Breitner hält WM-Pokal nach 45 Jahren wieder in den Händen
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Weltmeister im Fifa-Museum:Breitner hält WM-Pokal nach 45 Jahren wieder in der Hand

Weltmeister Paul Breitner
«Mit Hoeness gibt es nichts auszusprechen»

Paul Breitner (67), Weltmeister 1974, über sein Revoluzzer-Image, den Knatsch mit Uli Hoeness und den Mainstream im heutigen Fussball-Business.
Publiziert: 12.03.2019 um 16:07 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2019 um 15:09 Uhr
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Bei Deutschland ist Breitner Stammspieler.
Foto: imago
Michael Wegmann (Interview) und Toto Marti (Fotos)

Paul Breitner strahlt wie ein Maienkäfer, als er den WM-Pokal im Fifa-Museum in die Höhe stemmt. «Ich werde ihn jetzt nicht küssen, das hab ich vor 45 Jahren auch nicht getan», sagt er.  Zwei junge Teenager schauen neugierig zu. «Ist das der Echte», fragt der eine. Er meint den Pokal, nicht Breitner. Der Weltmeister: «Ja. Ich kann ihn dir aber leider nicht geben.» Kurz davor wurde er von einem Fifa-Mitarbeiter informiert, dass nur Weltmeister den Pokal mit blossen Händen berühren dürfen. Ehre, wem Ehre gebührt.

BLICK: Wie fühlt er sich an, Herr Breitner?

Paul Breiter: Diesen Pokal zu halten ist der Höhepunkt für einen Fussballer. Mit nichts anderem vergleichbar.

Was kommt Ihnen in den Sinn?

Das unglaubliche Gefühl direkt nach dem Schlusspfiff, das war wie eine innere Explosion. Der grösste Moment in meiner Karriere. Ich denke auch an alles, was ich gemacht habe, wie ich mich geschunden habe, um so weit zu kommen. Ab 12 trainierte ich jeden Tag.

Das Ziel war immer dieser Pokal?

Nein. Aber irgendwann habe ich realisiert, dass ich mehr Talent habe als Millionen andere. Irgendwann sagte ich zu mir, so jetzt schauen wir mal, wie weit ich es bring.

Sie brachten es zum Welt- und Europameister, zum deutschen und spanischen Meister. Vor allem aber galten Sie als Fussball-Intellektueller und Querdenker mit Afro-Look.

Die Omas haben mich geliebt in meiner Sturm und Drang Zeit. Aber nur die Omas.

Warum gibt es im heutigen Fussball keine Typen mehr, wie Sie einer waren?

Ich wäre heute mit Sicherheit auch kein Typ. Ich wäre im gleichen Mainstream wie alle anderen auch.

Weshalb?

Weil ich mit meinem überragenden Talent als Elfjähriger genau so in den Fängen von einem oder zwei Beratern gelandet wäre. Die hätten mir gesagt: «Schnaufen!» «Nicht Schnaufen!» «Nicht verletzen!» Und das Wichtigste: «Ja nicht auffallen!»

Und keine Cola trinken, keine politischen Äusserungen?

Genau. All das hätte ich auch gemacht. Ich wäre auch da gelandet und hätte es nicht mal gemerkt.

Sie hätten sich auch Interviews umschreiben und sich die Schnauze verbieten lassen?

Davon gehe ich aus. Ich belüge mich doch nicht. Ich hätte heute nie die Möglichkeit, mich so frei und selbstständig  zu entwickeln. Damals konnte ich es und ich habe es gemacht. Mit dreizehn war ich erwachsen.

«Ich spiele gut und stopfe euch das Maul»

Haben Sie Mitleid mit den heutigen Fussballern?

Nein. Es ist der Zug der Zeit. Sie sind Popstars. Aber ich beneide auch keinen Popstar um sein Geld und seinen Job. Ich möchte keine Sekunde mit dem Fussballer von heute tauschen, selbst wenn ich hundert Millionen in der Stunde kriegen würde.

Sie haben einst gesagt, Sie hätten absichtlich provoziert, um in Ruhe gelassen zu werden. Ist das kein Widerspruch?

