Was zwischen der positiven Dopingprobe vom 28. März 2009 in Miami und dem Freispruch vor zwei Tagen im Tribunal des Internationalen Tennisverbands ITF in London geschah, wird als «Kissing-Case» in die Tennis-Annalen eingehen. Eine Geschichte, bei der sich einem die Gummisohle biegt. Der 23-jährige Tennisstar Richard Gasquet, ehemals Nummer 7 der Welt, wird sich einen Schranz lachen. Und nebenbei seinen Ruf als Schlitzohr und Frauenheld zementieren. Was geschah:
Eine Entzündung in der rechten Schulter zwingt Gasquet, beim Turnier in Key Biscayne Forfait zu geben – dummerweise vergisst er, dies den Turnierverantwortlichen gleich bekannt zu geben. Vorher hängt er noch im Nachtklub «SET» in Miami ab, wo am Abend des 27. März Bob Sinclar ein Konzert gibt. Am nächsten Tag – inzwischen gibt er sein Forfait bekannt – muss Gasquet noch schnell zur
Dopingkontrolle.
Wegen seiner Schulter pausiert der Franzose knapp einen Monat. Erstmals spielt er wieder am Turnier in Rom, scheidet aber bereits in der zweiten Runde aus und checkt am 1. Mai am Flughafen Fiumicino in Rom Richtung Paris ein. Noch vor seinem Abflug wird er per Handy informiert, dass der Dopingtest positiv ausgefallen sei. Am 10. Mai wird es öffentlich: In Gasquets Körper wurden 151 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) Kokain gefunden. Der Internationale Tennisverband sperrt Gasquet provisorisch für zwölf Monate. Der Spieler beteuert seine Unschuld.
Am 29. und 30. Juni geben Gasquet, sein Rechtsberater und sein Arzt dem aus drei Anwälten bestehenden Doping-Tribunal eine Erklärung ab, wie das Kokain in den Körper des Tennisprofis gekommen sei: An jenem Abend, als er den Klängen von Bob Sinclar in der Disco «SET» in Miami gelauscht habe, sei es zu einer spontanen Knutscherei mit Pamela gekommen, einem Mädchen, das er zufällig angetanzt habe.
Und wie man das halt so macht beim Knutschen mit fremden Mädchen, hat Gasquet offenbar mitgezählt. Ob mit den Fingern oder auf Papier ist nicht bekannt, doch erinnern tut er sich noch genau: «Es kam zu sieben Küssen, alle zwischen fünf und sieben Sekunden lang.» Dazwischen sei Pamela einmal für längere Zeit aufs Klo verschwunden, vermutlich um sich «nachzupudern». Denn sie, nicht er, behauptet Gasquet, habe gekokst. Er habe also indirekt und unwissentlich «eine Nase» bekommen, will heissen: eine Linie reingezogen. Nämlich übers Knutschen.
Bei den Ermittlungen streitet die zufällig geknutschte Pamela ab, gekokst zu haben. Aber ihre Freundin Francesca, die sich an jenem Abend ebenfalls Bob Sinclar zu Gemüt führte, sei eine bekennende Kokserin. Gasquet seinerseits versichert, nur mit Pamela im Schnitt «fünf bis sieben Sekunden» geknutscht zu haben, aber nicht mit Schnupfnase Francesca. Alles klar?
Am 15. Juli veröffentlicht das Gericht auf 38 Seiten sein Urteil. Fazit: Die Wahrscheinlichkeit, dass Pamela ebenfalls gekokst habe, sei gross, Gasquets Erklärung also irgendwie plausibel. Der Spieler scheint, so das Tribunal, «eine schüchterne, reservierte, ehrliche und integere Person mit gutem Charakter zu sein», jedenfalls kein Lügner oder Drogenkonsument. Die gefundenen Kokain-Spuren sind zudem sehr gering, vergleichbar mit der Menge eines Salzkorns. Eine jährige Sperre sei deshalb ungerecht und unverhältnismässig, zweieinhalb Monate Strafe würden genügen.
Kurz: Die heutige Weltnummer 32 darf ab dieser Woche wieder Tennis spielen. Gasquet erhält ausserdem seine 37 500 Euro Preisgeld sowie 100 ATP-Punkte aus den unmittelbar vor der Sperre gespielten Turnieren in Barcelona und Rom zurück.
Erinnerungen an den Fall Hingis
Und wie war das noch bei Martina Hingis?Die Schweizerin wurde am 29. Juni 2007 in Wimbledon positiv auf Kokain getestet – obwohl bei ihr eine kleinere Menge der verbotenen Substanz nachgewiesen wurde als bei Gasquet. Hingis streitet den Konsum bis heute vehement ab, wurde aber vom Tribunal-Vorsitzenden Tim Kerr – der gleiche Richter wie im Fall Gasquet – zu zwei Jahren Sperre verdammt.
Hingis stellte darauf definitiv ihren Schläger in die Ecke. Das seit der positiven Dopingprobe erspielte Preisgeld von 212 000 Franken musste sie zurückzahlen. Hingis, die eine der erfolgreichsten Karrieren im Frauentennis überhaupt vorweisen kann, ist bis heute von allen Turnieren und Tennis-Veranstaltungen weltweit ausgeschlossen.