Als Kind musste sich Wendy Holdener (26) Mal für Mal gegen ihre Brüder Steve und Kevin (5 resp. 3 Jahre älter) durchsetzen. «Sie eiferte ihnen immer nach und wollte sich nicht lumpen lassen», erinnert sich Mutter Daniela. Vielleicht rührt daher ihre unbändige Kämpfernatur. Aber physische Gewalt? Nein, das war und ist nicht Holdeners Ding. Umso mehr stört sie der neue Trend im Parallelslalom, die Doppelblock-Technik. Dabei heben die Athleten im Lauf beide Fäuste und walzen die Tore nieder. Es ist fast wie im Boxen. Brachial. «Ich finde es doof, die Tore so runterzuschlagen. Es ist wirklich nicht schön», sagt Holdener.
Man fährt einen direkteren Weg ins Ziel
Während die Boxeinlagen in Parallelrennen lange eine Männerdomäne waren – der Walliser Doppelmeter Ramon Zenhäusern (27) ist ein Grossmeister –, schwappt die Technik nun zu den Frauen rüber. Der Vorteil: Man macht schlicht weniger Meter, fährt einen direkteren Weg bis ins Ziel. Im Direktduell gegen die Konkurrentin, die gleich nebenan fährt, kann dies entscheidend sein. «Genau darum habe ich es im Herbst auch geübt», so Holdener. Die Technik sei nicht überall schneller, «aber ich muss parat sein, wenn es Passagen gibt, die sie erfordern».
Nun könnte man einwenden: Holdener zählte bislang auch mit der normalen Technik – sie umfuhr die Tore wie im Riesenslalom – zu den Besten. WM-Gold 2017 und der Olympia-Triumph 2018 mit der Mannschaft sind die grössten Beweise dafür. Holdener gewann dabei alle ihrer total acht Läufe. Warum also etwas ändern? Ihr Trainer Werner Zurbuchen: «Wendy war von den gefahrenen Zeiten immer ähnlich schnell wie jene Fahrerinnen, welche die Doppelblock-Technik anwenden. Doch die entscheidende Frage ist: Wohin entwickelt sich alles? Wir wollten vorsorgen und haben es geübt.»
Drei Vorteile zu Gunsten Vlhovas
Dabei denkt Zurbuchen an Gegnerinnen wie Petra Vlhova (Slk) – auch sie zählt wie Holdener beim Duell Frau gegen Frau zu den Besten. Ihr Vorteil: Sie ist 13 Zentimeter grösser als die Schweizerin (180:167 cm). Das ergibt für Vlhova drei Vorteile: Erstens kann sie Stangen von weiter oben herab nach unten schlagen. Zweitens sieht sie teilweise über die Torflaggen hinweg zum nächsten Tor. Und drittens läuft sie weniger Gefahr, sich an den Flaggen zu verheddern.
Holdener wird darum nicht gleich oft «boxen» wie Petra – das wäre ein Risiko. Entscheidend für sie ist ein guter Plan, wann sie das grössere Risiko zugunsten einer möglicherweise besseren Zeit eingehen will. Und wer weiss, vielleicht braucht Holdener die Boxeinlagen auch gar nicht von Anfang an. Denn: Sowohl in der Qualifikation als auch in den ersten K. o.-Duellen wäre sie wohl auch mit der bewährten Methode stark. Sie bilanziert: «Ich habe meinen eigenen Stil. Aber wenn ich die Tore wegfausten muss, kann ich auch das.»
Gestern im Super-G musste sie noch nicht boxen. «Ich hatte mir von diesem Rennen mehr erhofft. Aber es hat richtig Spass gemacht», kommentierte sie ihren 12. Rang. Mit einer gleichen Leistung wird sie heute noch weniger zufrieden sein: «Das Ziel im Parallelslalom ist das Podest.» In der Quali am Sonntagmorgen bleibt Wendy als 26. noch weit hinter dieser Zielsetzung zurück. So richtig um die Wurst gehts allerdings erst mit den Sechzehntelfinals ab 12.50 Uhr (live bei BLICK).