Neunzig Sekunden bevor sich heute der erste Fahrer in die Tiefe stürzt, ertönt in Kitzbühel die von Dag Kolsrud komponierte Weltcup-Hymne. Das dramatische Musikwerk, beeinflusst von Richard Wagner, steigert sich zu einem Crescendo, bis am Schluss zehn tiefe Kirchenglocken-Schläge den Countdown freigeben.
Spätestens dann spüren alle, was es geschlagen hat. Auch mich überkommt ein heftiges Schaudern. Das grosse Spektakel steht an. Die Abfahrt, die am meisten Überwindung braucht, die selbst die Besten an jeder Ecke abwerfen kann.
Die Streif ist skifahrerfeindlich! Dort, wo der Fahrer Halt sucht, neigt sie sich nach aussen, von ihm weg. Die Sprünge sind wie Fallgruben und zeigen eine fast senkrecht gähnende Leere. Wie oder wo soll man da landen?
Die Streif ist eine Piste, die nie gebaut wurde – sie war immer da. Ein Abenteuer – und ein Gradmesser für gute Skifahrer. Nie ging es bloss um Spektakel, sondern darum, vorhandene Schwierigkeiten zu meistern. Wer ist imstande, ohne Anhalten durchzufahren? Wer getraut sich ohne Bremser über die Mausefalle, wer als Erster, den Zielschuss gerade zu fahren?
Dass daraus das grösste Spektakel wurde, ist das Verdienst der Kitzbühler Ski-Pioniere. Sie beliessen die Streif ohne grosse Veränderungen, passten sie höchstens sicherheitsmässig an.
Echtes Spektakel kann man weder bauen noch programmieren. Es entsteht durch natürliche Schwierigkeiten und grosse Leistungen von Athleten.