Marco Odermatt ist bei der Abfahrt auf der «Birds of Prey» knapp 26 Sekunden unterwegs, als Stöckli-Rennchef Marc Gisin im Zielraum erstmals leicht die Faust ballt – der Nidwaldner liegt bei der ersten Zwischenzeit zwar zurück, aber lediglich neun Hundertstel hinter dem eher überraschend starken Lokalmatador Ryan Cochran-Siegle (33). Dieser Rückstand darf deshalb als Erfolg gewertet werden, weil Odermatt in den letzten Jahren im extrem flachen Startabschnitt drei Zehntel und mehr verloren hat. Darum musste sich der vierfache Gesamtweltcupsieger bei der Abfahrt auf der WM-Strecke von 1999 und 2015 zweimal mit dem zweiten Rang begnügen.
Doch diesmal ist der 28-Jährige nicht zu stoppen. Im Steilhang nimmt er Cochran-Siegle unfassbare sechs Zehntel ab, im Ziel liegt Odermatt sechs Zehntel vor dem US-Amerikaner.
Das hat vor Odermatt nur einer geschafft
Somit schafft der Superstar vom Vierwaldstättersee neben seinem ersten Abfahrtstriumph in Beaver Creek und dem insgesamt 48. Weltcupsieg ein Kunststück, was vorher erst ein Alpin-Star geschafft hat: ein Sieg in den Saisonauftaktrennen in drei verschiedenen Disziplinen. In Sölden hat der Olympiasieger den ersten Weltcup-Riesenslalom im Olympiawinter gewonnen, in Copper Mountain triumphierte der amtierende Weltmeister im ersten Super-G. Und nun hat Odermatt die erste Abfahrt dieser Saison für sich entschieden.
«Am Mittwochabend ist mir plötzlich in den Sinn gekommen, dass ich die drei Eröffnungsrennen gewinnen könnte. In diesem Moment habe ich gedacht, dass ich vielleicht der Erste wäre, der das schafft.» In Wahrheit war Bode Miller in der Saison 2004/05 der Erste, welcher diesen disziplinübergreifenden Hattrick geschafft hat. Dafür ist Odermatt der Erste, welcher den Steilhang auf der Raubvogelpiste in Colorado in derart begnadeter Manier gemeistert hat. «Ja, meine Fahrt im Steilhang war ziemlich sicher perfekt. Aber ich habe mich auch im Startabschnitt so wohl wie nie zuvor gefühlt, was zu einem grossen Teil das Verdienst von meinem Servicemann Ivo Zihlmann war.»
Schrecklicher Sturz überschattet Sieg
Während des Gesprächs mit Blick zuckt Odermatt plötzlich zusammen. Auf der grossen Leinwand im Zielraum ist der grausame Abflug vom Slowenen Rok Aznoh zu sehen. «Shit, das sieht gar nicht gut aus», stöhnt der grosse Champion. Was ist genau passiert? Der 23-jährige Junioren-Weltmeister von 2023 donnert mit der Nummer 58 nach einem Fehler in der Linkskurve unterhalb vom Riesenslalom-Start mit 110 km/h in den Fangzaun.
Es dauert fast eine halbe Stunde, bis der Junioren-Abfahrtsweltmeister geborgen und mit dem Rettungsschlitten in Richtung Spital abtransportiert werden kann. Eine genaue Diagnose liegt noch nicht vor, aber Christian Höflehner, Rennchef von Aznohs Ausrüster Atomic, gibt vorsichtig Entwarnung: «Rok war beim Abtransport bei Bewusstsein und ansprechbar. Das macht uns Hoffnung, dass dieses vielversprechende Talent einigermassen glimpflich davon gekommen ist.»
Hintermann sichert sich elf Punkte
Der regierende Abfahrts-Weltmeister Franjo von Allmen verpasst das Podest zwar um 16 Hundertstel, mit dem vierten «Leder-Rang» kann der Berner Oberländer aber ordentlich leben. «Nach dem zweiten Training war ich ziemlich verunsichert, das Skigefühl war gar nicht gut. Darum bin ich mit dem Rennergebnis zufrieden.»
Zufrieden darf auch Niels Hintermann sein, der in Beaver Creek erstmals seit seiner Krebserkrankung an einem Weltcup-Start steht. Als Zwanzigster ist er schneller als Vorjahressieger Justin Murisier und sichert sich 11 Weltcuppunkte. Hintermanns Pech: Mit der Startnummer 1 hatte der Zürcher vor allem im flachen Startabschnitt einen klaren Nachteil. In den beiden letzten Streckenabschnitten konnte der 30-Jährige aber mit den Besten gut mithalten.
Hintermann: «Es war ein brutal schwieriges Rennen für mich. Praktisch jeder Rennfahrer und Betreuer hat mir im Startgelände viel Glück gewünscht. Das hat mich einerseits zwar sehr gefreut, gleichzeitig hat es mich noch nervöser gemacht. Mit der Leistung bin ich nicht unzufrieden. Wenn ich am Startabschnitt die etwas besseren Bedingungen gehabt hätte, hätte es vielleicht für eine Platzierung in den Top 15 gereicht.»