«Er ist ein Superstar», hatte Roger Federer ein paar Tage vor seinem Out gegen Rafael Nadal in Paris voller Überzeugung über Dominic Thiem gesagt, «ein Superstar!» Das war auch bevor der Österreicher in einem über zwei Tage dauernden Fünfsatz-Halbfinal mit Wind und mehreren Regenunterbüchen eine völlig entnervte Weltnummer 1 nach 26 Siegen in Serie aus dem Turnier wirft und Novak Djokovic von dessen zweiten Karriere-Grand-Slam abhält (6:2, 3:6, 7:5, 5:7, 7:5).
Es war Rogers Reaktion auf eine kleine Episode, die grosse Wellen warf. Als Thiem während seiner Pressekonferenz für Super-Superstar Serena Williams, die nach ihrer Niederlage möglichst schnell die Anlage verlassen wollte, den Interviewsaal räumen musste. «Geht gar nicht», wollte der Schweizer damit sagen und äffte seinen Tennis-Kumpel mit dessen eher bodenständig, statt glamourös wirkenden Ösi-Akzent nach: «Ein Witz!»
Thiem reagierte im heiklen Moment tatsächlich wie ein betupfter Superstar, indem er verärgert davon lief und alle stehen liess. Arroganz und Eitelkeit ist sonst gar nicht die Art des 25-jährigen, sympathischen Lichtenwörthers. «Das hätte er vor einem Jahr noch nicht gemacht», sagt einer, der «Domi» am besten kennt: Papa Wolfgang Thiem. Wie er der «Kleinen Zeitung» verrät, sei das eine der Auswirkungen durch die Trennung von Langzeit-Coach Günther Bresnik, der seinem Sohn seit 17 Jahren alles beigebracht hat. Und der ihm diesen Februar den 39-jährigen Nicolas Massu, Einzel- und Doppel-Olympiasieger von 2004, als Temporär-Trainer ausgesucht hat. Eine folgenschwere Tat - Thiem genoss den neuen Impuls mit dem lebhaften Chilenen so sehr, dass er ihn ganz engagierte. Und Bresnik stehen liess.
Dieses Jahr soll alles besser werden
Vater Thiem, ein Freund und Trainer in Bresniks Akademie, freut sich über die frische Keckheit seines Sohnes, der in Wien-Turnierdirektor Herbert Straka und Duglas Cordero auch einen neuen Manager und einen Fitnesscoach um sich schart: «Jetzt hat er das Gefühl, dass er mal der Herr im Team ist. Der Zeitpunkt war richtig. Domi hat sich weiterentwickelt.»
Mit Verlaub, das war auch an der Zeit. Schon vor Jahren wurde Thiem als Vertreter der «Next-Gen»-Generation gehypt. Er ist mit viel Talent und Händchen ausgestattet, sein Spiel ist zugleich kraftvoll und erinnert mit der einhändigen Rückhand an Stan Wawrinka. Thiem schaffte es bis zum heutigen Platz 4 im Ranking, holte schon 13 Titel, schlug dabei auch schon Djokovic, Nadal und Federer. Aber an den prestigeträchtigen Grand Slams überliess er das Feld stets der «Hautevolee». Hier in Roland Garros erreichte er schon letztes Jahr den Final - wo er sich mit ähnlichem Resultat wie Federer am Freitag vom spanischen Sandkönig in drei Sätzen abkanzeln liess.
Ob es reicht, wissen nur die Tennis-Götter
Die heutige Reprise verspricht aber spannender zu werden. Ob es letztlich dazu reicht, Nadal von seiner 12. Krönung abzuhalten, wissen nur die Tennis-Götter. Aber der frechere Domi hat das Zeug dazu. Wie er gestern über fünf Sätze kühlen Kopf gegen den «Djoker» bewahrte, bezeugt sein neues Selbstbewusstsein. Und in Best-of-3-Matches konnte er Nadal, dem er acht Mal unterlag, immerhin schon viermal auf Sand bezwingen: in Buenos Aires (2016), Rom (2017), Madrid (2018) und zuletzt diese Saison in Barcelona.
Und nun Paris? In Nadals Stadt der Liebe hat kein Nebenbuhler leichtes Spiel. Einen kleinen Joker hat Thiem aber noch: Er ist mit Kristina Mladenovic liiert, einer Französin! Ab morgen die Nummer 1 im Doppel, heizt sie heute unmittelbar vor ihrem Freund mit Timea Babos im Final gegen Duan/Zheng auf dem Court Central das Publikum ein. Vielleicht ja zugunsten ihres Schatzes... Sicher ist: Schlägt er Nadal und wird Österreichs zweiter Grand-Slam-Sieger nach Thomas Muster (1995 in Paris), ist Thiem in aller Augen ein echter Superstar.