BLICK: Gehen Sie noch täglich ins Büro?
Christian Constantin: Klar. Da ist ja sonst niemand mehr. Und ich bin ja alleine im Büro. Mit meinem ausgestopften Wolf…
Viel Arbeit?
Sehr viel Arbeit!
Aber das gilt nur für Ihr Architekturbüro.
Klar. Der Fussball existiert ja nicht mehr.
Was machen Sie derzeit konkret?
Da ich mehr Zeit habe, gehe ich wieder persönlich auf die Baustellen, um die Baufortschritte festzustellen, um eine Wohnung zu konzipieren. Etwas, das in normalen Zeiten immer meine Angestellten machten. Man erinnert sich da an die Anfänge seiner Karriere zurück.
Und was macht die Gesundheit?
Das ist das Wichtigste! Wenn Gott dir die Gesundheit lässt – den Rest kann man immer irgendwie zusammenkriegen.
Also: Wie geht es Ihnen?
Zur Zeit fasse ich Holz an! Ich hatte einen mühsamen Winter. Ich hatte alle Symptome des Virus. Husten, Atemnot, ich wachte deshalb mitten in der Nacht auf. Und als ich zu den Ärzten ging, fand keiner etwas. Ich habe das wohl in Zermatt über Weihnachten/Neujahr aufgelesen. Aber bevor alle darüber sprachen.
Also Covid-19?
Mit allem, was ich heute lese und sehe, schliesse ich das keineswegs aus. Ich habe deshalb den Test vor einem Monat gemacht. Aber ich war negativ. Was mich jetzt wunder nähme: Bin ich nun immun oder nicht?
Hatten Sie Angst?
Nein. Als die Pandemie schlimmer wurde, also Ende Februar, klangen die Symptome ab. Aber das Ganze schleppte sich über zwei Monate hin.
Sie sind ja kein Risikopatient.
Knapp nicht.
Sie sind der Intensivstation entgangen. Der FC Sion nicht.
Der gesamte Fussball liegt auf der Intensivstation! Alle gingen doch davon aus, der Fussball sei unverwundbar. Die Organisatoren der Eishockey-WM sichern sich mit einer Versicherung vor einer Pandemie ab. Wimbledon auch. Aber die Uefa und die Landesverbände haben keine Versicherungen abgeschlossen, trotz kolossaler Beträge, um die es wegen der TV-Rechte geht. Von den Klubverantwortlichen verlangt man zig Garantien. Doch die Verantwortlichen für die Meisterschaften machen ihren Job nicht, indem sie die nötigen Dispositionen für alle Notfälle nicht bedacht haben. Und wenn sie bei der Liga sagen, dass man keine Versicherung gefunden habe oder eine solche viel zu teuer sei, so lasse ich das nicht gelten.
Die Beispiele des Internationalen Eishockey-Verbands oder von Wimbledon belegen das. Jetzt ist der Druck riesig, diesen Fehler zu korrigieren, indem man die Gesundheit der Menschheit aufs Spiel setzt. Doch eigentlich geht das nicht! Man kann nicht von den Leuten verlangen, Abstand zu halten und sich die Hände nicht zu geben und im Fussball gleichzeitig in Manndeckung gehen. Man kann doch nicht sagen: Bei einem Corner gilt ein Mindestabstand von zwei Metern… Fussball ohne menschlichen Kontakt geht nicht. Weder auf dem Feld noch auf den Rängen. Man kann wohl Geisterspiele ansetzen. Aber wenn sich die Fans irgendwo verabreden wie bei PSG gegen Dortmund, ist die Katastrophe perfekt. Die Bevölkerung von Bergamo ist nach dem Spiel zwischen Atalanta gegen Valencia in Mailand dezimiert worden.
Aber es ist doch ein Unterschied, ob man eine Eishockey-WM oder Wimbledon versichert? Events, die zwei, zweieinhalb Wochen dauern. Oder Meisterschaften, die ein ganzes Jahr dauern.
Das spielt doch keine Rolle. Man muss nicht eine Dauer versichern, sondern schlicht einen Betrag. Wimbledon hat das als Folge der SARS-Krise 2003 gemacht, weshalb man bei einer Prämie von nicht ganz zwei Millionen Euro nun 130 ausbezahlt erhält. Es geht nur um Summen. Jetzt soll man bitteschön keine Entschuldigungen suchen.
