Darum gehts
- Loïc Meillard startet in Sölden trotz Rückschlägen in die Ski-Saison
- Meillard praktiziert Karate und sieht Vielsprachigkeit als Chance für die Schweiz
- Der 28-jährige Skifahrer spricht fliessend Französisch, Deutsch und Englisch
Die Sölden-Story von Loïc Meillard (28) beinhaltet diverse Pleiten, Pech und Pannen. Im Vorjahr musste der Walliser mit Neuenburger Wurzeln kurz vor dem Weltcup-Auftakt auf dem Rettenbach-Gletscher Forfait erklären, nachdem er beim Einfahren einen Riss der Bandscheibenhülle erlitten hatte. Im Oktober 2023 wurde der Edeltechniker beim Riesenslalom-Klassiker Opfer von einer Fehlauslösung seiner Bindung. 2021 musste sich der grosse Bruder der Slalom-Spezialistin Mélanie Meillard im Ötztal mit dem 16. Rang begnügen.
Die einzige Sölden-Klassierung, welche Meillard aus Hérémence VS einigermassen gerecht wird, ist der fünfte Rang aus dem Jahr 2020. «Aber auch in diesem Rennen habe ich mich nicht richtig wohlgefühlt», verrät der Mann, welcher am kommenden Mittwoch seinen 29. Geburtstag feiern wird.
Saure Vorschusslorbeeren
Der langjährige Sölden-Rennleiter Rainer Gstrein geht derzeit aber fest davon aus, dass Meillard in dieser Saison von Beginn an durchstarten wird. In einem Gespräch mit Ex-Swiss-Ski- und ÖSV-Erfolgstrainer Sepp Brunner machte der einstige Slalom-Coach von Österreichs Benjamin Raich (47, 36 Weltcupsiege) deutlich, dass er sein Geld im Kampf um den Gesamtweltcup auf den Romand setzt. Gstreins Begründung: «Loïc ist derzeit der weltbeste Techniker. Und weil es in diesem Winter weniger Abfahrten im Weltcup-Kalender gibt, glaube ich, dass er dem Odermatt die grosse Kristallkugel entreissen kann.»
Meillard stossen solche Vorschusslorbeeren aber eher sauer auf. «Es ist viel zu früh, um über den Gesamtweltcup zu reden. Natürlich ist der Gewinn dieser Kristallkugel irgendwann mein grosses Ziel. Aber wenn ich jetzt schon daran denken würde, würde mich das hemmen, im ersten Rennen der Saison voll anzugreifen. Deshalb ist mein Fokus derzeit ausschliesslich auf Sölden gerichtet.»
Der körperliche Zustand ist sehr gut, aber ...
Optimal ist die Saisonvorbereitung für den zweimaligen Zweiten im Gesamtweltcup nicht verlaufen. Mitte August konnte Meillard die ersten drei Tage vom Trainingscamp in Neuseeland nicht auf den Ski stehen, weil ihm der Rücken erneut Probleme bereitet hat. Mittlerweile bezeichnet er seinen physischen Zustand zwar als «sehr gut», im selben Atemzug hält Meillard aber fest, «dass ich aufgrund der Rückenbeschwerden in Neuseeland auf den Ski weniger Kilometer gemacht habe, als ich ursprünglich geplant habe.»
Das muss aber nicht wirklich beunruhigen. Schliesslich hat Meillard vor ziemlich genau einem Jahr bewiesen, dass er weniger Trainingskilometer benötigt als der Grossteil seiner Mitstreiter. Nach dem Rückschlag in Sölden konnte er in den drei Wochen bis zum Slalom in Levi (Fin) lediglich vier Trainings auf den Ski absolvieren. Trotzdem grüsste Meillard in Finnland als Dritter vom Podest. Und drei Monate später bescherte der Ausnahme-Athlet der Schweiz bei der WM in Saalbach die erste Slalom-Goldmedaille seit 75 Jahren und seit Georges Schneider (1950 in Aspen).
