Ralf Rangnick erklärt seine Philosophie im «Sportstudio»
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Anfänge des Fussballprofessors:Ralf Rangnick erklärt seine Philosophie im «Sportstudio»

Ralf Rangnick hat dem österreichischen Fussball neues Leben eingehaucht
«Wir sind auf Augenhöhe mit der Schweiz»

Ralf Rangnick hat Bayern München abgesagt. Weil seine Mission in Österreich noch nicht beendet ist.
Publiziert: 04.05.2025 um 20:22 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2025 um 22:21 Uhr
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Taktikfuchs: Ralf Rangnick gilt als der Fussballprofessor schlechthin.
Foto: Sven Thomann

Darum gehts

  • Ralf Rangnick prägte Trainer- und Spielerkarrieren mit der Red-Bull-Schule
  • Rangnick lehnte lukratives Bayern-Angebot ab, um Österreich zur WM zu führen
  • Sieben Bundesliga-Trainer haben unter Rangnick in Hoffenheim oder Leipzig gearbeitet
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Der österreichische Nationaltrainer Ralf Rangnick hat die immer wieder zitierte «Red-Bull-Schule» erfunden und damit unzählige Trainer- und Spielerkarrieren geprägt. Und der 66-jährige Schwabe gilt seit einem legendären Auftritt im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF vor 26 Jahren als Taktikfuchs und Fussballprofessor. Das Interview mit dem Mann, der die Entwicklung des heutigen Hochgeschwindigkeitsfussballs mit beeinflusst hat.

Blick: Ralf Rangnick, Sie haben die österreichische Nationalmannschaft in den letzten zweieinhalb Jahren wachgeküsst. Zuletzt gab es aber einige Unruhe. Der abgetretene Verbandspräsident hat gesagt: Ralf Rangnick ist ein schwieriger Mensch. Sind Sie das?
Ralf Rangnick: Führungskräfte, die klare Vorstellungen haben, sind nie ganz einfach. Gerade als kleines Fussballland muss man jedem Detail Beachtung schenken und einige Dinge besser machen als die Grossen. Man muss im Team und im Umfeld absolut professionell sein und darf keine Kompromisse eingehen. Das kann für gewisse Leute anstrengend sein.

Ihnen wurde der Fussball in die Wiege gelegt, haben Sie einst gesagt. Woraus ziehen Sie diese Erkenntnis?
Ich wurde am 29. Juni 1958 geboren. Meine Mutter Erika ist ein grosser Fussballfan. An diesem Tag fand der WM-Final zwischen Brasilien und Schweden statt. Dort hatte der 17-jährige Pelé seinen grossen Auftritt. Meine Mutter hat sich über die Geburt ihres Sohnes gefreut, aber gleichzeitig gehadert, dass sie dieses Spiel verpasst hat.

Und als Sie laufen konnten, haben Sie mit dem Fussball begonnen.
Ja, wie so viele.

Wie sind Sie denn zum Taktikfuchs geworden?
Ich war als Spieler in der 2. und 3. Liga immer defensiver Mittelfeldspieler und musste den Spielmacher des Gegners abmelden. Und ich habe mich dann immer gewundert, dass ich für diese destruktive Spielweise noch gelobt wurde. Ich habe damals schon gespürt, dass es auch anders gehen könnte. Aber es war die Zeit von Franz Beckenbauer, der für sich ja die Libero-Position ins Leben gerufen hat. Die Viererkette ist die Verliererkette, hat Beckenbauer immer gesagt.

Das ist Ralf Rangnick

Ralf Rangnick (66) stammt aus Backnang bei Stuttgart (D). Seine Spielerkarriere ist eher bescheiden, dafür absolviert er neben seinem Studium sämtliche Trainerlehrgänge im Eilzugstempo. Als Trainer von Ulm wird er nach einem legendären Auftritt an der Taktiktafel im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF vor mehr als 25 Jahren zum deutschen Fussballprofessor erkoren. Er wird später Trainer beim VfB Stuttgart, in Hannover und in Schalke. Dann führt er Hoffenheim in die Bundesliga. Als Sportdirektor von Red Bull macht er Salzburg zum Serienmeister und führt Leipzig in die Bundesliga. Er gilt als Begründer der einheitlichen Fussballphilosophie von Red Bull. Nach einem Engagement als Trainer von Manchester United wird er 2022 Nationaltrainer von Österreich. Im vergangenen Sommer hat er ein Angebot von Bayern München ausgeschlagen, weil er sich mit Österreich für die WM 2026 qualifizieren möchte. Rangnick hat zwei erwachsene Söhne. Sein Lebensmittelpunkt ist in der Region Salzburg. Er ist mittlerweile aber auch regelmässig in Zürich anzutreffen. Grund dafür ist seine Zürcher Freundin Ivana Fritz. Seine neue Partnerin ist Geschäftsfrau und Inhaberin der Agentur Home of Leaders. 

