Es ist offensichtlich, dass Swiss-Ski-Abfahrtschef Reto Nydegger nach der Absage der beiden für Donnerstag geplanten Super-G regelrecht kocht vor Wut. Trotzdem versucht der Berner Oberländer, so diplomatisch wie möglich zu bleiben. «Wenn ich in diesem Moment sagen würde, was ich wirklich denke, dann würde es mir wohl so ergehen wie meinem Vorgänger Sepp Brunner 2017 – man würde mich sehr wahrscheinlich entlassen.»
Zur Erinnerung: Brunner hatte vor vier Jahren öffentlich Kritik an Entscheidungen der Swiss Ski-Führung geäussert. Dagegen ist der Grund für Nydeggers Unzufriedenheit nicht der Verband, sondern der Veranstalter des Weltcupfinals auf der Lenzerheide. Und nach einer kurzen Denkpause spricht er seine Kritik aus: «Es reicht halt nicht, wenn man erst zwei Wochen vor dem ersten Rennen mit der Grundpräperation der Rennpiste beginnt. Das muss zwei Monate zuvor passieren.» Genau dies habe man auf der Lenzerheide aber versäumt.
Österreicher unterstützen Kritik – Pistenchef wehrt sich
Doch war das wirklich der Hauptgrund, warum nach den Abfahrten auch die beiden Super-G gestrichen werden mussten? Immerhin setzte sich ab dem Mittag immer mehr die Sonne durch – kurz nachdem die Rennen endgültig gecancelled worden waren. Streckenchef Manuel Brugger will die Kritik so nicht gelten lassen: «Wir haben den Grundstock dieser Piste sicher nicht zu spät gelegt, wir hatten eine sehr gute Basis. Aber der viele Neuschnee hat uns alles kaputt gemacht.»
Dagegen führt Sepp Brunner, der seit seinem Abgang in der Schweiz als Abfahrts-Trainer in Österreich tätig ist, die Absagen wie Nydegger auf Fehler während der Grundpräparation zurück. «Gewisse Streckenabschnitte wären nicht befahrbar gewesen, weil der Pistenstock offensichtlich mit zu wenig Wasser präpariert wurde.» Brunners Cheftrainer Andi Puelacher setzt sogar noch einen drauf: «Ich bin mir sicher, dass diese Rennen unter denselben Voraussetzungen in Österreich hätten durchgeführt werden können…»
Odermatt ist der Hauptleidtragende
Fakt ist: Der grösste Leidtragende davon ist Marco Odermatt. Der Nidwaldner kann zum einen seine letzte kleine Chance auf den Gewinn der kleinen Super-G-Kugel nicht mehr wahrnehmen (83 Punkte hinter Vincent Kriechmayr). Aber viel schlimmer: Realistisch betrachtet bleibt dem 23-Jährigen jetzt nur noch der Riesenslalom, um im Gesamtweltcup die 31 Punkte auf Alexis Pinturault aufholen zu können.
«Im Moment ist bei mir die Enttäuschung schon ziemlich gross», gesteht «Odi». «Aber die Piste war vor allem im oberen Abschnitt für ein Rennen in einem zu wenig guten Zustand.» Der grosse Triumphator des letzten Super-G in Saalbach nimmt zwar die fleissigen, hart arbeitenden Pistenarbeiter aus der Kritik: «Die haben ganz sicher alles unternommen, um die Rennen zu retten. Aber das Wetter war halt in den letzten vier Tagen so schlecht, dass das der Piste enorm zugesetzt hat.» Doch dann fügt auch Odermatt an, «dass vielleicht alles gut gegangen wäre, wenn man bereits vor zwei Monaten beim Aufbau der Piste mehr Wert auf einen richtig dicken Grundstock gelegt hätte.»
Touristen zu lange auf der Piste?
Stattdessen durften gemäss mehreren Swiss-Ski-Funktionären bis vor wenigen Wochen die Touristen über die «Silvano Beltrametti-Piste» fahren. Aber vielleicht erleben wir auf der Lenzerheide ja doch noch ein Happy End. Wenn Marco Odermatt am Samstag den Riesenslalom gewinnt und Alexis Pinturault nicht mindestens Zweiter wird, könnte der Innerschweizer die Führung im Gesamtweltcup an sich reissen. Und dann müsste der Franzose im abschliessenden Slalom punkten. Und im letzten Slalom in Kranjska Gora ist Pinturault bekanntlich ausgeschieden.