SSI ist die Abkürzung für Swiss Sport Integrity, eine unabhängige Instanz, die sich für eine wirksame Bekämpfung des Dopings, ethischen Fehlverhaltens und von Missständen im Sport einsetzt. Also ist die Stiftung auch für den Antidopingkampf in der Schweiz verantwortlich. Sie kontrolliert Athleten und jagt Betrüger, damit alle einen fairen und sauberen Sport geniessen können.
Eine gute Sache also. Aber nun ist die SSI durch den Fall Flückiger plötzlich in schiefes Licht geraten. Mountainbiker Mathias Flückiger (36) wurde nach zweijährigem Kampf kürzlich von allen Vorwürfen der Verletzung von Anti-Doping-Bestimmungen freigesprochen. Grund: Die Dopingprobe war nicht verwertbar.
Die A-Probe, die 0,3 Nanogramm Zeranol pro Milliliter aufgewiesen hat, ein Wert, weit unterhalb des Grenzwertes der WADA von 5 Nanogramm, galt wegen der geringen Menge zwar als atypisches Resultat, aber nie als positive Probe, wie das von SSI deklariert wurde. Zudem wurden die erforderlichen Zusatzprüfungen nicht vorgenommen. Flückiger hätte also gar nicht provisorisch gesperrt und nicht als möglicher Doper beschuldigt werden dürfen. Es hätte gar kein Verfahren gegen ihn eröffnet werden dürfen.
Einordnung
Der Fall Mathias Flückiger war in mehrfacher Hinsicht aussergewöhnlich. Einerseits aufgrund der tiefen Konzentration der gefundenen Substanz, andererseits aufgrund der Tatsache, dass es nur sehr wenig wissenschaftliche Studien zu Zeranol gibt und weltweit nur wenige Dopingfälle mit dieser Substanz bekannt sind.
Der Fall Flückiger reiht sich ein in mehrere in letzter Zeit bekannt gewordene und kontrovers diskutierte internationale Dopingfälle, wie zum Beispiel jene von Jannik Sinner und den chinesischen Schwimmern. Bei allen konnten offenbar nur sehr tiefe Konzentrationen an verbotenen Dopingsubstanzen ermittelt werden. Ein wichtiger Grund dafür ist der technische Fortschritt der Antidopinglabore, die heute in der Lage sind, bereits kleinste Mengen an Substanzen zu detektieren.
Dieser Fortschritt ist aus Sicht des sauberen Sports explizit zu begrüssen, wird doch der Spielraum für Dopingmissbrauch damit wesentlich kleiner. Auf der anderen Seite steigt damit aber die Herausforderung, die Quelle für die in einer Probe gefundene Dopingsubstanz zu finden.
Verzicht auf Weiterzug
SSI ist nach wie vor der dezidierten Ansicht, dass die Probe gemäss den Regeln des Welt-Anti-Doping-Programms und der Rechtsprechung des Internationalen Sportgerichtshofs TAS verwertbar ist. Diese Ansicht teilen auch die Weltantidopingagentur WADA, das Antidopinglabor in Lausanne sowie die von uns konsultierten internationalen Antidoping-Experten.
In einer Güterabwägung und in Anbetracht der Tatsache, dass die Fragestellung der Verwertbarkeit der Urinprobe lediglich eine limitierte Teilfrage des gesamten Verfahrens darstellt, verzichtete SSI jedoch darauf, den Entscheid der DK ans TAS weiterzuziehen. In diese Entscheidung eingeflossen sind etwa die Verfahrensdauer, eine Abwägung der Prozessrisiken sowie die hohen zu erwartenden Kosten eines solch komplexen und langwierigen TAS-Verfahrens.
Aufarbeitung des Falls
SSI ist stets bestrebt, die Erkenntnisse aus einzelnen Verfahren in die Optimierung der Prozesse und Abläufe einfliessen zu lassen, was auch in diesem Fall geschehen ist. Einzelne Massnahmen wurden zudem bereits organisationsübergreifend ergriffen und umgesetzt, wie die zunehmende Professionalisierung der Gerichtsbarkeit durch die Gründung des Schweizer Sportgerichts. Andere sind noch ausstehend, beispielsweise beabsichtigt Swiss Olympic einen Runden Tisch mit den Verfahrensbeteiligten zu organisieren.
Milizsystem
SSI darf auf äusserst kompetente, motivierte und langjährige Mitarbeitende zählen. Nebst den Mitarbeitenden auf der Geschäftsstelle zählen auch fünf festangestellte Dopingkontrolleurinnen und -kontrolleure dazu. Darüber hinaus arbeiten auch rund 35 Dopingkontrolleurinnen und -kontrolleure auf Milizsbasis für SSI. Sie alle erhalten eine fundierte Grundausbildung, müssen jährlich obligatorische Weiterbildungen absolvieren sowie zweijährlich eine Prüfung ablegen. Dazu werden sie im Rahmen des Managementsystems regelmässig auditiert.