Ralf Rangnick (66) stammt aus Backnang bei Stuttgart (D). Seine Spielerkarriere ist eher bescheiden, dafür absolviert er neben seinem Studium sämtliche Trainerlehrgänge im Eilzugstempo. Als Trainer von Ulm wird er nach einem legendären Auftritt an der Taktiktafel im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF vor mehr als 25 Jahren zum deutschen Fussballprofessor erkoren. Er wird später Trainer beim VfB Stuttgart, in Hannover und in Schalke. Dann führt er Hoffenheim in die Bundesliga. Als Sportdirektor von Red Bull macht er Salzburg zum Serienmeister und führt Leipzig in die Bundesliga. Er gilt als Begründer der einheitlichen Fussballphilosophie von Red Bull. Nach einem Engagement als Trainer von Manchester United wird er 2022 Nationaltrainer von Österreich. Im vergangenen Sommer hat er ein Angebot von Bayern München ausgeschlagen, weil er sich mit Österreich für die WM 2026 qualifizieren möchte. Rangnick hat zwei erwachsene Söhne. Sein Lebensmittelpunkt ist in der Region Salzburg. Er ist mittlerweile aber auch regelmässig in Zürich anzutreffen. Grund dafür ist seine Zürcher Freundin Ivana Fritz. Seine neue Partnerin ist Geschäftsfrau und Inhaberin der Agentur Home of Leaders. 

Ralf Rangnick hat das dann geändert?
Nicht ich allein. Aber mir war immer klar, dass dies nicht die Zukunft des Fussballs sein kann. Ich habe dann neben meinem Studium mit 19 Jahren den Trainerschein gemacht, mit 21 die A-Lizenz und mit 25 die Uefa-Prolizenz. Ich war immer der Jüngste. Dann hat mich mein Heimatverein Backnang angefragt, ob ich Spielertrainer werde. Wir sind dann zweimal aufgestiegen. In einem Winter war Dynamo Kiew in Stuttgart im Trainingslager. Wir wurden kurzfristig angefragt, ob wir für ein Testspiel zur Verfügung stehen. Ich habe mit dem Team den Platz vom Schnee befreit, und es ging los.

Und dann?
Dann haben die Kiewer mit Trainer Waleri Lobanowski in den ersten zehn Minuten ein Pressing gespielt, wie ich es noch nie gesehen habe. Ich habe gedacht, dass wir zwei Spieler weniger auf dem Platz haben, und habe in den ersten Minuten zweimal durchgezählt. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Später war auch Arrigo Sacchi mit der AC Milan prägend. Deren Spielweise habe ich mir sehr genau angeschaut.

Wie kamen Sie zum Attribut «Fussballprofessor»?
Ich war Trainer in Ulm. Wir sind in die 2. Bundesliga aufgestiegen und waren nach einigen Spielen Leader. Bei einer TV-Reportage hat der Kommentator vom Fussballprofessor gesprochen. Ich wurde dann zum ersten Mal ins «Aktuelle Sportstudio» eingeladen.

Und haben den Deutschen 1998 an der Taktiktafel den Fussball erklärt.
Ich habe nicht gewusst, dass so etwas geplant war, und es war damals auch nicht üblich, dass in einem TV-Studio eine Taktiktafel steht. Aber ja, da habe ich meine Philosophie erklärt, und den Titel Professor bin ich nicht mehr losgeworden. 

Später haben Sie Hoffenheim auf direktem Weg von der 3. Liga in die Bundesliga geführt.
Der Geldgeber Dietmar Hopp hat mich geholt und gesagt, er möchte in den nächsten zehn Jahren in die Bundesliga. Wir haben es früher geschafft. Die sechs Jahre in Hoffenheim waren eine tolle Zeit. Da haben wir in der Provinz Grosses aufgebaut.

