Roger Federer vs. Novak Djokovic, fünfzigste Auflage. Der sechsfache Australian-Open-Sieger aus der Schweiz gegen den siebenfachen Rekordsieger aus Serbien, Bilanz 23:26 – was für ein Halbfinal! Beide wollen hier in ihren achten Final – Federer in seinen insgesamt 32. Grand-Slam-Final, Djokovic in seinen 26. Das Stadion ist voll, die Spannung gross, wie der Publikumsliebling hier drauf ist. Denn das ist Federer ganz klar – wie überall, wo der 38-Jährige dieser Tage auftritt. Wie fit ist er? Hat er in zwei Tagen seine Adduktoren-Probleme in den Griff bekommen?
Bestechend startet Roger nicht in seinen 46. Grand-Slam-Halbfinal. Muss gleich zwei Breakbälle abwehren. Aber dann dreht er von Null auf Hundert auf, antizipiert und bewegt sich gut, zaubert unglaubliche Winner. Beide Spieler retournieren sensationell, weshalb sich phasenweise Break an Break reiht. Vorerst eines mehr für Federer.
Federer gibt Führung aus der Hand
Die Weltnummer 3 hat bei den heissen Temperaturen – um 20 Uhr zeigt das Thermometer noch 38 Grad! – einen effektiven Service. Bei 4:1-Führung hat er schon sechs Asse auf seinem Konto. Mehr als im Viertelfinal gegen Tennys Sandgren über fünf Sätze (5)...
5:2 – Federer serviert zum Satzgewinn. Alles sieht aus Schweizer Sicht bestens aus – doch es kommt, wie so oft gegen den 32-jährigen Serben: Die Führung schmilzt ab dem Moment wie die Zuschauer im stickigen Stadion. Der Djoker dreht auf, Roger schwächelt unter dem Druck, hangelt sich noch in den Tiebreak, den er 1:7 verliert! Ein Satzverlauf zum Haare raufen. 8:4 Asse, 7:6 Breakbälle, 26:10 Winner, aber eben auch 19:11 Fehler für den Schweizer.
Djoker wird dominanter
Noch schlimmer ist allerdings, was dann geschieht: Federer nimmt wieder ein medizinisches Time-Out. «Das mache ich nur sehr ungern», hatte der Mann, der an einem Grand Slam noch nie aufgegeben hat, schon nach dem vorherigen Drama-Sieg gesagt. Die Leistengegend muss also wieder schmerzen – hoffen wir, dass die entzündungshemmende Tablette schnell wirkt...
Sicher ist: Bei «Nole» wirkt die 1:0-Satzführung wie eine Motivationsspritze. Bei eigenem Aufschlag behält er im gesamten zweiten Durchgang eine reine Weste, gönnt seinem angeschlagenen Gegner, der wesentlich weniger Winner schlägt (nur 8), nicht einen Breakball. Federer hingegen lässt sich just zum Satzverlust breaken – 4:6.
Traum geplatzt
Die Stimmung in der «Rod Laver Arena» widerspiegelt Resignation. Jubelrufe sind vor allem noch von der serbischen Fan-Gruppe hinter der Djokovic-Box, in der auch Co-Trainer Goran Ivanisevic sitzt, zu hören. Aber deren Lärm reicht aus, um den 16-fachen Major-Sieger im Hoch zu halten. Im dritten Satz spielt er beinahe fehlerfrei. Das vorentscheidende Break fällt zum 2:4 – den Rückstand kann der Schweizer nicht mehr wett machen: 3:6!
Nach zwei Stunden und 18 Minuten enden die Aussie Open 2020 mit seiner achten Halbfinal-Niederlage in Melbourne, die vierte gegen Djokovic. Aus der Traum vom 21. Grand-Slam-Sieg für Roger! Alles andere wäre allerdings auch eine Überraschung gewesen, nachdem er zwei Fünfsätzer in den Knochen, im ersten einen 4:8-Match-Tiebreak umgedreht, im anderen sogar sieben Matchbälle abgewehrt hat. Irgendwann ist das Glück aufgebraucht. Und wie so oft ist das gegen Djokovic der Fall.
Der Serbe ist von Federers Kämpferwille beeindruckt. «Respekt für Roger, dass er überhaupt angetreten ist. Er war offensichtlich angeschlagen, das war sicher nicht einfach für ihn», sagt er nach dem Spiel. «Alles hätte sogar anders verlaufen können, wenn er die Breakbälle im ersten Satz gemacht hätte.»
Weil Rafael Nadal seinen Viertelfinal gegen Dominic Thiem verlor, hat der Serbe am Sonntag gegen den Österreicher oder Alexander Zverev (De) nicht nur die Chance auf den achten Titel, sondern auch auf die Rückeroberung des Tennis-Throns.