Übrigens – die Sonntagsblick-Kolumne
Trockenes Skifahren

Fredy schwelgt in Nostalgie. Auch beim Skifahren ist nichts mehr, wie es einmal war. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Kommentieren
1/4
In Kitzbühel gibts ein Schnapsverbot.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Blick_Portrait_2631.JPG
Felix BingesserReporter Sport

Fredy sitzt mit seiner Rosmarie beim Frühstück und liest die Zeitung. Auf Papier. Dieses Stück Kulturgut lässt er sich auch durch die Digitalisierung nicht nehmen. Plötzlich blickt er auf und sagt: «Skifahren ist auch nicht mehr das, was es einmal war.»

Wie er denn auf sowas komme, fragt Rosmarie. «Mit der grossen Freiheit ist es auf und neben der Piste vorbei», sagt Fredy. Er hat gelesen, wie schon beim Saisonauftakt überall der Dichtestress ausgerufen wird. Er hat gelesen, dass eine Tageskarte in den USA 280 Dollar kostet. Und auch die Preise in den Alpen den Volkssport zum elitären Vergnügen machen.

Vor allem aber liest er, wie ständig neue Vorschriften für die Skifahrer kommen. Helmpflicht in Südtirol. Seine alte CS-Kappe hat endgültig ausgedient. In Italien muss man am frühen Morgen auch einen Versicherungsnachweis vorlegen, um auf der Piste zugelassen zu werden.

Und in Österreich wollen sie die Geister, die sie einst gerufen haben, wieder loswerden. Dem exzessiven Après-Ski, einst das Markenzeichen der Tiroler, soll der Garaus gemacht werden. Sölden führt eine alkoholfreie Zone ein. Bei den Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel gibt es ein Schnapsverbot. Kein Schnaps, das war ihr letztes Wort. Ischgl büsst seit Jahren Touristen, die am Abend mit den Skischuhen durchs Dorf spazieren.

Fredy versinkt in alten Zeiten. Als man noch in Jeans, mit wehendem Haar und Stirnband Ski gefahren ist. Er erinnert sich, wie es im restriktiven Sölden früher gewesen ist. Da hat man in jedem Sportgeschäft schon am Morgen ein Schnäpschen erhalten. Da ist Fredys Clique jeweils geschlossen hingegangen, wenn einer neue Handschuhe gebraucht hat.

Beeindruckt von solcher Gastfreundschaft haben sich Fredy und seine Kollegen zu Ehren der Tiroler vor vierzig Jahren Lederhosen gekauft. Und sind mit diesen kurzen Hosen und einer Handorgel auf dem Rücken Ski gefahren. Oder im Schottenrock mit selbstspielendem Dudelsack um den Hals. Oder haben auf der Piste ein Risotto gekocht. Alles auch zum Gaudi der Einheimischen.

In der Skihütte durfte man bis Mitternacht sitzen, um dann beim Mondschein die Talabfahrt auf einer frisch präparierten Piste zu geniessen.

«Alles vorbei», jammert Fredy. Und überlegt, was da noch kommen könnte. Muss man bald ein CO₂-Zertifikat im Rucksack mitführen, um nachzuweisen, wie man die Belastung des Skitages kompensiert? Sind die Skistöcke bald aus grünguttauglichem Bambus? Braucht es bald Blinklichter am Ärmel, um im dichten Gedränge den nächsten Rechtsschwung anzuzeigen? Immerhin gab es so etwas Ähnliches schon einmal. Bei Nebel musste man früher in Schweizer Skigebieten einst ein Glöcklein dabeihaben, um sich bemerkbar zu machen.

Aber der Skisport, sagt Fredy zu seiner Frau, wird sich eh bald in die Hallen verlagern. In Shanghai wird schon heute auf einem weissen Teppich gefahren. Das Skilaufband unter den Füssen.

Jetzt schaut er sich ein Weltcuprennen an. Da fährt ein Belgier den Schweizern um die Ohren. «Die Chinesen werden auch bald kommen», schreit er in die Küche.

Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen