Das meint BLICK zum Tod von Viktor Gertsch
Das Lauberhorn verliert seine Seele

Mit Charakterkopf Viktor Gertsch ist ein Stück Schweizer Sportgeschichte gestorben. Ein Kommentar von BLICK-Sportchef Felix Bingesser.
Publiziert: 28.11.2016 um 19:05 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:27 Uhr
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Viktor Gertsch zwischen Lauterbrunnens Gemeindepräsi Paul von Allmen (l.) und seinem Freund Fredy Fuchs.
Foto: KEYSTONE
Felix Bingesser

Man sieht ihn vor sich. Viktor Gertsch. Wie er durch sein verschneites Wengen läuft. Leicht gebückt, immer mit Kappe, immer mit seinem ihm eigenen, etwas melancholischen und traurigen Blick. Aber immer mit wachen und neugierigen Augen. Voller Schalk und Ironie. Verschmitzt und schlau.

Viktor Gertsch war ein Kind der Berge. Die Unwägbarkeiten der Natur haben ihn zeitlebens eine wohltuende Demut und Bescheidenheit bewahren lassen. «Man kann nichts erzwingen, wenn man mit der Natur arbeitet. Man kann vieles planen. Aber das Wetter nicht. Und das ist entscheidend», hat er einmal gesagt.

Viktor war nie ein Sportfunktionär. Schon gar kein Manager. Er war ein bauernschlauer Praktiker. Die Seele eines Skirennens, das irgendwie gar nicht mehr so richtig in diese schnelllebige Zeit passt. Aber vielleicht gerade deshalb so ein unerschütterliches Monument geworden ist.

Sein Vater Ernst Gertsch hat 1930 dieses Rennen aus der Taufe gehoben. Und vierzig Jahre lang geprägt. 1965 hat sich bei Vater Gertsch in Amerika ein Skistock in seine Backenknochen gebohrt. Ein Splitter trifft sein Auge.

Ein Schicksalsschlag. Vater Gertsch, der das erste Lebensmittelgeschäft in Wengen geführt hat, lässt sich nicht behindern. Er ist auch mit 85 Jahren noch die Lauberhornstrecke gefahren. Mit einem Auge.

Sein Sohn Viktor wird 1940 geboren. Eine Stunde nach seinem Zwillingsbruder Jürg. Er hat noch drei weitere Geschwister. Mit drei Jahren steht er zum ersten Mal auf den Ski. Als kleiner Bub, hat ihm seine Mutter später erzählt, sei er jeder Schneeflocke hinterher gerannt.

Er träumt davon, Skirennfahrer zu werden. «Aber ich war halt doch nicht so mutig, wie ein Super-Abfahrer sein sollte», sagt er im Buch «Lauberhorn». Viktor macht die Handelsschule, verlässt die Enge seiner Heimat, bereist die ganze Welt, lernt Sprachen.

Und kehrt dann zurück nach Wengen. Er tritt in die Fussstapfen seines Vaters, führt das Sportgeschäft weiter und übernimmt 1971 das Amt des OK-Präsidenten. Mehr als achtzig Jahre lang wird der traditionellste und bedeutendste Sportanlass der Schweiz von zwei Personen geprägt. Von Vater und Sohn Gertsch. An seiner Seite hat Gertsch während Jahrzehnten seinen Freund Fredy Fuchs.

Gertsch und Lauberhorn. Das ist eine Symbiose. Untrennbar, auch über den Tod von Viktor Gertsch hinaus. Und vielleicht hatte Viktor Gertsch auch genau die Eigenschaften, die es am Lauberhorn braucht.

Die Entschlossenheit am Start auf der Lauberhornschulter. Den Mut am Hundschopf. Die Präzision beim Brüggli. Die Kondition bei Langentrejen. Das Tempo im Haneggschuss. Das taktische Geschick, die Geduld und die Kondition beim Ziel-S.

Das Lauberhorn ist nicht gestorben. Aber das personifizierte Lauberhorn hat im Alter von 74 Jahren für immer die Augen geschlossen. Er war nie laut, er war immer ein leiser Mann. Jetzt wird es ganz ruhig. Viktor, Du wirst fehlen!

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