«Mein erster Eindruck? Ich bin geschockt! Ich stehe oben auf der Passhöhe des Sarenne. Blicke hinunter, schaue mir die Gegend an. Ich habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Man sieht die Spitzkehren, die engen Kurven und die in rotweisses Plastik eingefassten Strohballen, die die Strasse vom Abgrund trennen. So hat man wenigstens eine Ahnung, wo die Strasse verläuft.
Kaum auf dem Velo fängt es an. Es holpert fürchterlich, schlägt mich von einer Strassenseite zur anderen. Ich brauche sehr viel Kontrolle und Konzentration, um heil runterzukommen. Nichts mit Kopf lüften. Nichts mit Freude am Fahrtwind. Denn die Strasse hat Löcher, der Belag ist miserabel. Überall sind geflickte Stellen, Kies oder Rollsplitt, gar Geröll liegt auf der teilweise unbefestigten Strasse. Bei schönem Wetter ist die Abfahrt gefährlich. Hat es aber Nebel oder regnet es – ich will nicht daran denken.
Die ersten Kilometer sind gar hundsmiserabel. Schneller als mit Tempo 50 fährt hier keiner runter. Wichtig ist, dass man keinen unsicheren Fahrer vor sich hat. Wenn er Löcher aufreissen lässt, wenn er die Kurven falsch anfährt, wenn er nicht richtig auf dem Velo sitzt, wenn er dauernd an den Bremshebeln hängt, dann muss man ihn so schnell wie möglich überholen.
Wer die Kurven sauber nimmt, der kann eine Hilfe sein für die ganze Fahrerschlange hinter ihm. Auch hier gilt: Vorausblicken, vor der Kurve bremsen, in der Kurve loslassen, ausgangs Kurve beschleunigen oder laufenlassen.
Die grosse Frage ist: Wie fahren sie im Rennen runter? Ich muss aufpassen, weil ich Gegenverkehr habe. Ich kann die unübersichtlichen Kurven nicht schneiden. Ich überhole unsichere Velogümmeler, die ihre vom Bremsen schmerzenden Hände schütteln. Auch für die Tour-Profis gilt: Sie sind mehr auf den Bremsen als in üblichen Abfahrten.
Was mir Angst macht, ist die Enge dieser Hirtenstrasse. Es hat keine Sturzfläche, keine Leitplanken. Wenn ein Fahrer am falschen Ort stürzt, einen Defekt hat oder einen Fahrfehler macht, dann fliegt er ins Tobel – und das kann tödlich enden.
Gut, die Fahrer wissen, was sie erwartet. An den gefährlichen Stellen stehen Polizisten und warnen das Feld mit Flaggen. Es werden Schilder aufgestellt, die anzeigen, was für eine Kurve sich dahinter verbirgt.
Nach der 12,7 km langen Fahrt – wie in einem Schüttelbecher– ist das Schlimmste überstanden. Auch wenn ich nicht alles im Renntempo gefahren bin, das mulmige Gefühl bleibt. Ich denke an meine Berufskollegen und an diese fürchterliche Abfahrt.»