«Wir lebten unsere Liebe versteckt»
27:53
Diskussionsrunde:So ist das Leben als lesbische Spitzensportlerin

Marathonläuferin Maja Neuenschwander über ihr Lesbischsein
«Ich hatte nie das Bedürfnis, ein grosses Ding daraus zu machen»

Marathonläuferin Maja Neuenschwander (40) über ihre emotionalsten Momente als Läuferin und als Mama. Und über das Glücksgefühl einer Geburt.
Publiziert: 12.04.2020 um 20:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2020 um 20:09 Uhr
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2015: Neuenschwander gewinnt in Wien den Marathon.
Foto: Keystone

«Ab Kilometer 30 laufe ich ­alleine an der Spitze. Hinter mir die Verfolgergruppe mit den Favoritinnen aus Afrika. Ich ­leide, laufe aber meinen Rhythmus weiter. Die Afrikanerinnen verkürzen den Abstand zu mir kontinuierlich, holen mich aber nicht mehr ein. Als erste Läuferin überquere ich die Ziellinie des Wien-­Marathons 2015. Es ist mein erster Sieg an einem internationalen ­Marathon und einer der emotionalsten Momente meiner Karriere. Noch Tage später werde ich von den Glücksgefühlen getragen. Gefühle, die einen für all die jahrelange, harte ­Arbeit belohnen.

Bei jedem Marathon komme ich an meine Grenzen

Angefangen hatte es 2006. In Zürich lief ich meinen ersten Marathon. Ich war 26 Jahre alt und hatte während fünf Jahren auf diesen ­Moment hingearbeitet. Das Aufbautraining für diese 42,195 Kilometer ist ein langwieriger Prozess. Nicht nur den Körper, auch den Geist muss man auf diese hohe Belastung ­vorbereiten. Bei jedem Marathon komme ich an meine Grenzen – physisch und psychisch. Egal, ob es mir gut läuft oder nicht. Bei meiner Marathonpremiere in Zürich ging es um ein gutes Laufgefühl. Die Zeit war zweitrangig. Trotzdem lief ich aufs Podest. Wichtiger war die Erkenntnis, dass ich Marathon laufen will. Endlich hatte ich gefunden, was zu mir passt. Die 42 Kilometer in Zürich waren der Anfang meiner Liebe zum Marathon.

Diese Liebe führte mich 2012 nach London an die Olympischen Spiele. Der Olympia-Marathon bleibt unvergesslich: Es regnete am Wettkampftag stark, und ich dachte, dass bei diesem Wetter nur ­wenige Zuschauer kommen würden. Ich habe mich getäuscht. Entlang der Strecke feuerten die Menschen uns an. Teilweise war es so laut, dass ich froh war, wenn ich für ­einen kurzen Moment in einem Tunnel laufen konnte, um etwas Ruhe zu haben. Es war eine geniale Stimmung – etwas, das ich sportlich gesehen nie wieder erlebte.

Hochzeit mit meiner Partnerin

Etwas Privates, das einmalig bleibt, ist die Hochzeit mit meiner Partnerin Gabrielle. Wir liessen ­unsere Partnerschaft 2012 nach sieben Jahren Beziehung eintragen. Dass ich auf Frauen stehe, weiss ich schon lange. Mit 20 merkte ich, dass mich Frauen stärker anziehen als Männer. Es fällt mir aber schwer zu sagen, wann und warum ich diese Erkenntnis hatte. Ein Schlüsselerlebnis gab es nie. Das Gefühl, lesbisch zu sein, kam schleichend. Und so habe ich mich auch langsam in diese Welt hineinbegeben und gelebt, was ich fühlte. Nie hatte ich das Bedürfnis, ein grosses Ding daraus zu machen, darum habe ich mich im Sport auch nie aktiv geoutet.

Versteckt habe ich meine Liebe aber auch nie, weder privat noch in der Leichtathletik. Ich denke, diese Art entspricht meinem Wesen. Ich habe nicht immer Lust, alles zu bereden und mitzuteilen. In der Beziehung mit Gabrielle kam jedoch der Moment, als das Reden plötzlich sehr wichtig wurde. Gabrielle wollte ein Kind. Ich war 32 und noch nicht bereit, das Marathonlaufen aufzugeben. Gleichzeitig wusste ich, dass sich Gabrielle von mir trennen würde, sollte ich mich ­gegen ein Kind entscheiden. Also liess ich mich auf den ­Prozess ein, im Wissen, dass ich das Kind nicht gebären würde.

Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich nicht trainieren gehen

2013 kam unser erster Sohn auf die Welt. Bei der Geburt war ich ­dabei. Ein krasser Moment. Unvergleichbar. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass die Geburt so viel in mir auslösen würde. Nach der ­Geburt wollte ich nur noch Tag und Nacht bei Gabrielle im Spital sein und unseren Sohn im Arm halten. Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich nicht trainieren gehen. Ich musste mich aktiv losreissen von den beiden und mich zum ­Training zwingen. Zwei Jahre später kam unser zweiter Sohn auf die Welt. Nur fünf Tage nach dem Sieg des Wien-­Marathons. Das Verrückte an dieser Geschichte ist, dass ich mir aufgrund des Geburtstermins überlegt hatte, auf die Teilnahme zu verzichten. Ich hatte Bedenken, die Geburt zu verpassen, was dann glücklicherweise nicht passierte.

2015 war ich privat und sportlich in einem Hoch. Am Marathon in Berlin lief ich den Schweizer Rekord, der liegt bei 2:26:49. Die schnellste Schweizerin zu sein, ist eine unglaubliche Genugtuung, auch wenn mir bewusst ist, dass Rekorde vergänglich sind. Sie sind zum Brechen da, früher oder später wird auch ­meiner unterboten werden. Meine ursprünglichen Ängste in Bezug auf meine Mutterrolle sind längst verflogen. Die ­Buben lieben mich, und ich bin für sie die Mama. Gabrielle ist das Mami. Auch der ­Vater spielt eine Rolle im Leben ­unserer Söhne. Er sieht sie regelmässig, es ist ein unkomplizierter ­Umgang. Das mag ich.

Zeit zweitrangig

Kürzlich lief ich erneut den Marathon in Berlin. Jedoch mit einem anderen Laufgefühl als 2015. Nachdem ich die letzten drei Marathons abgebrochen hatte, hatte ich in Berlin ein einziges Ziel: Ich wollte ins Ziel laufen. Nach 30 Kilometern waren die Zweifel aber plötzlich wieder da. Ich hätte am liebsten geheult. So nahm ich mir während des Laufens eine ­kurze Auszeit am Streckenrand. Ich wollte den Lauf irgendwie fertig laufen, ihn geniessen. Mit diesem Gedanken habe ich es ins Ziel geschafft. Die Zeit: 2:46. Zwei Minuten langsamer als bei meinem allerersten Marathon vor 13 Jahren. Doch damals wie heute war die Zeit zweitrangig. Es ging ums Gefühl. Aktuell ist es offen, wie es sportlich weitergeht. Aber etwas weiss ich: Laufen gehört zu mir und wird mich mein ganzes Leben lang begleiten.»

Persönlich Maja Neuenschwander

Maja Neuenschwander (40)
Die Bernerin ist die schnellste Schweizer Marathonläuferin aller Zeiten. 2012 und 2016 nahm sie an den Olympischen Spielen teil. Wo die Gymnasiallehrerin und Projektleiterin «Frau und Spitzensport» bei Swiss Olympic 2020 an den Start gehen wird, ist wegen des Coronavirus noch offen.

Maja Neuenschwander (40)
Die Bernerin ist die schnellste Schweizer Marathonläuferin aller Zeiten. 2012 und 2016 nahm sie an den Olympischen Spielen teil. Wo die Gymnasiallehrerin und Projektleiterin «Frau und Spitzensport» bei Swiss Olympic 2020 an den Start gehen wird, ist wegen des Coronavirus noch offen.

Das Buch

Im neuen Buch «Vorbild und Vorurteil. Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen» reden 28 junge und ältere Frauen aus unterschiedlichsten Sportarten über ihr Leben. In einer vierteiligen Serie drucken wir gekürzte Fassungen ab.

Das Buch erscheint im Verlag «HIER UND JETZT», hat 272 Seiten und kostet 39 Franken. Für BLICK-Leser gibt es eine spezielle Aktion: Sie bezahlen nur 32 Franken, ohne Portokosten. Zu bestellen per E-Mail an admin@hierundjetzt.ch oder telefonisch 056 470 03 00, jeweils mit dem Stichwort «BLICK-Aktion».

Weitere Infos finden Sie unter www.vorbildundvorurteil.ch und www.hierundjetzt.ch

Im neuen Buch «Vorbild und Vorurteil. Lesbische Spitzensportlerinnen erzählen» reden 28 junge und ältere Frauen aus unterschiedlichsten Sportarten über ihr Leben. In einer vierteiligen Serie drucken wir gekürzte Fassungen ab.

Das Buch erscheint im Verlag «HIER UND JETZT», hat 272 Seiten und kostet 39 Franken. Für BLICK-Leser gibt es eine spezielle Aktion: Sie bezahlen nur 32 Franken, ohne Portokosten. Zu bestellen per E-Mail an admin@hierundjetzt.ch oder telefonisch 056 470 03 00, jeweils mit dem Stichwort «BLICK-Aktion».

Weitere Infos finden Sie unter www.vorbildundvorurteil.ch und www.hierundjetzt.ch

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