Die drittgrösste Schweizer Stadt? Basel, na klar. Não! Nova Friburgo im Hinterland Rio de Janeiros zählt laut letzter Volkszählung 182.000 Einwohner. Neu-Fribourg heisst der Name auf Deutsch, gegründet wurde er von Schweizern.
Es war im frühen 19. Jahrhundert, die Schweiz war ein mausarmes Land von Bauern. 2000 Fribourger nahmen die beschwerliche Reise über den Atlantik auf sich und fanden in Brasilien eine neue Heimat.
Auch die Schweizer waren mal Flüchtlinge, und Brasilien nahm sie gerne auf! Später stiessen Auswanderer aus Italien, Portugal und weiteren Ländern dazu, und machen heute mit den Tausenden mit Schweizer Nachnamen die Region zu einem grossen Schmelztegel. In dem die Schweiz eine ganz besondere Stellung behalten hat.
BLICK nahm die 140 Kilometer von Rio de Janeiro nach Nova Friburgo unter die Räder. Die Fahrt von Meereshöhe hinauf auf 850 Höhenmeter über die top ausgebaute, manchmal steile Serpentinen-Strasse erinnert an einen Trip in die Alpen: Steil ists, und je länger man fährt, desto tiefer sinkt die Temperatur. Grosser Unterschied zur Schweiz: Neben der Strasse beginnt der dichte atlantische Regenwald.
Überall Models und Dessous-Shops
Tiefgrün scheinen darum auch die Hügel rund um Nova Friburgo und versprühen Charme. Die Stadt selbst tut das nicht. Sie ist zwar reich, vor einigen Jahren wurden die Favelas durch Sozialbauten ersetzt. Doch sie ist hässlich, weil voller grauer Wohnblocks.
Ein Highlight: Der Sessellift vom Stadtzentrum zum Hotel mit Aussicht über die Stadt. Auf dessen Dachterrasse weht die Schweizer Flagge. Man hatte sie für den 1. August aufgehängt. Reizend sind in der Stadt ausserdem die vielen Dessous-Shops und die Models auf den dazugehörigen Werbeplakaten. Man rühmt sich, Brasiliens «Hauptstadt der Unterwäsche» zu sein.
Aber Nova Friburgo kann nicht nur Slips und BHs. 20 Kilometer ausserhalb steht die Fabrik von Frialp (sprich: Frialpi). Untergebracht in einem Chalet, entstehen hier Schoggi und Käse. Hinter dem Chalet steht Willhelm Tell als Steinstatue. Davor die Kunststoff-Kuh in Lebensgrösse. Mehr Schweiz-Klischees gehen kaum. Es fehlt bloss noch die Bankfiliale.
Das Chalet und Frialp gehören der Association Fribourg-Nova Friburgo. Diese setzt sich für die Vernetzung von Alt- und Neu-Fribourg ein. Neben den Fabrikräumen im Gebäude: Ein top-modernes Museum zur Geschichte der Auswanderer sowie derer neuer und alter Heimat, einen kleinen Supermarkt, ein Restaurant mit Berner Rösti auf der Speisekarte und ein Auditorium für 120 Personen. Ein XXL-Chalet, das 1996 nur rund eine Million Franken kostete.
«Ich war schon 57 mal in Nova Friburgo», sagt Raphael Fessler (60), ehrenamtlicher Präsident der Association und im Hauptberuf PR-Berater in der Schweiz. «Man muss ein wenig verrückt sein, um diesen Job zu machen.» Damit er den Laden nicht selber schmeissen muss, hat die Casa Suiça einen Geschäftsführer.
Nicht ganz der gleiche Käse
20 Sorten Pralinés produziert Frialp. Ausserdem Gruyère, Emmentaler und Sbrinz, unter anderen. Vier Tonnen Käse kaufen die Kunden pro Monat!
«Natürlich kann der Käse hier nicht eins zu eins wie in der Schweiz hergestellt werden, dazu sind die Bedingungen zu verschieden», sagt Fessler. Und BLICK schmeckt im Käse-Test: Die Frialp-Produkte sind gut, für brasilianische Verhältnisse sogar hervorragend. Aber ganz ans Original kommen sie nicht heran.
Aus diesem Grund setzt Urs Ammann auf importierten Käse. Der 65-jährige Berner ist vor 25 Jahren in die Nähe von Nova Friburgo gezügelt, um seine einladende «Auberge Suisse» aufzumachen. «50 Prozent des Fondues, das ich anbiete, besteht aus Gruyère aus der Schweiz. Der Rest ist von hier», sagt der Hotelier. «Der importierte ist zwar fünfmal so teuer wie der lokal produzierte, aber ohne original Gruyère ist ein Fondue kein Fondue. Der hier produzierte schmeckt einfach nicht gleich.»
Nächste Station ist der Auftritt der Trachtengruppe. Deren Chef ist Geraldo Thurler (62), der sich mittlerweile ohne Ü-Punktchen schreibt. Irgendwann werden sie verloren gegangen sein, seine Familie ist seit acht Generationen in Brasilien.
Thurler über seine Motivation für die Trachtengruppe: «Viele hier haben die Kultur der Vorfahren vergessen. Wir versuchen, ihr Erbe hochzuhalten.» Thurlers zehnköpfige Gruppe zeigt den vielleicht 200 Zuschauern im Stadttheater Paartanz zu Ländlermusik.
Am schweizerischsten auf dem Friedhof
Die Trachtengruppe ist eine der wenigen Spuren, die in der Stadt selbst noch auf das Schweizer Erbe hinweisen. Ansonsten heisst ein Quartier Suiça, ein anderes Mury – früher wohl einmal Muri.
Doch am auffälligsten ist die Schweizer Vergangenheit wenig überraschend auf dem Friedhof, wo zahlreiche Borers, Braunes oder eben Thurlers begraben liegen.
Auf den Grabsteinen daneben stehen italienische und portugiesische Namen, und zwar viel zahlreicher als Schweizer. Umso erstaunlicher ist es, dass hier jedes Kind viele Generationen nach der Stadtgründung vom Schweizer Hintergrund der Stadt weiss.
Die Geschichte gehört in der Schule zum Pflichtstoff. 2018 werden die Friburguenses diese noch deutlicher zu sehen kriegen: Dann feiert die Stadt ihr 200-jähriges Bestehen. Die Association Nova Friburgo organisiert an vorderster Front mit.