Stefan Küng erinnert an Ausnahmekönner wie einen Eddy Merckx. 2014 holt er innert zwölf Tagen viermal EM-Gold – auf Bahn und Strasse! An seinem achten Tag als Radprofi gewinnt er die Limburg-Classic. An seinem 14. Renntag knackt er solo die Romandie-Etappe in Fribourg.
Dieser Modell-Athlet (1,94m, 82 kg) kann fast alles: Zeitfahren, sprinten, rollen – das auf jedem Terrain, ausser in den langen Pässen.
Doch jetzt steht er sich selbst im Weg. Wie alle Ausnahmetalente hat Küng seinen eigenen Kopf, einen sturen. Springt wie ein «Muni» über alle Zäune. In seinem ersten Profijahr will er drei Rundfahrten in 55 Tagen fahren. Die ersten Fingerzeige kommen schnell.
22. Mai 2015: Küng weint in der Ambulanz
25 Kilometer vor dem Ziel der 12. Giro-Etappe hört er die Warnung, in der Abfahrt «gar nichts» zu riskieren. Er fährt mit respektvollem Abstand hinter zwei polnischen Fahrern. «In einer Linkskurve stürzen beide. Ich touchierte ein Velo, knallte mit dem Kopf auf den Asphalt.» Die Diagnose: Bruch eines Brustwirbels (T9). Nur mit Glück entkommt er einer Querschnittlähmung. Im Herbst kehrt er zurück, wird mit seinem Team BMC Weltmeister im Mannschaftszeitfahren, brilliert an der Bahn-EM in Grenchen mit Gold in der Einzelverfolgung und Silber mit dem Vierer. Das Jahr hat für ihn mit einer Lungenentzündung begonnen und endet Mitte Dezember mit einem zweiten Bremser – das Pfeiffersche Drüsenfieber hat aufs Pedal gedrückt.
6. Mai 2016: Nix wird aus Küngs Maglia Rosa
Das Unglück naht nach fünf Minuten Fahrzeit in Gestalt einer Linkskurve. Stefan Küng (22) braust daher, kräftig der Tritt, wild entschlossen der Blick, mit zweitbester Zwischenzeit am Giro-Prolog in Apeldoorn (Ho) . Doch unsere grosse Velohoffnung pedalt zu schnell. In einer scharfen Linkskurve wirft ihn das Tempo in die Balustraden. Küng stürzt, steigt sofort wieder aufs Velo. Doch sein 14 000 Franken teurer Renner ist futsch. Die Experten sind sich einig: Ohne Sturz hätte er den Prolog des 99. Giro gewonnen.
22. Juni 2016: Schwerer Sturz an der SM – Olympia-Aus
Im Juni will Stefan Küng in Martigny Schweizer Meister im Zeitfahren werden. Und damit Fabian Cancellara im letzten Duell erstmals bezwingen. Er fährt in der Abfahrt zu schnell in eine Kurve. Er überschlägt sich mehrfach. Die Diagnose ist niederschmetternd: Becken-Fraktur, Schlüsselbeinbruch, gebrochener Mittelhandknochen, Schürfungen und Prellungen am ganzen Körper. Und doch ist für Küng klar: «Ich bin mit einem blauen Auge davon gekommen.»
9. April 2017: Vom Auto überfahren
Die Fahrt durch die Staubhölle von Paris-Roubaix vergisst Küng nicht so rasch. Im Kopf hat er die Szene, wie er am Boden liegt und ein Auto mit dem rechten Hinterrad über seine Armbeuge fährt. «Zum Glück lag der Arm ausgestreckt und flach am Boden. Bei diesem Rennen kann alles passieren.» Das kann nur einer sagen, der unheimlich viel Glück gehabt hat – für einmal.
9. März 2018: Schulter ausgerenkt
Am Tirreno-Adriatico wird er Opfer eines Massensturzes. «Einige Fahrer rissen mich mit, fielen auf meinen Rücken.» Er hat keine Chance zum Ausweichen. Direkt nach der Zielankunft wird behandelt. «Als ich meine Schulter anhob, hörte ich ein Klicken – und fühlte mich sofort besser.» Er renkt sich die Schulter selbst ein.
8. April 2018: Kieferbruch
Bei Paris–Roubaix bricht sich Stefan Küng bei einem Sturz den Unterkiefer. Die Wunde am Kinn wird mit 6 Stichen sofort genäht. Die restlichen 160 km des Rennens wird er im Krankenwagen hinter dem Feld durchgerüttelt. Ohne das BMC-Team zu informieren, laden die Sanitäter den Schweizer im Spital von Roubaix wie einen Kartoffelsack aus – und überlassen ihn sich selbst.