Die Augen von Jakob Schallberger werden grösser und grösser. «Das ist wie in einem römischen Amphitheater», sagt der 23-jährige Amerikaner, als er die Schwing-Arena auf dem Brünig betritt. Sägemehl liegt noch keines an diesem regnerischen Donnerstag im Juni, das Gras ist nicht gemäht, es hängt Nebel über dem Pass.
«Eine Wahnsinns-Atmosphäre», sagt Schallberger mit Blick auf die steile Zuschauerrampe, die in den Berg gehauen ist. «Ich kann mir nur vorstellen, wie es hier zugeht, wenn die Ränge voll besetzt sind.» Sein Bruder Clint ergänzt: «Hier einmal schwingen, das muss fantastisch sein.»
Einer, der genau weiss, wie sich das anfühlt, ist Joey Ming. «Ich habe zweimal auf dem Brünig geschwungen», erklärt er und seine Augen scheinen ein bisschen feucht zu werden. «Seither muss ich jedes Mal hier vorbeifahren und anhalten, wenn ich in der Schweiz bin.»
«Ein Kranz beim Eidgenössischen wäre das Ziel»
Heute tut er dies mit den Schallberger-Brüdern aus Stockton im US-Bundesstaat Kalifornien. Jakob und Clint sind seine Schützlinge: Ming ist der Schwingtrainer der beiden. Nachdem ihr Bruder Logan vor drei Jahren am Eidgenössischen teilnahm, ist nun die Reihe an Jakob. Er ist einer von acht selektionierten Ausland-Schwingern, die ersten Schwinger, die überhaupt schon fürs ESAF feststehen. Neben Schallberger ebenfalls fix in Zug am Start: die Amerikaner Andrew Betschart, Dustin Gwerder und Steve Widmer, dazu die Kanadier Roger und Thomas Badat, Kyle Brönnimann und John Koch.
«Ein Kranz beim Eidgenössischen wäre das Ziel», sagt Jakob. «Das muss das Ziel sein. Aber ich habe noch viel Arbeit vor mir.» In den letzten Wochen waren die Brüder mit ihrem Trainer in der Schweiz unterwegs, nahmen an Kantonal- und Gauverbandsfesten teil. Jakob schnupperte zuletzt beim Glarner-Bündner am Kranz, bis ihn der Bündner Bergkranzer Roman Hochholdinger im fünften Gang auf den Rücken legte.
«Da haben wir gesehen, was uns noch fehlt», sagt Trainer Ming. «Drüben in den USA fehlen uns die starken Gegner, im Training wie im Wettkampf. Wenn du hier plötzlich gegen einen Kilian von Weissenfluh mit seinem Tempo und seiner Technik bestehen musst, dann ist das schwierig. Aber das bringt uns auch weiter.»
Ming, dessen Familie aus der Gegend um Lungern OW stammt, muss es wissen: Er ist ein Abkömmling der erfolgreichsten Ausland-Schwinger-Dynastie: Mit John Ming und Al Ming holten in den Siebzigerjahren gleich zwei US-Mings den eidgenössischen Kranz.
Don Widmer war der dritte Auslands-Eidgenosse in derselben Ära. Das ist lange her – und gleichzeitig Ansporn für die Schallberger-Brüder. «Jetzt geht es zurück», sagt Jakob. «Dort wird weiter trainiert, bevor ich dann im August fürs Eidgenössische wieder herkomme.»
Für den ESAF-Kranz müsste viel zusammenpassen. Zunächst geht es für den 23-jährigen Ingenieurs-Studenten, der sich an seinem College als Ringer für die Bundesstaats-Meisterschaft qualifizierte, darum, wieder gesund zu werden. Seit dem Aargauer Kantonalen schleppt er eine Knöchelverletzung mit sich herum.
Und dann wird er mit Bruder Clint, der an der Humboldt-State-Universität mit einem Football-Stipendium Informatik studiert und zuletzt für seine Uni-Leistungen gar ausgezeichnet wurde, wieder fast jeden Tag die zwei Stunden zu Coach Ming fahren, um zu trainieren. «Es ist unglaublich, was die beiden auf sich nehmen.» Für den amerikanischen Traum vom Kranz am Eidgenössischen.