Was der grosse Champion niemals tun würde
Nach diesem geschichtsträchtigen WM-Triumph wurden im Schweizer Haus in Saalbach allerdings keine überschwänglichen Partybilder geknipst, wie nach den Abfahrts- und Super-G-Galas von Franjo von Allmen und Marco Odermatt. Es gibt sogar Teamkollegen, die behaupten, dass der gelernte Bankkaufmann noch gar nie einen über den Durst getrunken habe. Wirklich nicht? Meillard schüttelt den Kopf und erinnert daran, dass er «ein absoluter Genussmensch» sei. «Deshalb kommt es auch bei mir vor, dass ich mal zu viel getrunken habe. Aber ich bin nicht der Typ, der betrunken auf dem Tisch tanzt.»
Der 1,82-Meter-Mann hat gute Manieren. «Meine Eltern haben bei der Erziehung sehr viel Wert auf ein korrektes Verhalten gegenüber den Mitmenschen gelegt. Ich habe früh gelernt, dass ich auch Menschen, die mir weniger sympathisch sind, anständig grüsse.»
Mit asiatischer Kampfkunst noch stärker?
Respekt steht auch bei der asiatischen Kampfkunst im Zentrum, welche Meillard vor etwas mehr als zwei Jahren für sich entdeckt hat: Karate.
«Im Sommer schaue ich, dass ich ein- bis zweimal in der Woche eine Einheit bei meinem Karate-Lehrer absolviere.» Den schwarzen Gurt strebt der Alpin-Held aber nicht an. «Ich habe gar keinen Gurt und ich trainiere mit meinem Lehrer auch nicht nur Karate.» In den Einheiten gehe es vom Boxen bis hin zu uralten chinesischen und japanischen Bewegungen, bei denen es vor allem um die richtige Atmung geht. «Diese Techniken bringen mich auch im Skisport weiter.»
Macht Meillard bald Schule?
Meillard punktet im Ski–Zirkus bei den internationalen Medien und Sponsoren auch mit seiner Vielsprachigkeit. Neben seiner französischen Muttersprache spricht der Slalom-König fliessend Deutsch und Englisch. Auf Italienisch kann er sich verständigen.
Eine Frage drängt sich dennoch auf: Hat es den erfolgreichsten Alpin-Romand seit Didier Cuche nie gestört, dass bei Swiss-Ski fast ausschliesslich in der deutschen Sprache kommuniziert wird? «Als ganz junger Rennfahrer fand ich es unfair, dass bei den Verbandssitzungen nur Deutsch geredet wurde. Ich habe diesen Umstand aber relativ schnell als grosse Chance betrachtet, eine weitere Sprache zu lernen.»
Deshalb kann unser Ski-Held nicht einmal im Ansatz nachvollziehen, dass in der Deutschschweiz über die Abschaffung vom Frühfranzösisch in der Schule diskutiert wird. «Wir sollten in unserem Land genau das Gegenteil einführen.»
Meillard wird konkret: «Die Schwierigkeit der Schweiz kann gleichzeitig unser grosser Pluspunkt sein. Die Vielsprachigkeit ist unumstritten mit Schwierigkeiten verbunden, aber wenn wir alle diese Sprachen lernen würden, würde das die Schweiz noch viel stärker machen.»
Der siebenfache Weltcupsieger schwärmt von einem Schulmodell in der italienischen Provinz Südtirol: «An den Schulen im Val Gardena wird nahezu jedes Fach in einer der drei Amtssprachen unterrichtet. Mathematik auf Italienisch, Geschichte auf Deutsch und Sport auf Ladinisch. Ich fände es genial, wenn wir dieses System in den Schweizer Schulen übernehmen würden.» Mit solchen Aussagen könnte Loïc Meillard wohl auch als Politiker Karriere machen.