir nicht machen.» Doch bald darauf kommt der Fall von Evonne Goolagong ans Licht. Weil fehlende Dokumente aufgetaucht sind, wurde die Australierin nachträglich zur Nummer 1 erklärt, für zwei Wochen 1976.
Das sorgt für grosse Wellen, und der argentinische Tennisjournalist Eduardo Puppo wird mobilisiert. Was für Goolagong möglich ist, müsste doch auch für Vilas machbar sein. Das «Project V» wird geboren. Puppo ist wie besessen. Mit Hilfe eines rumänischen Mathematikers beweist er, dass Vilas die Nummer 1 gewesen war. Allerdings im Jahr 1975 und nicht 1977. Puppo entdeckt, dass bestimmte Turniere nicht korrekt gezählt wurden.
Er überreicht 2014 dem damaligen Präsidenten Chris Kermode 1119 Seiten Beweismaterial. Vilas werden daraufhin drei weitere Titel anerkannt, der Status als Nummer 1 aber nicht. Aus Angst vor einer Kettenreaktion, so die Begründung.
Der Kampf geht aber weiter, wird sogar in der Netflix-Dokumentation «Guillermo Vilas – Settling the Score» aufgerollt. Puppo gibt nicht auf für Vilas, zwischen den beiden hat sich längst eine Freundschaft entwickelt. Der neue ATP-Boss Andrea Gaudenzi scheint dem Thema gegenüber aufgeschlossener zu sein. Die Zeichen mehren sich, dass Vilas seinen Platz auf dem Tennis-Thron doch noch erhält – und Vilas doch nicht ganz in der Vergessenheit verschwindet.