Ich begann erst zu provozieren, als ich merkte, dass meine Argumente, weshalb ich etwas sage, tue, oder lese, niemanden  interessiert. Man wollte mich nur katalogisieren. Immer schön in derselben Schublade – rein und raus, wie es grad passte. Als mir dies bewusst wurde, sagte ich mir: «Dann haue ich euch Sachen vor den Latz, dass es euch schlecht wird.» Dass dies dann immer wieder gegen hinten losging, ist was anderes.

Das war Ihnen egal?

Ich habs ausgehalten. Ich dachte: «Ich spiele immer wieder so gut und stopfe euch das Maul. Wenn ihr Frieden gebt, gebe ich auch Frieden.»

Warum steckten Sie in der Revoluzzer-Schublade?

Weil ich der erste Fussballer war, der alles hinterfragt hat, und der sich auch traute, nein zu sagen.

Was sagten Ihre Teamkollegen?

Einige sagten: Wir wissen ja, der Paul ist ein bisschen anders ist.

«Habe mich zu Tode gelebt»

Es heisst, Sie hätten Real Madrid nach zwei Jahren verlassen, weil es Ihnen in Spanien zu langweilig wurde. Stimmt das?

Nein, das ist totaler Schmarrn. Es stimmt aber, dass ich in der Vorrunde meines dritten und letzten Jahres bei Real um meine Freigabe gebeten habe. Dies obwohl wir zweimal Meister wurden und ich sensationell gespielt habe. Ich war wohl der erste Spieler, der freiwillig von Real weg wollte.

Warum?

Mir ging es da zu gut. Ich lebte mich in Madrid quasi zu Tode. Wir hatten nur 40 Spiele im Jahr, dafür acht Wochen Urlaub, um halb Elf fuhr ich zum Training,  um Zwei war ich wieder zurück. Ich hatte Sonne, meine Frau, meine Kinder, ein Haus mit Pool. Und die einzige Frage war: Gehen wir heute ins Kino, ins Theater oder woanders hin? Ich durfte nicht studieren, konnte nichts für mein Hirn tun. Franco-Zeit, Faschismus. Ich durfte keine Geschäfte tätigen, nichts. Ich musste raus.

Und man liess Sie einfach so ziehen?

Die wollten mich nicht gehen lassen, es hat ewig gedauert. Man hat mir einen Vierjahresvertrag hingelegt und bereits begonnen, ein Team um mich herum aufzubauen. Aber ich konnte nicht. Ich war an goldenen Ketten. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Derart schön, dass ich da raus musste.

Wie merkt man, wenn es einem zu gut geht?

Ich habs schnell gemerkt.

Sie lebten damals so wie viele Superstars heute?

Nein. Damals waren Fussballer noch ein Tabu. Ich konnte mit meinen Kindern rausgehen, niemand hat mich angepflaumt. Die Leute haben gelächelt, wenn sie mich gesehen haben, und sie haben gegrüsst. Aber sie wollten nichts von mir, ich konnte ein Leben führen wie andere auch. Das kann man sich nicht mehr vorstellen. Es war ein Traum. Heute brauchen die Spieler sogar Bodyguards für ihre Kinder.

Ganz einfach, ganz locker.

Bayern-Präsident Uli Hoeness hat Ihnen den Zutritt zur Ehrentribüne der Allianz-Arena verboten, nachdem Sie ihn öffentlich kritisiert haben. Haben sie sich versöhnt?

Was soll es da Versöhnung geben. Die Sache ist erledigt. Ich bin nie nachtragend. Wenn ich einen Schnitt mache, ist es ein Schnitt und fertig. Ganz einfach, ganz locker.

Ausgesprochen haben Sie sich also nicht?

Nein, da gibt es nichts auszusprechen. Was gesagt wurde, wurde im Fernsehen gesagt. Von seiner und von meiner Seite. Und wenn man so gegensätzlicher Meinung ist, dass der Verein denkt, er müsse handeln, dann soll er handeln. Und dann handle auch ich. Die Sache ist für mich erledigt.

Besuchen Sie noch Bayern-Spiele?

Vor einem Jahr war ich letztmals im Stadion. Wenn ich irgendwann mal wieder ins Stadion will – und diese Zeit wird kommen –, kaufe ich mir eine Eintrittskarte. Fertig. Ich bin mit dem Verein immer quitt gewesen.

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