Blick: Alex Wilson, Sie schienen zwischenzeitlich abgetaucht. Und jetzt sind Sie plötzlich wieder da, am Samstag laufen Sie in Zofingen zum zweiten Mal in dieser Saison.
Wilson: Ja, ich bin Ende Mai aus dem Trainingscamp in Las Vegas zurückgekommen und habe am Tag nach der Landung bereits einen 100-m-Lauf gemacht. Ich dachte, ich bringe die Anfangs-Nervosität am besten gleich sofort hinter mich. Die Zeit war egal, ich wollte einfach wieder hören: «Auf die Plätze, fertig…» Es kribbelt wieder.
Sie waren zwischenzeitlich schwer erreichbar, weil Sie Ihr Handy verloren hatten. Wie lebt es sich ohne Telefon?
(lacht laut) Gut! Ich hatte meinen Laptop ja dabei, ich war nicht verloren. Aber jetzt habe ich ein neues Telefon, auch wenn mir das auch schon wieder runtergefallen ist und Schaden genommen hat.
Apropos Smartphone: Im letzten Herbst haben Sie sich aus den sozialen Medien verabschiedet…
…ich hatte meine Accounts nur deaktiviert. (lacht) Und jetzt habe ich Probleme, dass ich wieder aufgeschaltet werde. Ich kann mich nicht mehr einloggen.
Haben Sie Ihr Passwort vergessen?
Nein, das weiss ich alles noch. Aber es hiess plötzlich «User not found». Irgendwas ist da schief gelaufen. Aber bald bin ich wieder online, heute gab es gute Nachrichten!
Warum hatten Sie sich ausgeklinkt?
Ich wollte mich auf die Olympischen Spiele konzentrieren und nicht gucken, was die anderen machen. Und ich wollte nicht mehr erreichbar sein, ausser für die paar Leute, die meine Handynummer haben. So habe ich seit letzten September gelebt.
Wie war das?
Wissen Sie was? Ich habe nichts vermisst. Kein bisschen. Alle haben gefragt: «Warum ist der Wilson nicht mehr bei Instagram?» Manchmal brauchst du einen Schritt zurück im Leben und musst dich fragen: Was ist wichtig? Social Media ist für mich nicht wichtig. Ich habe das Gefühl, viele Menschen leben ein Social-Media-Leben, das mit ihrem wahren Leben gar nichts zu tun hat. Mein Sponsoren freuen sich aber, wenn ich in den sozialen Medien ab und zu etwas poste, darum bin ich jetzt wieder dabei. Hoffentlich!
Zeitgleich sind Sie letzten Herbst nach Jamaika ins Trainigslager gegangen, haben mit Ex-Weltmeister Yohan Blake trainiert. Wie war das?
Brutal. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich bin mir ja harte Arbeit gewöhnt, aber das war noch einmal ein neues Level. Wir haben da sechs Tage die Woche trainiert, jeden Tag pickelhart. Am Schlimmsten war der Samstag, nach fünf Tagen Training haben wir jeweils noch Hügelläufe gemacht. Da ist keiner ohne Kotzen durchgekommen. Nicht einmal Blake. Und der ist ein Biest.
Warum tut man sich so etwas an?
Weil man so auch zu einem Biest wird. Ich will ja bei Olympia etwas zeigen.
Im Winter ist ihr Trainer Lloyd Cowan an den Folgen einer Coronaerkrankung gestorben. Wie haben Sie diesen Tod verarbeitet?
Ich habe eines gelernt: Gott gibt und Gott nimmt. Menschen werden geboren, Menschen sterben. Es war ein heftiger Verlust.
Sie standen sich sehr nahe.
Ja, wir haben viel Zeit zusammen verbracht. Wir haben jeden Tag telefoniert. Wir hätten am Tag, an dem er gestorben ist, zusammen nach Jamaika fliegen sollen.
Wie geht es Ihnen heute damit?
Es ist ein halbes Jahr vergangen, ich habe mich damit abfinden können. Aber es ist heavy. Dass dieser Mensch einfach nicht mehr da ist. Man kann es nicht mehr ändern.