Klima-Krise stimmt Bike-Star Schurter nachdenklich
«Ich frage mich, welches Leben meine Tochter haben wird»

Kommenden Sonntag finden die Sports Awards 2019 statt. Nominiert ist auch Titelverteidiger und Mountainbike-Star Nino Schurter (33). Der Bündner über seine Saison, die Awards, Olympia 2020, seine Zukunftspläne und seinen Beitrag zum Klimaschutz.
Publiziert: 09.12.2019 um 19:42 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2019 um 21:43 Uhr
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Anfang Oktober gewinnt Nino Schurter den Olympia-Testwettkampf in Tokio.
Foto: Getty Images
Marc Ribolla

Nino Schurter, Sie blicken auf eine erfolgreiche Saison zurück mit Cape-Epic-Sieg, Gesamtweltcup-Titel und 8. WM-Titel. Sie müssen zufrieden sein.
Für mich war es perfekt. Ich habe alle meine drei gesteckten Ziele erreicht. Das habe ich schon 2017 geschafft. Dies sind die drei wichtigsten Auszeichnungen im Mountainbike. Für mich war es eine Hammersaison.

Gibt es nichts, das hätte besser laufen können?
Eigentlich nicht. Ich bin sehr zufrieden. Mir gelang es, mein erstes Short-Race zu gewinnen. Dort merke ich, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Trotzdem konnte ich mit 33 in dieser Disziplin erstmals siegen. Das einzige, das nicht ganz perfekt lief: Ich schaffte es nicht, daheim in Lenzerheide zu gewinnen. Das wäre schön gewesen.

Wie charakterisieren Sie Ihre drei grossen Siege 2019?
Das Cape Epic ist das härteste Etappenrennen und braucht andere Anforderungen als ein Short-Race, der Gesamtweltcup oder ein WM-Rennen. Meine Saison stimmt mich drum positiv für nächstes Jahr mit Olympia. Es zeigt mir, dass ich noch auf dem richtigen Weg bin und mit den Jungen mithalten kann.

Die Nomination für die Sports Awards haben Sie entsprechend erwartet?
Ich wäre enttäuscht gewesen, hätte ich es nicht in die Top 6 geschafft. Klar.

Sie treten als Titelverteidiger an. Sie ausgeklammert, welchen der fünf Konkurrenten sehen Sie am ehesten als Nachfolger?
Christian Stucki gehört sicherlich zu den heissesten Anwärtern auf den Titel. Schwingen ist in grossen Teilen der Schweiz äusserst populär. Roger Federer hat wiederum ein gutes Jahr, stand oft im Schaufenster und leistete Grossartiges und ist immer ein Kandidat für den Titel. Beat Feuz hat top Leistungen in der populärsten Wintersportart gezeigt. Auch Schwimmer Desplanches und Leichtathlet Wanders sind Topsportler von Weltformat. Wie ihre Popularität in der Deutschschweiz ist, kann ich weniger beurteilen. Auf alle Fälle hätte es jeder der Nominierten verdient.

Verfolgen Sie die grossen Wettkämpfe anderer Schweizer Sportler auch? Den Wimbledon-Final, das Schwingfest oder die Ski-WM-Abfahrt zum Beispiel.
Manchmal fehlt mir ein wenig die Zeit. Wenn grosse Anlässe stattfinden, schaue ich speziell die Sportarten, die mich interessieren. Hauptsächlich Ausdauersportarten, weil ich da eher Bezug dazu habe. Langlauf schaue ich gern oder Rad-Strassen-Rennen im Sommer.

Ihr Trainer, Nicolas Siegenthaler, ist in der Kategorie «Trainer des Jahres» auch nominiert bei den Sports Awards. Ihre Einschätzung?
Er hat extrem viel für unseren Sport geleistet und für mich. All diese Erfolge sind zu einem grossen Teil auch Nicolas zu verdanken. Es ist mehr als verdient, dass er auch nominiert ist.

Die Öffentlichkeit kennt ihn praktisch nicht. Wie charakterisieren Sie ihn?
Wir arbeiten schon 18 Jahre zusammen. Er war einer der ersten spezialisierten Mountainbike-Trainer. Zuvor kamen viele Coaches aus dem Strassen- oder Querbereich. Nicolas hat eigene Trainings-Programme für die Biker entwickelt. Ich erinnere mich über zehn Jahre zurück, als ich mit Krafttraining startete. Viele Kollegen
monierten, das bringe es im Radsport nicht. Und heute steht jeder im Kraftraum. Für meine Karriere war es ein Glücksfall, dass ich ihn so früh kennenlernte und seinem Konzept vertraute. Durch meine Erfolge hat Siegenthaler mit seinem Training eine ganze Sportart beeinflusst. Ein Triumph an den Sports Awards wäre eine Auszeichnung für sein Lebenswerk.

Nebst allem Positiven 2019 wurde Ihr Sieg am Cape Epic von einer Verbal-Attacke des Brasilianers Henrique Avancini getrübt, der Ihr Rennverhalten harsch rügte.
Diese Rivalität gibt es im Sport. Gerade in der Hitze des Gefechts entstehen solche Situationen. Ich schätze sehr, was er für unseren Sport in Südamerika macht. Wie er in der Öffentlichkeit auftreten und Dinge über mich erzählen möchte, die nicht stimmen, muss er wissen.

