BLICK: Nino Schurter, Sie sind 33 und seit elf Jahren Profi. Was tut am Morgen beim Aufstehen weh?
Nino Schurter: Nichts.
Wirklich nicht?
Radfahren ist schonend im Vergleich zu anderen Sportarten. Er macht deinen Körper nicht kaputt.
Der Weltcup geht wieder los. Sind Sie bereit für die Titelverteidigung?
Trainings waren gut, meine Leistungstests auch. Es läuft, ich bin parat.
Sie haben längst alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Warum brettern Sie weiter über Stock und Stein?
Mountainbike ist der schönste Sport, den es gibt. Du kannst von zuhause losfahren, bist sofort in der Natur. Du hast ein Erlebnis, welches kein anderer Sport ermöglicht.
Im letzten Jahr wurden Sie bei der Heim-WM in der Lenzerheide Weltmeister. Es wäre der perfekte Moment für den Rücktritt gewesen...
Das kann man von Aussen so sehen. Aber mir macht das Mountainbiken weiterhin Spass. Dazu ist es mein Job – schön, dass ich Erfolg habe und davon leben kann. Für mich gibt es momentan keinen Grund, um abzutreten.
Wovon machen Sie eines Tages Ihren Rücktritt abhängig?
Der Spass ist das Wichtigste. Federer ist bereits 37, macht aber auch immer weiter.
Keine Motivationsprobleme?
Vorletztes Wochenende am Swiss Cup hat es geregnet, dazu zeigte das Thermomenter 3 Grad an. In solchen Momenten kann ich mich nicht mehr so motivieren wie ein jüngerer Fahrer.
In der Lenzerheide nahmen Sie ihre Tochter Lisa (3) auf dem Podest in den Arm. Ist ihr bewusst, was ihr Papa macht?
Immer mehr. Sie versteht, worum es geht. Sie will selbst auch immer Rennen machen. «Wer ist Erster?!» ist zuhause oft angesagt! (lacht) Ich muss ab und zu die Treppe hochrennen.
Jetzt haben Sie also auch zuhause schon Wettkämpfe!
Genau. Sie hat jetzt auch schon ein Velo mit Pedalen und Bremsen – und natürlich breite Pneus, so wie es sich im Mountainbike gehört.
Will sie ihre Medaillen als Preis?
Sie will lieber Blumensträusse. Wenn sie meint, ein Rennen gewonnen zu haben, sagt sie: «Ich bekomme jetzt eine Blume!» (lacht).
Ist es schwieriger oder einfacher als früher, Abschied zu nehmen?
Manchmal fragt Lisa: «Wie lange bist du weg?» Sie weiss dann aber nicht, wie lange zwei Wochen sind. Das macht es schwieriger. Umso mehr freue ich mich, wenn ich zurückkehre.
Tränen?
Die gibts, ja.
Bevor Sie Vater wurden, haben Sie einmal gesagt, dass sie «mental gefangen» gewesen seien. Warum?
Der Sport war lange mein Ein und Alles. Aber seit ich eine eigene Familie habe, ist es anders. Mir gefällt das totale Abschalten.
Weniger schön waren Anschuldigungen gegen Sie am Cape Epic im März. Der Brasilianer Henrique Avancini meinte: «Schurter behandelt alle Fahrer wie Dreck!»
Er hat sich bei mir entschuldigt.
Aber?
Aber ist nicht schön, wenn jemand sowas sagt. Egal, ob er danach sorry sagt.
Wie erklären Sie sich seine Worte?
Er ist Brasilianer, sehr temperamentvoll. Und reagierte komplett über. Schade. Was er sagte, stimmt überhaupt nicht.
Was war denn genau passiert?
Er wollte nicht mitführen. Ich bin zu ihm gefahren und habe ihm gesagt, dass das nicht geht und dass dies kein Kindergarten sei. Er fand dann, das sei mentale Kriegsführung.
Ist Trash Talk im Mountainbike verbreitet?
Wenn man jemandem etwas zuruft, geht es ums Rennen. Das ist normal. Im Wettkampf kochen die Emotionen manchmal hoch. Aber ich respektiere jeden Fahrer.
Konnten Sie das Ganze an sich abperlen lassen?
Am Anfang hatte ich zu Beissen. Das Ganze schlug hohe Wellen, brasilianische Fans gaben mir auf Social Media ziemlich Dreck.
So wie bei Valon Behrami an der WM, als viele Brasilianer meinten, er habe Neymar kaputt getreten.
Brasilianer sagen offenbar viel schneller etwas als wir, am nächsten Tag ist es jedoch vorbei. Dennoch: Wenn man aufs Handy schaut und 1000 Hass-Kommentare in einer Stunde erhält, ist das nicht geil.
Wenn Sie in Tokio 2020 Gold holen: Ist dann Schluss?
Ich denke nicht. Vielleicht werde ich dann irgendwann weniger Cross Country fahren, dafür mehr Langdistanz-Rennen.
Wenn wir in zehn Jahren telefonieren. Werden Sie dann sagen: «Ich bin gerade am...»?
Ich hoffe, dann noch im Radsport tätig zu sein – wenn auch in anderer Funktion.