Das Milizkontrollpersonal von SSI wird auch regelmässig für Einsätze an internationalen Grossanlässen selektioniert, zuletzt wurden für die olympischen und paralympischen Spiele in Paris insgesamt fünf SSI-Miliz-DCOs selektioniert. Das festangestellte Kontrollpersonal hat den Vorteil, dass es praktisch zu jeder Tageszeit und auch kurzfristig zu Kontrollaufträgen aufgeboten werden kann.
Einordnung
Der Fall Mathias Flückiger war in mehrfacher Hinsicht aussergewöhnlich. Einerseits aufgrund der tiefen Konzentration der gefundenen Substanz, andererseits aufgrund der Tatsache, dass es nur sehr wenig wissenschaftliche Studien zu Zeranol gibt und weltweit nur wenige Dopingfälle mit dieser Substanz bekannt sind.
Der Fall Flückiger reiht sich ein in mehrere in letzter Zeit bekannt gewordene und kontrovers diskutierte internationale Dopingfälle, wie zum Beispiel jene von Jannik Sinner und den chinesischen Schwimmern. Bei allen konnten offenbar nur sehr tiefe Konzentrationen an verbotenen Dopingsubstanzen ermittelt werden. Ein wichtiger Grund dafür ist der technische Fortschritt der Antidopinglabore, die heute in der Lage sind, bereits kleinste Mengen an Substanzen zu detektieren.
Dieser Fortschritt ist aus Sicht des sauberen Sports explizit zu begrüssen, wird doch der Spielraum für Dopingmissbrauch damit wesentlich kleiner. Auf der anderen Seite steigt damit aber die Herausforderung, die Quelle für die in einer Probe gefundene Dopingsubstanz zu finden.
Verzicht auf Weiterzug
SSI ist nach wie vor der dezidierten Ansicht, dass die Probe gemäss den Regeln des Welt-Anti-Doping-Programms und der Rechtsprechung des Internationalen Sportgerichtshofs TAS verwertbar ist. Diese Ansicht teilen auch die Weltantidopingagentur WADA, das Antidopinglabor in Lausanne sowie die von uns konsultierten internationalen Antidoping-Experten.
In einer Güterabwägung und in Anbetracht der Tatsache, dass die Fragestellung der Verwertbarkeit der Urinprobe lediglich eine limitierte Teilfrage des gesamten Verfahrens darstellt, verzichtete SSI jedoch darauf, den Entscheid der DK ans TAS weiterzuziehen. In diese Entscheidung eingeflossen sind etwa die Verfahrensdauer, eine Abwägung der Prozessrisiken sowie die hohen zu erwartenden Kosten eines solch komplexen und langwierigen TAS-Verfahrens.
Aufarbeitung des Falls
SSI ist stets bestrebt, die Erkenntnisse aus einzelnen Verfahren in die Optimierung der Prozesse und Abläufe einfliessen zu lassen, was auch in diesem Fall geschehen ist. Einzelne Massnahmen wurden zudem bereits organisationsübergreifend ergriffen und umgesetzt, wie die zunehmende Professionalisierung der Gerichtsbarkeit durch die Gründung des Schweizer Sportgerichts. Andere sind noch ausstehend, beispielsweise beabsichtigt Swiss Olympic einen Runden Tisch mit den Verfahrensbeteiligten zu organisieren.
Milizsystem
SSI darf auf äusserst kompetente, motivierte und langjährige Mitarbeitende zählen. Nebst den Mitarbeitenden auf der Geschäftsstelle zählen auch fünf festangestellte Dopingkontrolleurinnen und -kontrolleure dazu. Darüber hinaus arbeiten auch rund 35 Dopingkontrolleurinnen und -kontrolleure auf Milizsbasis für SSI. Sie alle erhalten eine fundierte Grundausbildung, müssen jährlich obligatorische Weiterbildungen absolvieren sowie zweijährlich eine Prüfung ablegen. Dazu werden sie im Rahmen des Managementsystems regelmässig auditiert.
Das Milizkontrollpersonal von SSI wird auch regelmässig für Einsätze an internationalen Grossanlässen selektioniert, zuletzt wurden für die olympischen und paralympischen Spiele in Paris insgesamt fünf SSI-Miliz-DCOs selektioniert. Das festangestellte Kontrollpersonal hat den Vorteil, dass es praktisch zu jeder Tageszeit und auch kurzfristig zu Kontrollaufträgen aufgeboten werden kann.
Das abschliessende Urteil der Disziplinarkammer (DK) des Schweizer Sports zeigt auf, dass mit der Dopingprobe von Flückiger fragwürdig umgegangen wurde. Anstatt höchster Sorgfalt, die bei Dopingproben stets gepflegt werden müsste, wurde geschlampt – die DK bemängelte vor allem die teilweise fehlende Dokumentation. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit von SSI, welche das höchste Gut der Stiftung sein sollte.