Wie kam dann der Wechsel ins Imperium von Red Bull zustande?
Nach Schalke war ich ausgebrannt und habe ein Sabbatical gebraucht. In Salzburg wurde der heutige FCZ-Trainer Ricardo Moniz entlassen. Dann hat mich Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz angerufen. Und wollte mich nach Salzburg holen. Ich habe abgesagt. Und ihm erklärt, dass sie alles falsch machen. Er hat mich dann nach Tipps gefragt, und wir haben zwei Stunden diskutiert. Ich habe ihm dann eine einheitliche Spielphilosophie und die konsequente Förderung junger Spieler vorgeschlagen. Dann war ich Sportdirektor für die Klubs in Leipzig und in Salzburg.

Was lief denn im Red-Bull-Imperium falsch?
Salzburg hatte ein Durchschnittsalter von 30 Jahren, Leipzig spielte in der 4. Liga. Die ersten Transfers, die ich in Salzburg gemacht habe, waren die jungen Sadio Mané, Kevin Kampl, Dayot Upamecano und Naby Keïta. Später kam auch Erling Haaland. Wir wurden Serienmeister. Und mit Leipzig gelang der Aufstieg in die Bundesliga.

Sie waren neun Jahre bei Red Bull. Wie würden Sie die viel zitierte Red-Bull-Schule in wenigen Sätzen umschreiben?
Es gibt zwei Kennzahlen. Die Statistik besagt, dass man acht Sekunden Zeit hat, einen verlorenen Ball zurückzuerobern. In dieser Zeitspanne ist die Chance am grössten. Und die Statistik sagt auch, dass die meisten Tore innerhalb von zehn Sekunden nach einem Ballgewinn fallen. Danach nimmt die Chance exponentiell ab. Pressing und schnelles Umschaltspiel sind demzufolge die wichtigsten Erfolgsfaktoren.

Ihr Spieler Christoph Baumgartner hat im Spiel gegen die Slowakei nach knapp sieben Sekunden das schnellste Tor der Länderspielgeschichte erzielt. Geplant?
Wir studieren jeden Gegner intensiv. Auch, wie er sich beim Anspiel aufstellt. Wir versuchen sofort den ersten Überfall. Natürlich, es braucht auch immer etwas Glück. Aber wenn ich mir ein Fussballspiel anschaue und die anspielende Mannschaft den Ball erst mal zum Torhüter zurückspielt, dann schüttle ich schon den Kopf.

2018 gab es die Schlagzeile, dass die Bundesliga von der «Rangnickisierung» erfasst würde. Ein Kompliment, oder?
Ja, sicher. In dieser Saison waren sieben Trainer in der Bundesliga, die bei mir in Hoffenheim oder in Leipzig gearbeitet und gelernt haben. Es bereitet mir auch heute noch Freude, wenn von mir ausgebildete Trainer – wie zum Beispiel Sebastian Hoeness – erfolgreich arbeiten.

Sie hatten schon eine Offerte der AC Milan. Und im letzten Sommer waren Sie der Wunschkandidat als Trainer von Bayern München. Sie hätten in drei Jahren kolportierte 30 Millionen verdienen können. Ein Mehrfaches Ihres Gehalts in Österreich. Warum haben Sie abgesagt?
Ich hatte bei diesem Thema eine schlaflose Nacht. Ich hätte da wegen der EM-Endrunde mit Österreich zweieinhalb Monate ein Doppelmandat gehabt. Das geht nicht. Seit 28 Jahren ist Österreich bei keiner WM-Endrunde mehr dabei gewesen. Dieses Ziel möchte ich mit der neu entstandenen Dynamik und Euphorie noch erreichen. Das erste Qualifikationsspiel gegen Rumänien war in wenigen Tagen ausverkauft. In unserer Kabine hängt immer unser Motto: MANNSCHAFFTALLES. In dieser Wortkombination steckt alles drin. Wir sind so eingeschworen und auf einer Linie, dass wir eher wie eine Klubmannschaft als wie eine Nationalmannschaft funktionieren.

