Kambundji sucht die Formel für noch schnellere Zeiten
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BLICK zu Besuch in London:Kambundji sucht die Formel für noch schnellere Zeiten

Kambundjis Leben in London
«Mujinga ist wie Chelsea – sie wechselt den Trainer oft»

Neuer Trainer, neue Stadt – und neues Glück? Mujinga Kambundji sucht in London die Formel für noch schnellere Zeiten. Ein Besuch im neuen Leben der Schweizer Weltklasse-Sprinterin.
Publiziert: 16.06.2019 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2019 um 19:31 Uhr
Hello London! Mujinga Kambundji geniesst das Leben in der 8-Millionen-Metropole.
Foto: Sven Thomann
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Emanuel Gisi (Text) und 
Sven Thomann (Fotos) aus London

Eigentlich ist sie nach London gekommen, um Hundertstel­sekunden zu gewinnen. Aber jetzt steht Mujinga Kambundji auf dem Perron der U-Bahn-Station Camden Town und muss warten. Zwischen einheimischen Pendlern und Touristen, die sich am unter­irdischen Bahnsteig der Northern Line aneinander vorbeidrücken, fällt die schnellste Frau der Schweiz nicht auf. «Man muss wissen, wie man sich hier Platz verschafft», sagt die Bernerin, die am Montag ­ihren 27. Geburtstag feiert. «Vor ­allem in der Rushhour kann es ganz schön eng werden. Manchmal lasse ich auch einfach einen vollen Zug fahren und nehme den nächsten.»

Seit letztem Herbst ist ­Kambundji auch in der Hauptstadt des Vereinigten Königreiches daheim, seit November trainiert sie regelmässig in der 8-Millionen-Metropole. Im Privatteam des ehemaligen briti schen Nationaltrainers Steve Fudge ist sie eine von drei Frauen, insgesamt neun Athleten hat der Schotte derzeit unter seinen ­Fittichen. Darum reist sie nun von ihrer Berner Trainingsbasis regelmässig auf die Insel, bleibt dann normalerweise zwei Wochen.

Mit der U-Bahn angefreundet

Die Londoner Tube ist seither Kambundjis zweites Wohnzimmer geworden, so häufig ist sie damit ­unterwegs: Länger als eine Stunde braucht sie von der Wohnung ihrer Schwester Muswama, wo sie in London derzeit wohnt, zum Lee-­Valley-Trainingszentrum im Norden der Stadt. Mit U-Bahn, Bus und zu Fuss. «Es ist, als ob ich jeden Tag von Bern nach Zürich pendeln würde», sagt Kambundji. «Aber ich mag die U-Bahn. Da kann man sich mit seinem Kaffee reinsetzen, die Kopfhörer einstöpseln und Musik hören. Reden tut eigentlich niemand mit den anderen Passagieren.» Nicht so hoch auf Kambundjis Favoriten-­Liste: der Bus. «Da sind die Fahrgäste manchmal etwas komisch.»

Aber wie ist es, in einer Stadt zu arbeiten, die für die meisten ­Landsleute eine Wochenendtrip-­Destination ist? «Mir gefällts», sagt Kambundji. «Ich bin ja eher ein Stadtkind, ich mag die vielen verschiedenen Restaurants, die Cafés, die vielen verschiedenen Viertel, die vielen Läden. In Bern gehe ich praktisch nie shoppen, hier schon.»

Auch wenn sie als Sprinterin in der Königsdisziplin der Leichtathletik zu Hause ist, ein Glamour-Leben führt die erste Schweizerin, welche die 100 Meter unter 11 Sekunden absolviert hat, hier nicht. Bis sie nach dem Training wieder daheim ist, ist der Nachmittag schon fast vorbei, der Körper müde. «Dann ist der Aufwand gross, noch einmal richtig rauszugehen.»

Ausser eben vielleicht zum Shoppen. Kambundji schlägt einen Streifzug durch die Läden und Stände des Camden Market vor, dem etwas alternativ angehauchten, szenigen Kult-Quartier nördlich des Zentrums. Hier gibts alles ausser grosse Ladenketten: Kleider, Möbel, Essen. Sie gönnt sich eine süsse Kleinigkeit am Stand einer der ­vielen veganen Bäckereien im Viertel. «Eigentlich nicht unbedingt meine Sache, veganes Essen. Aber wir probieren das hier mal.»

