Im Waisenhaus missbraucht
US-Handbikerin schreibt unglaubliche Gold-Story in Tokio weiter

Narben am Körper und Narben auf der Seele – die zweifache paralympische Gold-Gewinnerin Oksana Masters (32) hat eine bewegende Geschichte hinter sich.
Publiziert: 01.09.2021 um 10:48 Uhr
Oksana Masters verdrückt bei der Medaillenzeremonie in Tokio Tränen.
Foto: AFP
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Das Lächeln ist ihr nicht vergangen. Oksana Masters strahlt, als sie in Tokio ihre neunte und zehnte paralympische Medaille entgegen nehmen darf. Gewonnen hat sie – Gold – im Strassenzeitfahren und einen Tag später im Strassenrennen. Schon im Rudern hat die heute 32-Jährige 2012 Bronze geholt. Sonst ist sie eher im Winter erfolgreich, im Biathlon oder Skilanglauf (7 Medaillen). Dass Masters eine solch überragende Sportlerinnen-Vita hat, ist alles andere als selbstverständlich. Was die US-Amerikanerin erlebt hat, berührt.

1989 kommt sie in der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyi mit zahlreichen Missbildungen zur Welt. Das gleichnamige Verwaltungsgebiet ist zu diesem Zeitpunkt wegen der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl drei Jahre zuvor schwerwiegend radioaktiv verseucht. Masters wird mit nur einer Niere, sechs Zehen an jedem Fuss, verkürzten Daumen sowie einem 15 cm kürzeren linken Bein geboren. 9-jährig muss dem Mädchen ein Bein oberhalb des Knies amputiert werden, fünf Jahre später das andere.

«Die Nächte waren das schlimmste»

Oksana wächst in einem Waisenhaus auf. Erst letzten März macht sie von dieser Zeit erschütternde Enthüllungen. Körperlicher, emotionaler und sexueller Missbrauch sind an der Tagesordnung. «Ich erinnere mich an die unheimlichen Korridore. Es war unfassbar kalt, man konnte den Atem immer sehen. Und immer so dunkel. Die Nächte waren das schlimmste», erzählt sie.

Ein in Kentucky lebender Sprachtherapeut adoptiert das unterernährte Mädchen, als sie sieben Jahre alt ist. Jahrelang kämpft sie mit Schlafproblemen – die Nächte erinnern sie an die Missbräuche. «Ich hasste den Schlaf. Ich musste auf dem harten Boden schlafen, um so irgendwie das Trauma zu verarbeiten.»

Mit dem Leben in den USA und der Förderung gibt ihr der Sport neue Kraft fürs Leben. Ihr Adoptivvater wird zusammen mit ihrer Mutter, der, wie Oksana selbst sagt, sie «alles zu verdanken hat», zu den wichtigsten Bezugspersonen. Über die Jahre wird sie zu einer der besten Behindertensportlerinnen der Welt. Gezeichnet und gestärkt durch ihr bewegendes Leben. Dank des Sports bezeichnet sich Oksana Masters heute als glücklich. Das Lächeln, es bleibt trotz all der Narben. (leo)

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