Kann eine Fortsetzung in den Monaten Juli und August ernsthaft ins Auge gefasst werden?
Der Fussball kostet in unserem Land pro Monat rund 25 Millionen Franken. Ein Zwölftel von 300 Millionen, was eine ganze Saison kostet. Irgendjemand müsste diese 25 oder gar 50 Millionen zahlen. Und dann laufen die Spielerverträge Ende Juni aus. Die Spieler werden doch niemals für zwei Monate verlängern, sondern dir sagen, ich bleibe nur, wenn ich einen Vertrag über zwei Jahre erhalte. Und das wohl noch bei gleichbleibenden Löhnen, obwohl der Markt diese nicht mehr hergibt.
Sie haben immer gesagt, diese Meisterschaft sei tot.
Ich sage nicht, dass man sie nicht zu Ende spielen kann. Nur wäre das enorm kompliziert und teuer. Niemand leistet gratis Überstunden.
Also wäre es besser, diese Saison zu vergessen, und sich auf einen Neuanfang zu fokussieren?
Doch auch dieser wird enorm schwierig! Wo liegt die Wirtschaft heute? Am Boden. Wie soll man unter diesen Umständen in wenigen Wochen ein Budget für eine ganze Saison auf die Beine stellen. Unmöglich!
Wie wäre denn ein Neustart möglich?
Im Moment ist klar: Die Gesundheit gebietet über alles! Ich habe keine zeitliche Vision. Alles, was ich sehe, ist dass man Singapur hoch gelobt hat dafür, wie die mit der Pandemie umgegangen sind. Doch plötzlich kommt eine zweite Welle. Und nun haben die auch einen Lockdown.
Überlebt der FC Sion?
Man kann auch bei 30 cm Wasser ertrinken. Nicht nur bei 15 Metern. Für die Grossen ist es viel schlimmer. Manchester United droht ein Verlust von 150 Millionen. In der Schweiz ist es weniger. Deshalb sind wir auf der Intensivstation, aber noch nicht auf dem Friedhof.
Bei Ihnen sind allesamt auf Kurzarbeit.
Ja. Klar. Und als ich die Typen entliess, weil sie mit der Kurzarbeit nicht einverstanden waren, sandte ich auch ein Signal aus an alle anderen: Wenn wir Kurzarbeit nicht einführen, sind wir zu Entlassungen gezwungen. Wir wären ohne Kurzarbeit auf dem Friedhof gewesen. Drei, vier Monate volle Saläre ohne Einkommen – das steht kaum ein Klub durch. In einem guten Jahr mit Cupfinal und starken Transfers habe ich in der Periode Februar bis Juni 30 Millionen eingenommen. Jetzt ist es null. Denn ich werde von meinen Sponsoren nicht verlangen, dass sie in dieser Periode etwas zahlen sollen.
Sind alle auf hundert Prozent Kurzarbeit, auch wenn sie zuhause trainieren?
Na klar. Ich weiss ja nicht, ob sie trainieren.
Das wird doch kontrolliert?
Ja. Aber ich hatte mal einen Spieler, der in den Ferien auch ein GPS zuhause hatte, wie alle Spieler. Plötzlich hatte der unglaubliche Sprintintensitäts-Werte. Wissen Sie warum?
Nein.
Weil er das GPS seinem Hund umgehängt hatte…
Bei Basel haben die Spieler eine Lohnreduktion abgelehnt.
Sehen Sie? Es ist schwierig. Und wenn der FC Basel nun konsequent ist und seinen Spielern kündigt, verliert er die Transferrechte und damit viel Geld. Also geht das auch nicht.
Deshalb haben Sie vor allem Spieler mit auslaufendem Vertrag entlassen.
Klar. Jene mit auslaufendem Vertrag haben keinen Bilanzwert mehr. Einzig Rädelsführer Xavier Kouassi hatte noch einen weiterlaufenden Vertrag.
Das haben Sie alles von langer Hand geplant.
