Hat Sie der Federer-Verzicht auf Roland Garros überrascht?
Ja und nein. Es wurde ja gemunkelt, dass es so herauskommen könnte. Diese Entscheidung hat auf beide Seiten fallen können. Eine Gefühlssache, denke ich.
Wie schätzen Sie den Entscheid ein?
Aus meiner Position ist das schwierig zu beurteilen. Ich kann mir vorstellen, dass er sich sagte: «So gut, wie es bis jetzt gelaufen ist, so gut geht es auf Sand nicht.» Da lohnt es sich nicht, das Spiel umzustellen.
Bis zum nächsten Turnier in Stuttgart ab 12. Juni wird Federer eine Pause von zehn Wochen eingelegt haben. Ist das sinnvoll?
In seinem Fall scheint es keine grosse Rolle zu spielen. Er findet den Tritt so schnell wieder.
Nun müssen wir aus Schweizer Roland-Garros-Sicht Stan Wawrinka die Daumen drücken. Auch wenn es ihm auf Sand noch nicht rund läuft.
Das soll bei ihm ja nichts heissen. Stan ist über drei Gewinnsätze stärker als über zwei. Es ist zudem immer so, dass man inspiriert wird, wenn man an einen Ort zurückkommt, an dem man viel Erfolg hatte. Dies wird bei Stan definitiv der Fall sein. Er muss in den ersten paar Runden in Fahrt kommen. Wenn er so in einen Lauf gerät, liegt absolut etwas drin.
Woran haperts bei ihm denn zurzeit?
Grundsätzlich ist die Marge bei den Männern extrem klein. Klar hat es auch viel mit Selbstvertrauen zu tun. Zum Beispiel im richtigen Moment ein Ass zu servieren oder die Rückhand optimal zu treffen. Es braucht manchmal nicht viel. Ein Aha-Erlebnis reicht. Wie an den US Open letztes Jahr. Stan wehrte in der 3. Runde einen Matchball ab, fand darauf den Rhythmus im Turnier und spielte sich bis zum Titel. So etwas sieht man in der Geschichte des Männertennis oft.
An der Weltspitze halten sich die Ü30-«Oldies» immer noch eindrücklich. Ist die junge Generation um Dominic Thiem (23) oder auch Alexander Zverev (20) schon reif für den grossen Coup in Paris?
Absolut. Sie haben gezeigt, dass sie die Grossen schlagen können. Hinter Nadal, der natürlich Favorit ist, ist das Feld der French Open aber so offen wie selten.
Düsterer siehts momentan bei den Schweizerinnen aus. Bencic verletzt, Golubic nicht in Form und Bacsinszky eine Wundertüte.
Bei Timea fehlen sicher genügend Matches gegen Topspielerinnen. Sie ist aber auch eine, die besser spielt, je öfter sie auf den Platz kann. Das ist der Vorteil an Grand Slams. Mit einer guten Auslosung kann man sich in den ersten Runden ins Turnier spielen. Vor allem, wenn man als Gesetzte am Anfang gegen auf dem Papier schwächere Gegnerinnen antreten darf.
Im Herbst testet die ATP bei den U21-Finals neue Regeln. Stichwort: Sätze auf vier Games, kein Vorteil mehr bei Einstand, striktere Zeit-Vorgaben und so weiter. Was halten Sie von diesen Plänen?
Es macht definitiv Sinn, die Zeit vor einem Match zu beschleunigen. Im Durchschnitt geht es zu lang, bis etwas passiert. Man sollte bei Regelanpassungen unterscheiden zwischen Grand Slams und anderen Turnieren. Die grossen Spiele, an die man sich erinnert, sind die langen an den Grand Slams. Bei Fünfsätzern kommt die physische Komponente hinzu. Es braucht je nach Turnier eine andere Formel. Wie in anderen Sportarten auch.
An welche denken Sie?
Nehmen wir Snooker. Bei der WM gehts teilweise über Best-of-35-Frames und an anderen Turnieren wieder nur über Best-of-9. Das Spiel an sich bleibt in den Grundzügen gleich.
In Paris werden Sie wieder für SRF im Einsatz stehen. Nach dem Abgang von Ski-Russi sind Sie der amtsälteste Experte. Erinnern Sie sich noch an Ihre TV-Anfänge?
Keine Ahnung. Das muss ewig her sein, so um 1987. Ich mag mich erinnern, dass ich noch zusammen mit dem legendären Gody Baumberger in der Kabine sass.
Wie lange hören wir Sie noch am TV?
Ganz ehrlich, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich hoffe, ich kann dabei bleiben, so lange die Schweizer noch so gut spielen. Es macht extrem Spass zu kommentieren.
Ist die TV-Arbeit anders als noch vor 30 Jahren?
Nein, grundsätzlich nicht. Es hängt davon ab, mit wem du kommentierst. Mein Credo ist immer, ein optimales Team zu bilden. Man passt sich an. Der Hauptunterschied ist, dass wir bei SRF heute viel mehr Stunden senden.
Welches Spiel ist für Sie das legendärste, das Sie kommentierten?
Zu den epischsten gehört sicher der Wimbledon-Final 2008 (Nadal schlug Federer in fünf Sätzen, Anm. der Red.) Leider mit dem falschen Sieger. Mit den vielen Regenpausen zog er sich über Stunden hin, bis es dunkel wurde. Damals gabs noch kein Dach auf dem Centre Court. Mit jedem Wiederbeginn wurde ich nervöser. Allgemein finde ich es im Rückblick ein Privileg, Roger so lange begleiten zu dürfen. Er hat so viel Geschichte geschrieben.