Sie gelten auch als kompetente Führungsfigur und toller Motivator. Was ist das Erfolgsrezept?
Man muss jeden Einzelnen auf eine Reise mitnehmen. Meine Spieler müssen spüren, dass man sich für sie interessiert. Auch die Verletzten und diejenigen, die nicht aufgeboten sind. Wir stehen mit allen in einem engen Kontakt.

Und wie motivieren Sie?
Vor der EM-Endrunde in Deutschland haben wir jedem Spieler einen Karabinerhaken mit eingraviertem Namen und dem Datum des Eröffnungsspiels und des Finalspiels geschenkt. Als Symbol dafür, dass man sich wie beim Bergsteigen gegenseitig absichern muss, dass sich jeder auf den anderen verlassen können muss. Wir haben auch für jeden Spieler ein mehrseitiges persönliches Büchlein angefertigt. Mit Geschichten und Fotos nur über ihn. Diese Büchlein hatte jeder beim EM-Start auf dem Kopfkissen. So viel Wertschätzung macht etwas mit den Menschen. Das bewegt sie und spornt sie zu Höchstleistungen an.

Ihr Lebensmittelpunkt ist zurzeit in Salzburg. Was haben Sie an Österreich lieben gelernt?
Die Natur, den Schnee, das Essen. Und den Schmäh der Leute.

Das gibt es in der Schweiz alles auch. Könnten Sie sich den Job als Schweizer Nationaltrainer vorstellen?
Diese Frage stellt sich nicht. Die Schweiz hat ja einen Nationalcoach. Anfang Mai habe ich mit Murat Yakin in Bern übrigens einen gemeinsamen Talk.

In der Schweiz hat man fussballerisch die Nase lange weit vor Österreich gehabt. Mittlerweile ist Österreichs Fussball mindestens auf Augenhöhe.
Das würde ich auch sagen.

Welche Beziehung haben Sie zur Schweiz?
Ich kenne viele Leute. Beispielsweise Peter Zeidler, der bereits im Nachwuchsbereich in Stuttgart und später auch in Hoffenheim mein Assistent war. Ich kenne auch Enrico Maassen, den Trainer in St. Gallen. Ihn wollte ich einst als Assistenten mit zu Manchester United nehmen. Aber es gab leider Probleme mit der Arbeitsbewilligung.

Wie wird sich der Fussball in den nächsten Jahren verändern?
Die künstliche Intelligenz wird eine Rolle spielen. In England haben Brighton, Brentford und Nottingham begonnen, Trainer, Spieler und Mitarbeiter in erster Linie aufgrund von Daten und Algorithmen einzustellen. Alle drei Mannschaften spielen mit vergleichsweise bescheidenem Budget in der oberen Tabellenhälfte mit. 

Wenn Sie im Weltfussball etwas ändern könnten, was wäre das?
Die letzten zwei Fifa-Präsidenten kommen aus dem Wallis. Der nächste wird wohl auch ein Walliser sein. Das sind gute Geschäftsleute. Aber die Zitrone wird viel zu stark ausgepresst, der Spielplan ist viel zu aufgebläht, was auch ein grosses Verletzungsrisiko birgt. Zwei Monate nach der WM-Endrunde 2026 müssen die Mannschaften in der Nations League innerhalb von zehn Tagen vier Spiele absolvieren. So geht es einfach nicht.

Teamspirit, Taktik und individuelle Klasse sind die wichtigsten Zutaten für den Erfolg. Welcher Bereich hat prozentual die grösste Bedeutung?
Das kann man so in Prozenten nicht absolut sagen. Aber es liegt auf der Hand: Je geringer die individuelle Klasse in einem Team ist, desto wichtiger werden der Teamspirit und die taktische Ausrichtung.

Welches Spiel war das grösste taktische Husarenstück in der Trainerkarriere des Ralf Rangnick?
Das war das Auswärtsspiel im Viertelfinal der Champions League mit Schalke bei Inter Mailand vor einigen Jahren. Die waren individuell ganz klar stärker. Nach einem Fehler von Manuel Neuer lagen wir schnell 0:1 hinten. Danach haben wir Inter überrollt und ihnen keine Chance mehr gelassen. Wir haben 5:2 gewonnen und uns dann für die Halbfinals qualifiziert. 

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