Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Sind unsere Kinder faul und unsportlich?

Bewegungsarmut und Übergewicht auch bei jungen Menschen sind ein Problem. An den Kindern liegt es aber nicht. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 22.09.2024 um 20:09 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2024 um 13:27 Uhr
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Badeplausch im Hallwilersee: Kinder müssen nur die Möglichkeit bekommen, sich zu bewegen. Dann nützen sie diese auch.

Ist die heutige Jugend zu faul, zu fettleibig, zu unbeweglich und zu unsportlich? Hängen diese Nerds nur noch an der Spielkonsole oder am Handy und verkommen zu asozialen Sorgefällen am laufenden Band?

Wer schon im gesetzten Alter ist und über junge Menschen spricht, der zeichnet vielfach ein düsteres Bild. Und kann sich bei der Kritik über das Freizeitverhalten der Jugendlichen auf die Statistik berufen.

Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO bewegen sich 80 Prozent der Kinder zu wenig. Die Empfehlung: Mindestens 60 Minuten täglich sollte ein Kind körperlich aktiv sein. Das fördert die körperliche und geistige Entwicklung.

Wagen wir einen Feldversuch. Drei Tage Campieren am Hallwilersee mit einer Schulklasse aus dem Aargau, deren Lehrer einst Fussballprofi gewesen ist. 14 Kinder. Grösser, kleiner, dünner, korpulenter, mit und ohne Migrationshintergrund, aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Der eine etwas aufgekratzt und vorlaut und in erster Linie an fetten Luxusautos interessiert. Der andere etwas zurückhaltender.

Alle machen mit Begeisterung mit

Die Anreise per Velo bei Regen und ordentlicher Kälte ist herausfordernd. Alle ziehen mit, das Gemotze kann mit beruhigenden Prognosen («ab jetzt geht es nur noch bergab») im Keim erstickt werden. Zelte aufstellen, einrichten, und dann geht es los. Das Wetter ist kein Thema.

Alle machen bei der Aufwärmrunde, bei den Liegestützen, bei den Rumpfbeugen mit Begeisterung mit und stürzen sich danach auch bei 10 Grad Lufttemperatur und 19 Grad Wassertemperatur in den See.

Wandern ja, aber bei der Nati-Frage scheitern die Kids

Und der Enthusiasmus bleibt, der Bewegungsdrang ist enorm. Sitzen tut keiner. Fussball, Volleyball, Badminton, Stafetten mit Schwimmen, Laufen und Klettern. Sie wandern sogar zwei Stunden mehr oder weniger, ohne zu motzen.

Die Wanderung ist auch die Gelegenheit, ihr theoretisches Sportwissen zu testen. Wo spielt Lionel Messi? Die Antwort kommt prompt. Auch die Frage nach dem Torschützenkönig der letzten Bundesligasaison kommt in Windeseile. Fünf Schweizer Spieler der Nationalmannschaft bringen sie aber nicht hin. Nach Xhaka, Shaqiri, Embolo und Sommer ist Schluss.

Die Kinder sind sportlich, aber man muss sie abholen

Mein persönlicher, empirisch nicht belegter Feldversuch zeigt: Die Kinder von heute sind garantiert so sportlich und beweglich wie die älteren, die in ihrer verklärten Erinnerung ja nur draussen gespielt und sich ausgetobt haben.

Das Problem: Man muss sie abholen, man muss die Welt des Sports und der Bewegung aufzeigen. Wer bietet ihnen die Möglichkeit, im September im See zu schwimmen, bis 21 Uhr Badminton zu spielen und sich in der Gruppe von morgens um 7 Uhr bis abends um 22 Uhr gegenseitig herauszufordern und so ihren nie enden wollenden Bewegungsdrang auszuleben? Tun es die Eltern? Tun es die Schulen und Lehrer, für die ein solches Lager mit enormem Aufwand und auch grosser Verantwortung verbunden ist? Leider tun es immer weniger.

Hans ist das Problem, nicht Hänschen.

Die vierzehn Duracell-Häschen vom Hallwilersee strafen die Statistik der WHO Lügen. Sie haben sich im Tag nicht 60 Minuten bewegt. Sondern 600.

Aber irgendeiner muss ihnen die Möglichkeit dazu bieten.

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