BLICK: Wann orientierte Martina Hingis Sie über ein mögliches Comeback?
MARIO WIDMER: «Dieser Reifeprozess dauerte bei ihr rund ein Jahr. Mit verschiedenen Exhibitionspielen wollte sie sehen, ob ihre Füsse der Mehrbelastung wieder gewachsen sind. Mit dem Team-Tennis in den USA ist sie dann wieder ein Stück näher an den Leistungssport gekommen. Voraussetzung für die Rückkehr auf die WTA-Tour war aber, dass ihre Füsse ein intensives Training zulassen.»
Diese Frage machte eine nochmalige ärztliche Abklärung notwendig.
«Ich glaube, die Problematik mit ihren Füssen ist in der Öffentlichkeit nicht richtig dargestellt worden.»
Welches ist denn die richtige Darstellung?
«Martina hatte mit ihren Füssen ja verschiedene Probleme, die alle miteinander zusammenhingen. Das Hauptproblem waren aber ausschliesslich die Entzündungen in den Fersenbeinen, die wahrscheinlich vom zu vielen Tennisspielen herrührten. Korrekt spricht man von einem Fersensporn – die zwischen Knochen und Haut liegende Fettschicht wird zu stark in Anspruch genommen. Klar ist auch, dass die Bänderoperationen Martina nie zum Rücktritt gezwungen haben, sondern einzig und alleine dieser Fersensporn.»
Sind denn wirklich die Schuhe des früheren Ausrüsters Tacchini für diesen Fersensporn verantwortlich?
«Wir befinden uns im professionellen Sport und das Tacchini-Problem ist gelöst. Man hat sich in einem Vergleich geeinigt und gleichzeitig ein beidseitiges Stillschweigen vereinbart.»
Tacchini hat also ein nettes Sümmchen bezahlt?
«Wie gesagt, wir haben Stillschweigen vereinbart. Und Martina ist mit ihrem heutigen Ausrüster, Adidas, bestmöglich bedient.»
Martinas Mutter Melanie Molitor betreibt erfolgreich eine Tennisschule. Hat sie wegen des Comebacks zusätzlichen Stress?
«Selbstverständlich, das ist auch eines der grösseren Probleme gewesen, die wir zuerst lösen mussten und teilweise immer noch lösen müssen. Melanie ist eine höchstprofessionelle Trainerin und würde nie etwas Angefangenes einfach aufgeben. Sie wird vorerst schauen, wie lange Martina weiterhin Freude am Tennis hat, wie sich die Situation um ihre Füsse verhält und wie sehr sie an Martinas Seite noch nötig ist. Früher war Martinas Spiel eine Art Fernlenkung durch Melanie. Heute spielt sie aus eigenem Antrieb und eigenem Willen, was eine neue und interessante Phase in ihrem Leben darstellt.»
Hat sich Ihre Manager-Rolle verändert? Sind Sie heute eher ein väterlicher Freund von Martina?
«Meine Rolle hat sich nicht gross verändert. Ich spielte nie eine klassische Managerrolle, auch war ich nie ein väterlicher Freund. Ich war und bin in diesem Team einfach eine ideale Ergänzung. Melanie ist für mich in sportlicher Hinsicht ein Genie. Sie hat die Gabe zu wissen, wie man in einem Jahr Tennis spielen wird.»
Sind Sie eigentlich nervös, wenn Martina spielt?
«Ich bin wahnsinnig nervös, weil ich sie nicht verstehe. Ich verstehe den Frauensport nicht.»
Wie meinen Sie das?
«Eine Frau wird Mutter und lässt so unsere Gesellschaft überleben. Emotional funktioniert sie anders als ein Mann. Als logisch denkender Mann kann ich da vieles nicht verstehen. Deshalb bin ich immer extrem nervös, wenn Martina spielt. Weil ich nie weiss, was sich in ihr abspielt.»
Sind Frauen weicher als Männer?
«Sie sind leistungsfähiger. Frauen können unheimliche Strapazen aushalten.»
Was kann Martina Hingis in diesem Jahr erreichen?
«Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Denn wer nach einer Pause in den Sport zurückkehrt, ist ein neuer Mensch, der mit altem Talent arbeitet. Und diese neuen Menschen müssen versuchen, neue Methoden zu finden. Denn im Leben entwickelt sich alles weiter. Ich glaube, dass Martina eine der besten Tennisspielerinnen ist, die es je gegeben hat. Ich weiss aber nicht, was während eines Grand-Slam-Turniers passieren wird – wenn irgendwann die Füsse zu brennen beginnen, wenn man schlecht schläft, wenn man vielleicht wegen der Menstruation auch noch Kopfschmerzen bekommt. Es ist unmöglich zu sagen, wie erfolgreich Martina nochmals sein wird.»
Wenn, wenn, wenn... Wie weit kommt Martina, wenn alles stimmen sollte?
«Wenn ihre Füsse sie nicht im Stich lassen und wenn sie weiterhin diese Freude am neu entdeckten Tennis zeigt, dann kommt Martina nochmals sehr weit.»