Sie schlief mit Ex-Teamkollegin Mühlebach im gleichen Bett

Dann gehts wieder in die U-Bahn, zehn Minuten Fahrt, einmal umsteigen, zum Oxford Circus. In der Carnaby Street sind die Läden ­schicker. Hier wartet Silja Mühlebach. Früher ebenfalls Sprinterin, arbeitet die 25-Jährige heute in London bei einem Finanzdienstleister. Beide siegten 2009 mit der Schweizer 4x100-m-Staffel bei den European Youth Games. Heute haben sie zum Kaffee abgemacht, später ­gehen sie Sushi essen. Und bis vor kurzem wohnten sie sogar zusammen. «Als sie mich angerufen hat und mich fragte, ob ich ihr helfen kann, war der Fall für mich sofort klar», sagt Mühlebach. «Logisch, dass sie bei mir wohnen konnte.»

Das ist nicht selbstverständlich: Die Innerschweizerin, die in Charlotte (USA) und in Amsterdam studierte, hat in einer WG ein Zimmer. Entsprechend eng die Verhältnisse: Die beiden schliefen im gleichen Bett. «Es ist ja auch ein grosses Bett», sagt Mühlebach lachend.

«Das war überhaupt kein Problem. Tagsüber hatten wir nicht den gleichen Rhythmus. Und abends haben wir zusammen gekocht und dann auf dem Laptop Netflix-­Serien geschaut. Mit Mujinga ist es wie mit einer alten Freundin. Wenn wir uns auch lange nicht mehr ­gesehen haben, es ist sofort wieder vertraut.»

Gleichzeitig war Mühlebach im Winter als London-Starthelferin wertvoll. Kambundji: «Ich war froh, dass ich jemanden hatte, die sich hier schon auskennt. Die mir sagen konnte, mit welcher ÖV-App ich am besten durch die Stadt ­komme, wo ich einkaufen kann, die kleinen Sachen. Und auch jetzt, wo wir nicht mehr zusammen wohnen, treffen wir uns immer, wenn ich in der Stadt bin.»

Nächster Tag, nächste U-Bahn-Fahrt. Diesmal ins Waltham Forest Feel Good Centre. In Lee Valley ist heute Schulsporttag, Kambundjis private Trainingsgruppe muss weichen. «Vor Olympia 2012 in London wurden Hallen wie Lee ­Valley vom britischen Verband ­getragen», sagt Coach Steve Fudge. «Mittlerweile müssen sie sich aber selber finanzieren. Darum werden sie ab und zu vermietet. Und dann müssen wir eben ausweichen.»

Der Schotte steht bewehrt mit Bart und Schirmmütze an der ­Tartanbahn, um den Hals baumeln Trillerpfeife, Stoppuhr und Ohrenstöpsel. Er filmt die Läufe seiner Schützlinge mit dem Handy, danach folgt unmittelbar die Video-Analyse. «Es ist eine ungewöhnliche Situa­tion», sagt Fudge. «Normalerweise wechseln Athletinnen ihre Trainer nach einer schwachen Saison. Mujinga aber hatte das stärkste Jahr ihrer Karriere, trotz drei vierter Plätze an der EM. Das setzt auch mich unter Druck.»

«Mujinga ist ein bisschen wie Chelsea»

Allzu sehr zuzusetzen scheint ihm die unübliche Konstellation nicht. Die Atmosphäre im Training ist locker, über die tragbaren ­Lautsprecher schallt im Wechsel Reggae, Hip Hop und Loungemusik. Fudge diskutiert beim Aufwärmen mit seinen Athleten über den anstehenden Boxkampf des britischen Schwergewichtlers Tyson Fury, später wird der Transfer von Chelsea-Coach Maurizio Sarri nach Turin besprochen. «Wenn man so will, ist Mujinga ein bisschen wie Chelsea», sagt Manchester-United-Anhänger Fudge mit einem Augenzwinkern. «Die hatten in den letzten Jahren auch viele Trainerwechsel.»

In der Tat: Nach vier Jahren bei Valerij Bauer in Mannheim arbeitete sie 2017 mit dem Niederländer Henk Kraaijenhof zusammen, wechselte nach einer Saison zum Amerikaner Rana Reider, der die holländischen Sprinterinnen trainiert. In Amsterdam ging es für Kambundji letzten Sommer nicht weiter – auch, weil die Holländer in ihr eine Konkurrentin für ihre Top-Sprinterin Dafne Schippers sehen. Jetzt also London – es scheint ein Volltreffer zu werden. «Steve ist extrem zuverlässig und gleichzeitig sehr entspannt. Das ist für mich gerade am Wettkampftag sehr wertvoll und dann, wenn ich zu Hause allein trainiere», sagt Kambundji. «Im Moment passt alles. Ich habe das Gefühl, ich bin hier angekommen.»

