Er beginnt mit einem Ass. Dann eine peitschende Rückhand entlang der Linie. Und ein Cross-Passierball mit der Vorhand. Mit den ersten drei Punkten dieses ersten Halbfinals in Roland Garros hat Stan Wawrinka schon sein bestes Schlagrepertoire präsentiert.
Ein Game zu Null. Und dennoch ist klar, dass es gegen Andy Murray, den besten Konterspieler dieser Welt – den derzeit bestklassierten Spieler dieser Welt – nicht in dem Takt weitergehen kann. Der Schotte ist zäh und schnell, Stan muss jeden Punkt dreimal versenken, bis er zählt.
Verpasste Chancen zu Beginn
Es gelingt ihm zunächst gut. Wenn er nur seine Chancen etwas effizienter nutzen würde! Der 32-jährige Romand geht 5:3-Führung. Doch den Satz nach Hause servieren gelingt ihm nicht. Im Tie-Break gleicht Stan erst zwei Mini-Breaks aus. Er punpt sich auf, fordert mit Gesten die Fans auf, ihm zu helfen. Doch den Satzball verwertet er trotz eigenem Aufschlag nicht. Satz 1 geht an Murray - Stan kann es sich grad noch verkneifen, sein Racket zu zertrümmern.
So einen Satz gilt es erst zu verkraften. Entsprechend hadert, grummelt und flucht der Romand vor sich hin. Wohl weil er sich wegen Murrays langen Pausen zwischen den Ballwechseln ärgert, ist auch das Wort mit F mal zu hören. Doch er bleibt dran: Mit einem brillanten Rückhand-Winner gelingt ihm das Break zum 4:3. Mit einer Vorhand, aus welcher der gesamte Frust spricht, beendet er Satz 2 mit 6:3.
In seinen 15 Sätzen bis in die Halbfinals der French Open hat Wawrinka 54 Games abgegeben. Genauso viele wie 2015, als er zwei Siege später die Trophäe in die Höhe stemmte. Ein Zufall. Aber vielleicht ein gutes Zeichen?
Anfang des dritten Satzes sieht es ganz so aus. Zweimal zieht der Westschweizer mit einem Break davon. Zweimal krallt es sich Murray wieder zurück. Es ist zum Verzweifeln: Stan diktiert, brilliert, nimmt das ganze Risiko auf sich. Und macht leider ein paar Fehler zuviel (Total 77!). Der dritte Satz geht 7:5 an den Schotten.
Stans Revanche
Düstere Erinnerungen an den letztjährigen Halbfinal kommen auf. Als Wawrinka in vier Sätzen durch einen taktisch genialen Murray ausgebremst wurde. Stan stemmt sich gegen das Déjà-vu, will die Revanche. Er macht Punkte wie von einem anderen Stern. Immer wieder ballt er die Faust, seine «Come-on!»-Rufe sind bis zur Champs-Élysées zu hören. Die Fans hat er mit seinem Spektakel im Sack. Und den vierten Satz nach einem brillanten Tie Break ebenfalls.
Murray glänzt weiter durch seine unbändige Laufarbeit. Aber Wawrinkas unbändiger Wille ist nach dem Erreichen des 5. Durchgangs stärker. Der Endspurt ist eine Gala des Schweizers – mit einem letzten Rückhand-Winner zum 6:1 geht der hochkarätige, unterhaltsame Halbfinal-Knüller nach über viereinhalb Stunden an Wawrinka.
Stan fasst seinen Sieg so zusammen: «Mental war es ein harter Kampf. Es war windig, nicht immer leicht, gutes Tennis zu spielen. Aber da waren auch unglaubliche Punkte. Er hat ein unglaubliches Defensiv-Spiel – aber das kennt man ja von Andy. Ich erwartete, dass er viel zurückbringt und war auch nicht immer happy damit. Aber er ist eben die Nummer 1.»
«Grand-Slam-Stan» steht – als ältester Roland Garros-Finalist seit Niki Pilic (1973) – in seinem vierten Major-Final, dem zweiten in Paris. Noch keines dieser grossen Endspiele hat er verloren. Zu was ist er mit seinen 32 Jahren noch fähig?
Jetzt gegen Nadal
Vor seinem Final-Gegner Rafael Nadal hat Stan Respekt, aber keine Angst: «Nadal auf Sand, in Roland Garros, im Final – das ist wohl die grösste Herausforderung, die es im Tennis gibt. Aber wenn der Tag kommt, liegt der Druck auf beiden. Klar, ist er der Favorit und ich werde mein allerbestes Tennis zeigen müssen. Aber das gelang mir in anderen Finals ja auch schon.»
Stan ist voll des Lobes für die Zuschauer: «Mit einem solchen Publikum kann man nur gewinnen. Für mich ist es einfach unglaublich, einen zweiten Final hier spielen zu dürfen.» Und weiter: «Den will ich geniessen. Werde mich bis dahin versuchen zu erholen. Habe ja schon bewiesen, dass ich parat für die Finals bin.»