Henrik, können Sie sich noch an Ihren allerersten Skitag erinnern?
Henrik Kristoffersen: Nein. Aber meine Eltern haben ein Foto von diesem Tag. Ich habe einen weissen Jofa-Helm an, mit einem grossen Schutz-Bügel vorne dran. Selber kann ich mich aber ziemlich genau an den Moment erinnern, als mir klar wurde, dass auch ich einmal Skirennfahrer werden möchte.
Wann war das?
Während den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City. Ich war sieben Jahre alt und habe vor dem Fernseher mitverfolgt, wie Kjetil André Aamodt die Goldmedaille im Super-G gewonnen hat. In diesem Moment habe ich mir gedacht: Das will ich auch! Und Aamodt war ab diesem Zeitpunkt mein ganz grosses Vorbild.
Heute kommentiert Ihr grosses Vorbild Aamodt im norwegischen Fernsehen Ihre Rennen.
Das ist für mich wirklich ganz speziell. Nach meinem Sieg in Madonna die Campiglio habe ich die Aufzeichnung im norwegischen Fernsehen mit dem Kommentar von Aamodt gesehen. Er hat wunderbare Worte gefunden für meine Fahrt. Kurz zusammengefasst hat er gesagt, dass meine Fahrt unglaublich gut war. Es gibt für mich kein grösseres Kompliment als wenn der grosse Kjetil André Aamodt so etwas über mich sagt.
Wann sind Sie Ihrem grossen Vorbild Aamodt erstmals begegnet?
Als ich zehn Jahre war, hat sich Kjetil ein Kinderrennen angeschaut, das ich gewonnen habe. Danach durfte ich mit ihm ein Foto machen. Das war für mich der schönste Siegerpreis.
In der Zwischenzeit haben Sie selber 13 Weltcuprennen gewonnen. Trotzdem sollen Sie im Team nach wie vor «der Kleine» gerufen werden. Stimmt das?
Ja und es stimmt ja auch, dass ich im Team Norge der Kleinste und der Jüngste bin. Aksel Svindal hat viel mehr Erfahrung als ich und ist körperlich deutlich grösser. Darum darf er mich auch gerne «der Kleine» nennen. Svindal, Jansrud und Kilde stemmen im gemeinsamen Krafttraining im Sommer auch mehr Gewichte als ich, aber im Ausdauer-Training kann ich gut mit ihnen mithalten. Und es macht mich stolz, dass ich im Riesen- und Slalom die Nummer 1 im Team bin.
Wie erholen Sie sich von den Renn- und Trainings-Strapazen?
Ich schaue gerne TV-Serien und natürlich auch andere Sportarten wie zum Beispiel Fussball. Mein Vater hat mich bereits drei Tage nach meiner Geburt beim norwegischen Manchester-United-Fanclub angemeldet. Obwohl er zurzeit viel auf der Reservebank sitzt, bin ich ein grosser Bewunderer von Bastian Schweinsteiger. Ich weiss, dass Felix Neureuther mit Bastian befreundet ist. Und ich wollte Felix schon einmal fragen, ob er mir von Schweinsteiger ein Trikot besorgen kann. Aber ich bin zu schüchtern, um Felix so etwas zu fragen.
Apropos Felix Neureuther: Deutschlands Slalom-König betont immer wieder, dass man nur dann ein richtig grosser Skifahrer sei, wenn man zumindest einmal die Abfahrt in Kitzbühel gemeistert habe. Neureuther hat die Hahnenkamm-Abfahrt bis zum heutigen Tag aber nie bestritten. Werden wir eines Tages Henrik Kristoffersen auf der Streif sehen?
Das ist eine schwierige Frage. Die Abfahrt in Kitzbühel ist unbestritten das grösste Rennen im Ski-Zirkus. Aber in den nächsten Jahren werde ich mich ganz sicher voll auf die technischen Disziplinen konzentrieren. Aber es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass ich gegen Ende meiner Karriere in ungefähr zehn Jahren einen Versuch auf der Abfahrt unternehmen werde.
Wie sehr sprechen Sie sich bei solchen und anderen Fragen mit ihrem Vater Lars ab?
Ich bespreche praktisch alles mit ihm ab. Ich habe im norwegischen Team exzellente Trainer. Aber jeder dieser Trainer kann morgen einen anderen Job annehmen. Aber bei meinem Vater habe ich die Gewissheit, dass er immer für mich da sein wird. Deshalb frage ich auch vor jedem Wettkampf um seine Meinung.