Ich hatte eine Strategie. Entweder sagen die Typen Ja und demonstrieren ihre Verbundenheit mit dem Klub. Oder sie sagen Nein. Und dann habe ich mit meinem Vorgehen die Gruppe gespalten. Nun haben bis auf fünf Spieler alle der Kurzarbeit zugestimmt. Zuletzt auch Ermir Lenjani, der sogar verlängern möchte. Und auch bei Christian Zock sind die Signale positiv.
Haben Sie einen Bundeskredit beantragt?
Es ist kompliziert… Das Prinzip dieses Kredits ist es, einem Sterbenden Sauerstoff zuzuführen.
Aber für ein KMU ist es ganz einfach.
Ja, aber nur bis zu einem Kredit von 500 000 Franken. Wenn man einen Kredit von zehn Prozent seines Umsatzes beantragt, denn eine halbe Million reicht nirgends hin, dann ist das nicht so einfach. Das sind im Moment mehr Worte als Taten.
Die Bilanz schätzt ihr Vermögen auf 275 Millionen Franken. Sie selber haben mal gesagt, dass Sie bis eine Milliarde ihr Eigen nennen. Für Sie wäre die Rettung des FC Sion ein Klacks.
Es ist schwierig jemanden zu sagen: Okay, ich gebe dir ein Stück Land, damit ist deine Rechnung bezahlt…
Aber Sie haben Geld nicht nur in Immobilen?
Nein. Aber man soll damit aufhören. Ich bin in der Lage Geld zu verdienen, wenn ich voll arbeiten kann. Wenn nicht, verdiene ich auch nichts.
Aber ich spreche nicht von Ihrem Einkommen, sondern von Ihrem Vermögen.
Wir gehen nun durch eine Gesundheitskrise hindurch. Aber die zweite Krise, die wir werden überstehen müssen, wird kein bisschen einfacher sein: Die Wirtschaftskrise, die folgt. Die wird uns jahrelang gefangen halten.
Nochmals: Ich spreche von Ihrem Vermögen.
Wenn man dieses mal weggeworfen hat, ist es weg. Und das werde ich nicht tun.
Und es in den Fussball zu investieren, heisst, es wegzuwerfen?
Das habe ich nicht gesagt. Aber ich will mit meinem Vermögen nicht für die Fehler Anderer zahlen.
Wie sieht die Welt nach Corona aus?
Das Bruttoinlandprodukt wird prozentual auf dem Niveau von 1946 sein. Wir werden vernünftiger werden müssen. Sich nicht immer über alles und jeden aufregen und deswegen die Justiz anrufen. Da muss mehr gesunder Menschenverstand her. Im Fussball auch. Da muss wieder mehr echte Leidenschaft her und kein Streben nach Gigantismus, vor allem finanziellem.
Aber Sie sind doch der Erste, der die Justiz für alles Mögliche behelligt?
Wenn ich meinen Standpunkt durchsetzen will, brauche ich klare Linien. Und wenn man so viele unternimmt wie ich, steigt auch die Gefahr von solchen Dingen.
Soll man baldmöglichst wieder mit Fussballspielen beginnen. Mit Geisterspielen?
Ich habe mir drei solche Spiele angetan. Da schaue ich lieber E-Sports. Geisterspiele sind wie Trainingsspiele. Damit muss man sofort aufhören. Denn das bedeutet, das Produkt Fussball zu töten. Vielleicht muss man den Fussball wirklich ruhen lassen, wie ein grosser Sänger, der nicht jedes Jahr eine Tournee macht. Um dann stark zurückzukehren und die Lust der Menschen auf echten Fussball zu befriedigen. Fussball ohne Fans ist lächerlich. Und das wird nur deshalb ins Auge gefasst, weil einige den Job nicht gemacht haben.
Und ein Restrisiko bliebe. Ein Fall - und die Meisterschaft ist wieder tot.
Man kann doch einem Fahrlehrer nicht verbieten, seinen Job auszuüben, weil ein Meter neben ihm jemand sitzt. Und gleichzeitig 22 Spieler wie die Verrückten neunzig Minuten aufeinander loslassen. Es gibt kein Gesetz für den Fussball. Die politischen Behörden entscheiden, wann wieder gespielt wird. Fussball ist ein Fest. Heute ist nicht der Moment für Feste. Also gibt es derzeit keinen Fussball. Es darf ihn erst wieder als Hundert-Prozent-Fussball geben. Ohne Kompromisse.