Tanguy Nef hat in Levi Aussergewöhnliches geleistet. Im November 2018 ist der Genfer in seinem allerersten Weltcuprennen beim Slalom-Klassiker in Finnland mit der Startnummer 40 auf den elften Rang gefahren. Eine Top-15-Rangierung bei der Weltcup-Premiere haben nicht einmal Superstars wie Marco Odermatt (28) oder Marcel Hirscher (36) geschafft.
Im darauffolgenden Winter klassierte sich Nef in Adelboden (6) und Wengen erstmals in den Top-Ten. Aber dann lernte der Sonnyboy die Schattenseiten der grossen Alpin-Bühne kennen.
Erkrankung nach Degradierung
Auf «Ground Zero» war der Slalom-Spezialist, welcher in den USA am renommierten Dartmouth College Wirtschaft und Informatik studierte, in der Saison 2022/23, als er in neun Slaloms acht Nullnummern fabrizierte! Der Sohn eines Uni-Professors wurde nach dieser Pleiten-Serie vom Weltcup-Team in die Europacup-Gruppe degradiert.
Noch schlimmer: Nef erkrankte an einer Borreliose. «Durch den Konsum von Antibiotika habe ich die Borreliose zwar weggebracht, doch ich hatte danach einen Energiemangel. Dementsprechend war für längere Zeit nicht richtig leistungsfähig.»
Der Ratschlag von Neureuther
Dennoch hat Nef in dieser Phase die Weichen für eine erfolgreichere Zukunft gestellt. Er wechselte von Head auf Atomic-Ski, auf denen er sich auf Anhieb wohler fühlte. Zudem hat der einstige Vollgas-Typ unter dem damaligen Europacup-Coach Wolfgang Auderer gelernt, dass man im Slalom auch taktieren muss. «Das war am Anfang nicht leicht für mich. Ich habe einen starken Charakter, welcher immer kompromisslos Gas geben möchte. Aber Wolfi hat mir klargemacht, dass ich konstante Ergebnisse in den Punkten brauche, um mich in der Startliste nach vorne zu arbeiten. Irgendwann habe ich das beherzigt, zumal mir auch der grosse Felix Neureuther einmal gesagt hat, dass man im Slalom nicht immer 100 Prozent fahren muss, um erfolgreich zu sein.»
Familiäres Missverständnis
Diese 90-Prozent-Strategie hat der Romand mit Appenzeller-Wurzeln im vergangenen WM-Winter weit nach vorne gebracht! Nachdem sich Nef in sieben von zwölf Weltcup-Slaloms in den Top-9 rangiert hat, fungiert er in der aktuellen WCSL-Liste auf dem neunten Platz. Damit hat er zum Auftakt in den Olympia-Winter eine Startnummer zwischen 8 und 15 auf sicher.
Beim WM-Slalom hat Tanguy mit dieser Taktik jedoch das Oberhaupt seiner Familie verwirrt. «Nachdem ich im ersten Lauf auf Platz 7 gefahren bin, hat Papa auf der Zuschauertribüne erwartet, dass im finalen Durchgang volles Risiko eingehe. Aber weil mein Rückstand eineinhalb Sekunden betrug, war mir klar, dass ich selbst mit einem Traumlauf nicht mehr Gold oder Silber klassiert. Deshalb habe ich auch in diesem Rennen taktiert, damit ich mit einem Top-10 Rang erneut wichtige Punkte für die Startliste gewinnen kann. Und das hat Papa anfänglich nicht verstanden.»
Nach diesem Rennen hat Nef ein klärendes Gespräch mit seinem Senior geführt. «Papa hat nicht gewusst, dass auch das WM-Ergebnis Auswirkung auf die Weltcup-Startliste hat. Nachdem ich ihm das erklärt habe, hat er meine Fahrweise als ‹schlau› bezeichnet.»
«Ich habe einige Dinge nicht richtig gemacht»
Missverständnisse, die zu Unstimmigkeiten geführt haben, hat es zeitweise auch zwischen Tanguy und seinen Teamkollegen gegeben. Der 29-Jährige hatte in der Schweizer-Slalomgruppe anfänglich keine Freunde. «Das war auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass ich zu einem Zeitpunkt ins Team gekommen bin, als ich noch in Amerika studiert habe», hält Nef fest. «Ich war in der Saisonvorbereitung, wo auch die Teambildung entsteht, nicht dabei. Ich habe meine Mannschaftskollegen zu wenig gut gekannt. Zudem war ich sehr jung und habe einige Dinge nicht richtig gemacht, weil ich es nicht besser gewusst habe.» Doch das ist Schnee von vorgestern. «Tanguy hat sich in der Zwischenzeit sehr gut in unserer Equipe integriert, ich verstehe mich nach anfänglicher Skepsis sehr gut mit ihm», sagt Daniel Yule.
Das spricht für einen Nef-Exploit in Levi
Einen besonders guten Draht hat Nef seit der letzten WM zu Speed-Spezialist Alexis Monney, mit dem er in der Team-Kombination die Silbermedaille gewonnen hat. «Ich hatte an diesem Tag so viel Spass mit Alexis. Die wunderbaren Emotionen nach diesem Medaillengewinn werden uns wahrscheinlich weiter über unsere Rennfahrer-Laufbahn hinaus verbinden.»
Besondere Emotionen könnte für Nef am kommenden Sonntag auch der Slalom in Levi beinhalten. «Tanguy ist in den letzten Trainings sehr schnell gefahren», weiss der Oberwalliser Slalom-Altmeister Didier Plaschy. Dass sich der 1,87 Meter-Mann vom Genfersee auf finnischem Schnee besonders wohlfühlt, hat er ja auch im Vorjahr mit dem fünften Rang bewiesen. Deshalb wäre es irgendwie logisch, wenn Tanguy Nef seinen ersten Weltcup-Podestplatz in Levi herausfahren würde.