Darum gehts
«Nöd esse, Lena! Das isch für d Fisch!» Sonia Kälin (40) lacht, während sie sich zu ihrer vierjährigen Tochter beugt, die mit grossen Augen das Fischfutter zwischen den Fingern betrachtet. «Aber es schmöckt fein!», protestiert Lena und schaut zu den Goldfischen, die gierig im kleinen Teich zappeln. Keine Minute später ist das Thema Fischfutter vergessen: «Chomm, mir gönd go Blaubeeri pflücke!», ruft Sonia, greift Lenas Hand – und spaziert mit ihr durch den heimischen Garten in Giswil OW.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Lena pflückt eine Handvoll Beeren, schiebt sie sich in den Mund, mustert gleichzeitig ihre zwei Jahre jüngere Schwester Noemi, die neben ihr sitzt. Das Haar der beiden steht in alle Richtungen, zerzaust vom Herumtoben. Denn ihr Garten ist Spielplatz, Beerenparadies und Naturlehrbuch in einem. «Sie dürfen sich frei austoben. Es gibt praktisch keine Regeln. Sie sollen einfach Kind sein dürfen», sagt Kälin, während Lena erneut den Strauch nach reifen Früchten absucht. Da kommt Papa Stefan Halter (37) mit den Giesskannen dazu. «Und, wer möchte giessen?»
Alles darf, nichts muss
Zwischen Beerensträuchern und Sandkasten wächst bei Familie Kälin nicht nur Gemüse, sondern auch Begeisterung. «Diese Rüebli habe ich selber angepflanzt!», meint Lena stolz und schnappt sich die Giesskanne. Dass ihre Karotten mittlerweile im Wasser schwimmen, stört sie wenig. Sonia Kälin lacht: «Es geht bei uns ums Erlebnis, nicht um Effizienz.» Der Garten ist ihr kleines Familienuniversum. «Alle helfen mit, wann und wie sie möchten.» Nur eines ist klar geregelt: Das Rasenmähen übernimmt ausschliesslich Gatte Stefan. «Unser alter Mäher ist so sperrig, den bringe ich gar nicht an», erzählt Kälin.
Am liebsten verbringt die Familie ihre Sommertage zu Hause oder bei den Nachbarn, wo es einen Pool gibt. «Wir sind absolute Badenixen», so Kälin. Wenn sie nicht gerade im Wasser sind, balancieren sie auf der Slackline oder sind in der Natur. «Es sind die kleinen Dinge, die den Sommer für uns ausmachen.» Und doch gibt es Pläne: «Den Oeschinensee möchten wir den Kindern unbedingt mal zeigen. Und irgendwann auch das Meer. Lena fragt manchmal, wie gross das Wasser dort sei. Sie kann sich das gar nicht vorstellen.»
Beruflich neu verwurzelt
Nicht nur im Garten blüht es – auch Sonia Kälin ist in ihrem neuen Alltag aufgegangen. Vor weniger als einem Jahr hat sie nach 15 Jahren ihren Beruf als Sek-Lehrerin an den Nagel gehängt. Vermisst hat sie den Job bisher kaum – er habe mit der Zeit an ihrer Energie genagt. «Aber meine Schüler fehlen mir schon ab und zu.» Mit einigen steht sie noch über Social Media in Kontakt – und freut sich, wenn plötzlich ehemalige Schülerinnen und Schüler als werdende Eltern oder Berufseinsteigerinnen in ihrer Timeline auftauchen.
Neu ist Sonia Kälin selbstständig als Eventmoderatorin tätig, kommentiert ausserdem Schwingfeste für den TV-Sender Swiss1 und ist natürlich weiterhin als Schiedsrichterin in der SRF-Sendung «Donnschtig-Jass» zu sehen. Sie liebt die Mischung: «Es ist schön, wieder so nahe am Schwingsport zu sein. Und ich freue mich riesig auf den ‹Donnschtig-Jass›, da darf ich diesen Sommer in der ganzen Schweiz unterwegs sein.»
Ein Umbruch, der sie belebt, aber auch fordert. «Klar gibts bei der Selbstständigkeit Unsicherheiten. Aber ich durfte viele neue Kontakte knüpfen, es ist gut angelaufen.» Gerade macht sie auch eine Weiterbildung zur Bäuerin. «Ich habe jetzt mehr Zeit für Dinge, die mich wirklich gluschtig machen.»
Ihr Mann Stefan, selbstständiger Bewegungsexperte, erlebt sie nicht als grundsätzlich veränderte Frau – aber nach wie vor als mutige: «Was ich an Sonia bewundere, ist ihr unerschütterlicher Wille. Sie gibt immer alles.» Und was schätzt sie an ihm? «Stefan hat ein feines Gespür. Er spürt so viel und vertraut darauf. Davon könnte ich mir manchmal eine Scheibe abschneiden.»
Kleine Pausen, grosse Wirkung
Während sich ihr Leben neu sortiert, sorgen ihre zwei kleinen Energiebündel Lena und Noemi für den meisten Wirbel. Das Paar achtet deswegen auf Ausgleich. «Wenn wir mal Zeit für uns haben, gehen wir Velo fahren oder einfach zusammen baden», sagt Kälin. «Wir schauen, dass der andere seine Auszeiten bekommt.» Während Noemi am Nachmittag meist schläft, darf Lena dann schon lernen, wie wertvoll eine ruhige Stunde allein sein kann.
Wenn gespielt wird, dann selten mit Prinzessinnen oder anderen klassischen Kindheitshelden – Lena und Noemi schwärmen lieber für Schwingerköniginnen. «Und für Odi!», ruft Lena dazwischen. Und wer so grosse Vorbilder hat, übt im Garten selbstverständlich auch fleissig – nur eben in einer ganz anderen Sportart: dem Schwingen, ganz wie Mama.
Ob die Mädchen einmal in die Fussstapfen der Schwingerkönigin treten? «Wir würden sie sicher unterstützen», sagt Halter. «Aber sie dürfen alles machen, was ihnen Freude bereitet – ganz egal, ob Spitzensport oder nicht.» In Sachen Erziehung tickt das Paar, das seit 2018 verheiratet ist, ganz ähnlich: «Wir geben unser Bestes, um unsere Mädchen zu fördern. Aber wir finden auch, dass sie Grenzen brauchen.» Besonders wichtig: Humor, Gelassenheit – und die Freude an schönen Augenblicken.
Wie kürzlich, als Lena das Zählen übte – und Noemi plötzlich mit «sechs, siebä, acht, nüün, zääh» einstieg, obwohl sie noch gar nicht zählen kann. «Wir haben nur noch gelacht. Solche Momente lassen das Herz aufgehen.» In diesem Sinne: Auf viele weitere Sommermomente, die der Familie bleiben!