Dennoch, Hand aufs Herz. Wieviel «Bad Boy» steckt wirklich in Nino Schurter?
Ich würde behaupten sehr wenig. Aber der eine oder andere Spass gehört dazu. Wenn immer alles nur seriös ist, ists langweilig.

Was war Ihre bisher verrückteste Aktion?
Als Sportler ist wenig Spielraum da. Verrückte Dinge kann ich im Sport machen und meinen Adrenalinkick dort ausleben. Ich brauche daneben nicht noch verrückte Sachen.

Wie siehts teamintern aus?
Unterhaltungswert haben die Ideen von Andri Frischknecht. Er sorgt regelmässig dafür, dass wir Spass haben und dass es an der nötigen Lockerheit im Team nicht fehlt, was übrigens sehr wichtig ist. Mir fehlt dafür wohl die nötige Kreativität.

Nächsten Sommer möchten Sie erneut Olympiagold erobern. Wie sieht Ihr Fahrplan bis Tokio 2020 aus?
Das Cape Epic im Frühling ist erster Saisonhöhepunkt. Es gab ein Abwägen, ob wir das Risiko eingehen sollen. Es sind immerhin acht Tage in Folge mit harter Belastung. Dann folgen zwei Weltcups und die WM Ende Juni in Albstadt. Anschliessend kommt bereits Olympia, das über allem steht.

Welche Vorbereitungsblöcke sind geplant, um am Tag X in Topform zu sein?
Ende Januar gehe ich einen Monat nach Südafrika nach Stellenbosch. Vor dem Weltcup-Start fahre ich drei Rennen in Europa, darunter die Bike Days in Solothurn. Zwischen den Rennen werde ich mir genügend Erholung gönnen, wie es sich bewährt hat.

Das grosse Thema in Tokio wird die Hitze und die Luftfeuchtigkeit sein. Beschäftigt Sie dieses Problem?
Bezüglich Hitze musst du dich speziell drei Wochen vorher akklimatisieren. Da ich viel Erfahrung habe, weiss ich, wie ich auf heisse Rennen reagiere. Bei Hitze sind mir bereits Top-Rennen geglückt. Nach der WM reise ich zuerst in die Toskana, wo ich ein top Trainingsgelände vorfinde, es aber trockenheiss ist. Dann werde ich frühzeitig nach Tokio fliegen, um den Zeitzonen-Unterschied und die feuchte Hitze zu verarbeiten. Eineinhalb Wochen Toskana und eineinhalb Wochen Tokio sind das Optimale.

Wie schätzen Sie Ihre härtesten Gegner im Kampf um Olympia-Gold ein?
Mathieu van der Poel ist unbestritten ein harter Brocken. Was er in drei Disziplinen leistet, ist enorm. Trotzdem gibt es auch andere Fahrer, die sehr stark fahren und jederzeit um die Medaillen und den Titel mitfahren können. Nicht zuletzt im eigenen Team.

Sie haben den mentalen Vorteil, den Tokio-Testwettkampf im Oktober auf dem Olympiakurs gewonnen zu haben.
Die Strecke liegt mir in der Tat sehr. Sie hat viele steile Anstiege, die Van der Poel nicht mag, wie er mir schon persönlich sagte. Und er hat den Testwettkampf verpasst, deshalb weiss er nicht, was ihn in Tokio erwartet. Für mich ist es extrem wichtig, schon einen Eindruck von dort zu haben.

Nächstes Jahr werden Sie 34 Jahre alt. Wie sehen Sie Ihre weitere Karriere nach Olympia?
Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Ich bin immer noch mega motiviert und habe Spass. Die Chancen stehen gut, dass ich mindestens zwei Jahre anhänge. Es würde mich reuen, wenn ich aufhören müsste. Es fühlt sich für mich zu früh an.

Haben Sie schon im Hinterkopf, was nach dem Rücktritt folgen könnte?
Ich habe zwei, drei Projekte, die ich am aufgleisen bin. Sie sind aber noch nicht spruchreif. Eines hat mit Sport zu tun, das andere ist etwas ganz anderes. Ich möchte mit dem Mountainbike in Verbindung bleiben, vielleicht nicht mehr so intensiv. Diese neue Ausrichtung wird aber nicht vor Ende 2022 passieren.

Sie engagieren sich privat oft für wohltätige Zwecke wie in der Laureus-Stiftung.
Ich bin auch speziell bei Solidarmed dabei und war schon zweimal in Afrika bei Projekten. Wenn man etwas mit seiner Bekanntheit helfen kann, ist es eine schöne Sache. 2018 realisierten wir beispielsweise eine E-Bike-Ambulanz für abgelegene Gebiete in Mosambik. Das funktioniert sehr gut.

Als Biker sind Sie stets in der Natur unterwegs. Umweltschutz und Klimadiskussion ist aktuell in aller Munde. Was tragen Sie dazu bei?
Klar befasse ich mich damit. Ich frage mich auch, welches Leben meine Tochter haben wird. Als Sportler ist es extrem schwierig. Man reist viel, was prinzipiell schlecht ist. Ich probiere, wo es geht, meinen Beitrag zu leisten. Wir wohnen CO2-neutral, heizen mit Solarpanels. Ich esse bewusster weniger Fleisch. Die Diskussion finde ich wichtig, damit sich die Leute bewusst werden, dass etwas geschehen muss. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten. Bei unseren Flügen bezahlen wir immer die CO2-Kompensation.

«Schurter f**** alle Fahrer im Feld an!»
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Anschuldigungen gegen Schurter:«Schurter f**** alle Fahrer im Feld an!»
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