Marco Odermatt hat nach der Startnummernauslosung am Freitagabend kein gutes Gefühl. «Ich bin als letzter auf die Bühne und habe gewusst, dass für mich nur die Nummer 6 übrigbleibt. Eine so frühe Nummer ist nicht das, was man sich für ein Rennen auf der Saslong wünscht.»
Der vierfache Gesamtweltcupsieger ist diesbezüglich ja auch ein gebranntes Kind. Im Super-G vom Freitag sind die Bedingungen in der zweiten Rennhälfte so viel besser geworden, dass der Tscheche Jan Zabystran mit der Nummer 29 Odermatt auf den zweiten Rang verdrängt hat. Auch in der Original-Abfahrt finden die frühen Nummern in den Schlüsselstellen kein gutes Licht vor. Dennoch gelingt dem Superstar vom Vierwaldstättersee eine sehr gute Fahrt. Dass sich am linken Schuh nach dem ersten Sprung eine Schnalle geöffnet hat, hat ihn nicht gestört.
Nur einer wird an diesem Tag schneller sein als Odermatt. Und zwar der Mann, der unmittelbar nach ihm mit der Sieben startet: Franjo von Allmen. Der Berner Oberländer war am Vortag für eine gute Stunde extrem hässig auf sich selbst, weil er nach seinem Abflug im Super-G von Beaver Creek auch im Saslong-Super-G gestürzt ist.
Passiert ist das bei der ersten Mauer. Rund 24 Stunden später crasht der gelernte Zimmermann aus dem Berner Oberland um ein Haar bei der zweiten Mauer. Dank einer sensationellen Rettungsaktion bleibt der amtierende Abfahrts-Weltmeister im Rennen und ist im Ziel drei Zehntel schneller als sein Teamleader.
Ernsthafte Worte
Vor zwölf Monaten und in der verkürzten Abfahrt am Donnerstag war es genau umgekehrt. Da hat Odermatt vor von Allmen triumphiert. «Im Vorjahr habe ich das Rennen in der Ciaslat gewonnen, diesmal habe ich es an dieser Stelle verloren», analysiert Odermatt. «Damals habe ich Franjo in dieser technisch so anspruchsvollen Passage acht Zehntel abgeknöpft, diesmal war er auch hier ein paar Hundertstel schneller als ich.»
Während der 28-jährige Odermatt dennoch seinen 96. Podestplatz im Weltcup verbucht, bejubelt der 24-jährige von Allmen seinen vierten Weltcupsieg. Von seinen Trainern dürfte sich der Head-Pilot aufgrund seines gewaltigen Wacklers beim ominösen Sprung ein paar ernsthafte Worte anhören müssen. «Die erste Mauer habe ich nach meinem Super-G-Sturz vor diesem Rennen ganz genau analysiert, die zweite Mauer aber offensichtlich zu wenig genau», so von Allmen.
Olympiasieger Beat Feuz erhebt zum wiederholten Male den Warnfinger: «Franjo hat in den letzten Jahren nach unkontrollierten Sprüngen mehrmals grosses Glück gehabt. Wenn er diesbezüglich nicht sofort über die Bücher geht, wird das nicht noch einmal einen ganzen Winter gut gehen. Dasselbe trifft auch auf Alexis Monney zu.»
Zum fünften Mal die grosse Kristallkugel?
Der WM-Bronzegewinner aus dem Freiburgerland wartet in Gröden mit einer Harakiri-Fahrt auf – nach einem missglückten Satz über die zweite Mauer touchiert der 25-Jährige mit seinem Allerwertesten den Schnee. In der Ciaslat fliegt er dann endgültig raus! Damit steht Monney nach drei Abfahrten noch ohne Top-7-Platzierung da. «Es ist keine einfache Situation für Alexis», sagt Beat Feuz. «Im letzten Winter konnte Alexis genau wie Franjo von Allmen völlig unbeschwert angreifen. Aber jetzt erwartet er selbst in jedem Rennen einen Podestplatz von sich. Dadurch ist der Druck so gross, dass die gewinnbringende Lockerheit halt oft fehlt.»
Ziemlich locker kann Odermatt dafür auf den Gesamtweltcup blicken. Mit 765 Punkten liegt der Buochser 463 Zähler vor dem Norweger Henrik Kristoffersen. Anders ausgedrückt: Wenn sich der Ausnahmeathlet nicht verletzt, wird er im März zum fünften Mal die grosse Kristallkugel in Empfang nehmen dürfen.