Hier ein paar Details aus dem Urteilsbericht, der Blick vorliegt.
Betreffend Dopingkontrolle vom 5. Juni 2022 an der SM in Leysin VD (im Bericht aufgeführt von Flückigers Anwalt)
- Der Raum der Dopingkontrollstation sei offen gewesen.
- Im gleichen Raum (nur teilweise abgetrennt durch ein Regal) sei Essen zubereitet worden und die Dämpfe der Festwirtschaft seien intensiv riechbar gewesen.
- Der Raum der Dopingkontrollstation sei für Dritte zugänglich gewesen.
- Dritte hätten vor und während der Dopingkontrolle aus dem Raum weggeschickt werden müssen.
- Infolge der unordentlich herumliegenden Kontrollbecher hätten die Dopingkontrolleure nicht überprüfen können, ob zusätzliche Kontrollbecher von Dritten hinzugefügt worden seien.
- In der Toilette habe sich vor der Dopingkontrolle des Angeschuldigten eine unbekannte Drittperson befunden.
- Das Tuch, mit welchem der Angeschuldigte die Dopingprobe für den Transport bedeckt habe, stammte aus der öffentlich zugänglichen Toilette, welche kurz vorher von einem unbekannten Dritten verwendet worden sei und offenkundig nicht die Anforderungen an die Reinheit erfüllt habe.
Wichtig zu wissen: Im Urteil der Disziplinarkommission wurden die Vorgänge in Leysin nicht als ausschlaggebend für den Freispruch kritisiert. Aber die fehlende Dokumentation in den Tagen danach.
Betreffend Transport der Probe und Lagerung
Die Dopingprobe wurde am 5. Juni um 17.29 Uhr abgeschlossen. Eigentlich hätte sie schnellstmöglich ins Labor nach Lausanne geschickt werden müssen – so wird es verlangt. Doch es war Pfingstsonntag, die Post war zu, genauso wie am Pfingstmontag. So wurde die Probe erst am Dienstag, 7. Juni, um 8.00 Uhr, seltsamerweise per Nachtkurier verschickt. Sie kam darum erst am Mittwochmorgen, 8. Juni, in Lausanne an: viel zu spät.
Die Kontrolleurin, die bei der Dopingprobe die Oberaufsicht hatte, nennen wir sie Frau Z., eine Bankangestellte aus der Romandie, die seit rund 20 Jahren in Milizarbeit für SSI tätig ist, hat es verpasst, schriftlich zu dokumentieren, wie und wo die Probe in der Zwischenzeit gelagert wurde und wer zum Ort Zugang hatte.
Erst zu einem späteren Zeitpunkt sagte sie während der Untersuchung als Zeugin aus. Sie habe die Probe am 5. Juni abends nach der Ankunft zu Hause in ihren Kühlschrank getan. Sie sei den ganzen Pfingstmontag allein zu Hause gewesen, niemand hätte Zutritt gehabt, sie habe die Probe am Dienstagmorgen wieder aus dem Kühlschrank geholt und auf die Post gebracht.
Mehr zum Fall Flückiger
Die Aussagen von Frau Z. wurden von der DK als «beschränkt aussagekräftig» deklariert, da Fragen zum Zeitpunkt der Generierung der Dokumente und der Versandzeit unbeantwortet blieben. Dass die Informationen, wo sich die Probe befand, erst im Nachhinein verbal gegeben wurde und nicht rechtzeitig und ordnungsgemäss schriftlich dokumentiert wurde, war ein schwerwiegender Verstoss. Es gab also ein Fenster von 38,5 Stunden, in dem nicht bewiesen werden kann, wo und wie die Probe gelagert wurde und wer Zugang hatte.
Dopingprobe war unverwertbar
Am Ende war die Sache für die DK klar: Die Dopingprobe von Mathias Flückiger ist unverwertbar. Zu viele Einflüsse, sei es beispielsweise durch Drittpersonen oder Temperaturunterschiede, hätten die Analyse und damit das Resultat beeinflussen können. Im Urteil heisst es, dass es der SSI nicht im notwendigen Mass gelungen sei, nachzuweisen, dass das Analyseresultat nicht durch Verletzungen im vorgeschriebenen Prozess verursacht worden sei.
Verständlich, dass Flückiger nach seiner Entlastung zum Gegenschlag ausholt, «damit diese Sache keinem anderen Sportler je passiert. Denn das wünsche ich keinem.»
Blick hat SSI einen Katalog an Fragen zukommen lassen. Direktor Ernst König hat darauf schriftlich und ausführlich Stellung genommen (siehe Textbox oben). Der Fall geht weiter. Swiss Olympic beabsichtigt, einen Runden Tisch mit den Verfahrensbeteiligten zu organisieren. Ein wichtiger Schritt, dass dieser Fall so aufgearbeitet werden kann, dass er nicht als dunkle Wolke über dem Schweizer Sport hängenbleibt.