Es sieht so aus, als ob ­Kambundji ihrer neuen, zweiten Heimat noch ein bisschen treu bleiben dürfte. Und sollten die Hundertstelsekunden auf der Bahn dann auch noch ­kommen, wird das Warten im Londoner Untergrund gleich noch ein bisschen erträglicher.

So plant Mujinga die Saison

Letzte Saison lief Mujinga Kambundji (am 17. Juni wird sie 27-jährig) persönliche Bestzeit: Über 100 m brauchte sie als erste Schweizerin in der 
Geschichte nur 10,95 Sekunden – trotz einer schwierigen Saison mit Trainer-Trubel.

Was ist also dieses Jahr drin 
für die Sprinterin, die mit Coach Steve Fudge ihr sportliches Glück gefunden zu haben scheint? «Ich habe keine Ahnung, wie schnell ich im Moment bin», sagt die Bernerin. «Ich habe ein gutes Gefühl, fühle mich wohl. Aber das allein heisst nicht, dass ich schnell bin.»

Kambundji fehlen die Vergleichswerte. «Letztes Jahr war der Aufbau anders, wir fangen später an, weil die WM in Doha erst im Oktober stattfindet.» Eine konkrete Zeit setzt sie sich darum nicht als Ziel. «Ich habe aber das Gefühl, dass ich schneller laufen kann als 10,95 Sekunden.»

Den ersten Test gibts am kommenden Wochenende in Nancy, danach startet Kambundji beim Prefontaine Classic im kalifornischen Stanford, ehe es auf Schweizer Boden erstmals ernst gilt: Am 5. Juli läuft sie bei Athletissima Lausanne.

Kambundjis Saisonplanung

22. Juni – Nancy (Fr) – 100 Meter
30. Juni – Prefontaine Classic in Stanford (USA) – 100 Meter
5. Juli – Athletissima Lausanne – 100 Meter / 4 x 100 Meter
9. Juli – Spitzen Leichtathletik Luzern – 100 Meter
3. August – Citius meeting Bern – 100 Meter
9. bis 11. August – Team-EM Bydgoszcz (Pol) – 100 Meter / 4 x 100 Meter
23. bis 24. August – SM Basel – 100 Meter / 200 Meter
29. August – Weltklasse Zürich – 200 Meter / 4 x 100 Meter
1. September – Gala dei Castelli Bellinzona – 100 Meter
28. September bis 6. Oktober – WM Doha (Katar) – 100 Meter / 200 Meter / 4 x 100 Meter

Letzte Saison lief Mujinga Kambundji (am 17. Juni wird sie 27-jährig) persönliche Bestzeit: Über 100 m brauchte sie als erste Schweizerin in der 
Geschichte nur 10,95 Sekunden – trotz einer schwierigen Saison mit Trainer-Trubel.

Was ist also dieses Jahr drin 
für die Sprinterin, die mit Coach Steve Fudge ihr sportliches Glück gefunden zu haben scheint? «Ich habe keine Ahnung, wie schnell ich im Moment bin», sagt die Bernerin. «Ich habe ein gutes Gefühl, fühle mich wohl. Aber das allein heisst nicht, dass ich schnell bin.»

Kambundji fehlen die Vergleichswerte. «Letztes Jahr war der Aufbau anders, wir fangen später an, weil die WM in Doha erst im Oktober stattfindet.» Eine konkrete Zeit setzt sie sich darum nicht als Ziel. «Ich habe aber das Gefühl, dass ich schneller laufen kann als 10,95 Sekunden.»

Den ersten Test gibts am kommenden Wochenende in Nancy, danach startet Kambundji beim Prefontaine Classic im kalifornischen Stanford, ehe es auf Schweizer Boden erstmals ernst gilt: Am 5. Juli läuft sie bei Athletissima Lausanne.

Kambundjis Saisonplanung

22. Juni – Nancy (Fr) – 100 Meter
30. Juni – Prefontaine Classic in Stanford (USA) – 100 Meter
5. Juli – Athletissima Lausanne – 100 Meter / 4 x 100 Meter
9. Juli – Spitzen Leichtathletik Luzern – 100 Meter
3. August – Citius meeting Bern – 100 Meter
9. bis 11. August – Team-EM Bydgoszcz (Pol) – 100 Meter / 4 x 100 Meter
23. bis 24. August – SM Basel – 100 Meter / 200 Meter
29. August – Weltklasse Zürich – 200 Meter / 4 x 100 Meter
1. September – Gala dei Castelli Bellinzona – 100 Meter
28. September bis 6. Oktober – WM Doha (Katar) – 100 Meter / 200 Meter / 4 x 100 Meter

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