Steht Ihr Vater bei jedem Rennen auf der Piste?
Meistens, aber nicht immer. Den Slalom in Zagreb hat er beispielswiese zu Hause vor dem Fernseher verfolgt. Ich trug in diesem Rennen die Startnummer 7, und nachdem die Nummer 2 im Ziel war, habe ich Papa angerufen, damit er mir seine wichtigsten Erkenntnisse zur Kurssetzung und zum Hang durchgeben konnte. Ich telefoniere vor jedem Lauf mit Papa.
Ist Ihr Vater sehr streng?
Ja, aber sehr fair! Ich werde meinem Papa immer dankbar sein, weil er mir so viel Disziplin beigebracht hat. In Norwegen ist es üblich, dass man nach dem Schulabschluss einen guten Monat lang Party feiert. Mir war es aber nicht erlaubt, da mitzufeiern. Ihm war es wichtig, dass ich mich auf den Sport fokussiere. Ich habe bis zu meinem 18. Lebensjahr keinen Tropfen Alkohol getrunken. Zur Belohnung hat mir Papa die Auto-Fahrschule bezahlt. Ich trinke übrigens auch heute noch sehr wenig Alkohol. Vom Trainingsbeginn im Juli bis zu Weihnachten habe ich praktisch ausschliesslich Red Bull und Wasser getrunken.
In der Zwischenzeit haben Sie Ihr Elternhaus in der Nähe von Oslo verlassen und wohnen seit letztem Sommer in Salzburg. Warum?
Norwegen ist ein wunderbares Land, aber leider etwas weit von den alpinen Zentren entfernt. Und weil ich nicht ständig in Hotels ein Leben aus der Tasche führen wollte, habe ich mir eine Wohnung in Salzburg gekauft. Von hier aus brauche ich mit dem Auto nur 40 Minuten bis zur Reiteralm, wo es die wahrscheinlich besten Trainingspisten in Europa gibt. Und von Salzburg aus bin ich natürlich auch viel schneller bei den meisten Weltcup-Stationen als von Norwegen aus.
Leben Sie mit ihrem Vater in Salzburg?
In erster Linie mit meiner Freundin. Aber mein Vater wohnt im Winter meistens bei mir in Salzburg.
Entspricht ihre Freundin den strengen Ansprüchen des Vaters?
Ja, sie tut mir sehr gut. Wir sind in Norwegen ein paar Jahre lang zusammen in die Schule gegangen und sie hat einige Erfolge als Handballerin erzielt. Sie hat für Norwegens Junioren-Nationalmannschaft gespielt, jetzt studiert sie Ernährungswissenschaften.
Ernähren Sie sich nach dem Plan Ihrer Freundin?
Sie hat mir schon viele gute Ratschläge gegeben. Im letzten Sommer habe ich nach der Operation der Halsmandeln nur noch 68 Kilo auf die Wage gebracht. In dieser Zeit musste sie mir vor allem erklären, wie ich möglichst schnell wieder einige Kilos zunehmen kann. Dank der Zufuhr von vielen Kohlenhydraten, vor allem in Form von Pasta und Fleisch, wiege ich jetzt 76 Kilo.
Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld aktuell auf Ihrem Konto liegt?
Ich habe wirklich keine Ahnung. Mein Vater ist auch zuständig für meine Finanzen. Er ist so etwas wie mein Bankomat ... Ich will mich eben wirklich auf den Sport fokussieren. Und ich brauche ja neben meiner Wohnung ja auch nicht mehr als einen grossen Fernseher, ein schönes Fahrrad für den Sommer und eine Motocross-Maschine.
Lassen Sie uns noch über zwei Schweizer reden – wie viel Sorgen bereitet Ihnen die Entwicklung von Daniel Yule und Luca Aerni?
Daniel hat sich in diesem Winter sehr stark entwickelt, er fährt vor allem sehr stabil. Luca hat vielleicht den noch schnelleren Schwung, aber ihm fehlt noch ein bisschen Yules Stabilität. Es gibt im Weltcup einige Athleten, die fünf Schwünge schneller fahren können als ich. Aber es ist eben sehr viel wichtiger, wenn man 70 Schwünge gleich schnell fahren kann.
Zum Abschluss: Welche Eigenschaft hätten Sie gerne von Marcel Hirscher?
Im Riesenslalom würde ich sehr vieles gerne von Marcel übernehmen. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, mit wie viel Kraft er im Riesen zu Werke geht. Da muss ich im Training noch viele Gewichte stemmen, bis ich so viel Kraft wie Marcel einsetzen kann.