Diese Woche lässt der englische Rugby-Verband die Bombe platzen. Mit nackten Zahlen.
In der englischen Premiership kam es letzte Saison zu 739 Verletzungen, die Spieler zu einer Auszeit zwangen. Die Verletzungen werden immer schlimmer: Fehlte ein Spieler im Jahr 2002 im Schnitt 16 Tage bei einem Gebrechen, muss er heute 26 Tage zugucken.
Heftig: Die Gehirnerschütterungen letzte Saison nahmen gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozent zu!
«Rugby ist schneller, härter und athletischer geworden», erklärt Martin Pütter (56), ein Schweizer Rugby-Schiedsrichter und ehemaliger Spieler beim RFC Basel. «Die heutigen Top-Spieler müssen mindestens über 1,80m gross sein und mehr als 100kg auf die Waage bringen.»
Schutzmassnahmen greifen nicht
Weil Rugby immer brutaler wird, hat der Weltverband vor ein paar Jahren neben Zahnschutz und den Helmen Schutzpolster unter den Trikots erlaubt. Der Schaumstoff darf nicht dicker als einen Zentimeter sein, wenn man ihn mit den Fingern zusammengepresst.
Was ist die Folge? Jetzt wird einfach noch rücksichtsloser getackelt. Schleudertraumata und Gehirnerschütterungen gehören in Top-Ligen wie auch niedrigen Klassen zur Tagesordnung. Oft werden diese nicht richtig diagnostiziert, die Spieler machen einfach weiter.
Für Aufsehen sorgte der Fall George North (22). Der Wales-Flügel ging letzten Freitag gegen England im Six-Nations-Opener zweimal K.o. – spielte trotzdem mit Gehirnerschütterung zu Ende. Und das, obwohl das medizinische Betreuerteam Zugriff auf alle Video-Aufnahmen gehabt hätte.
Eine Schnelldiagnose ist noch schwieriger in unteren Ligen. Dort hängt viel vom Schiri ab – er hat das Recht, die Auswechslung eines Spielers aus Gesundheitsgründen zu verlangen.
Nyon-Spieler gibt trotz Weinkrampf nicht auf
Rugby-Ref Martin Pütter nahm diese Befugnis zum Beispiel letzten Oktober wahr: «Beim NLB-Spiel Neuchâtel gegen Nyon II blieb ein Nyon-Spieler nach einem Tackling liegen, hyperventilierte, erholte sich aber wieder», sagt der Basler.
«In der Pause sah ich, wie er plötzlich einen Weinkrampf bekam. Wenige Minuten nach Wiederbeginn war er mit einem Tackling zu spät, hyperventilierte daraufhin erneut und fing wieder an zu weinen.» Pütter forderte Nyons Trainer zur augenblicklichen Auswechslung auf. Später stellte sich heraus: Der Nyon-Spieler hatte eine Asthma-Attacke.
«Es wäre angebracht, wenn alle nationalen Rugby-Verbände Richtlinien bei Verdacht auf Gehirnerschütterung hätten», so Pütter.
Die «Fédération Suisse de Rugby» hat leider noch keine. Bleibt zu hoffen, dass sich das nicht rächt.