Keine Strasse, kein Dorf. Kein Baum, keine Wiesen. Nur ein Feldweg und Ackerland, so weit das Auge reicht. Das ist die Hölle des Nordens. Das ist das Land von Paris–Roubaix. Für einen Sonntag im Jahr auch das von Fabian Cancellara (33).
Ob trocken oder nass, die Fahrer verfluchen das Rennen und stehen doch immer wieder in Compiègne am Start. Bei Regen verwandeln sich die Kopfsteinpflaster in Schmierseife. Bei Trockenheit (wie heute) frisst der Rennfahrer Staub, kann er kaum atmen.
Es ist das Rennen einer längst vergangenen Zeit. Ein Rennen, das uralte Instinkte weckt. Sogar die Ironie hat ihren Platz. Zum Beispiel, wenn ein Parketthersteller (Co-Sponsor des vierfachen Siegers Tom Boonen) am Rande der Holpersteine mit Plakaten für glatte Böden wirbt ...
Solosiege kaum möglich
Fabian Cancellara hat dieses Rennen vorbereitet, um es in den Beinen zu haben. Um es zum vierten Mal zu gewinnen. Um mit belgischen Rekordhaltern Roger de Vlaeminck (66) und Tom Boonen (33) gleichzuziehen.
Nach dem dritten Sieg an der Flandern-Rundfahrt (letzten Sonntag) hat Cancellaras Teamchef Luca Guercilena (It) nicht viel vom Erfolgsgeheimnis preisgegeben. «Das Wichtigste war die Analyse der letzten Saison.» Man habe mit der Vorbereitung schon im November begonnen, viel mehr sagt der Italiener nicht.
Tatsache ist: Guercilena und Cancellara haben erkannt, dass Solosiege an Flandern wie auch bei Roubaix kaum mehr zu schaffen sind. Also was tun, um nicht zu verlieren? Die Antwort ist einfach: Fabian muss seine Sprintfähigkeiten verbessern. Denn so oft ist ihm ein Sprintsieg in seiner erfolgreichen Karriere noch nicht geglückt. Im letzten Jahr hat er auf der Rennbahn in Roubaix Sep Vanmarcke im Schlussspurt ausgetrickst. Aber so naiv wie der Belgier sind nur wenige.
Rad-Trainer Marcello Albasini (55), im Schweizer IAM-Team verantwortlich für die Trainings der Fahrer, erklärt: «Die Zeiten sind vorbei, wo man Aussagen wie ‹nach 260 Kilometern einen Sprint zu fahren ist Glückssache› als Ausreden brauchen konnte.»
In Sprints verbessert
Und genau da hat Cancellara den Hebel angesetzt. Hinter dem Töff hat er lange Ausfahrten gemacht. Mit Intervallsprints. Mit langegezogenen Sprints, mit kurzen explosiven Sprints. Im roten Bereich, bis zur Erschöpfung.
Albasini verrät SonntagsBlick: «Bei IAM wissen wir ganz genau, dass unser Heinrich Haussler hohe Wattwerte lange pedalen kann. Ein Matteo Pelucchi das aber nur für einen kurzen Zeitraum tun kann. Also muss Haussler lange, Pelucchi kurze Sprints fahren, um eine Siegeschance zu haben.»
Mit seinem Alter wird Cancellara längere Sprints bevorzugen. Auch weil er an Explosivität (altersbedingt) verloren hat. «Ich weiss, ich habe mich in den Sprints stark verbessert», sagt der Berner. «Aber ich ziehe eine Solofahrt immer noch vor.» Das sorgt halt für Furore. Cancellara, die Diva, will nicht einfach Rennen gewinnen. Er will Geschichte schreiben. Auch heute in Roubaix.