Herr Vogel, wie war die erste Nacht wieder im eigenen Bett?
Erich Vogel: Ich habe gut geschlafen. Aber als ich das erste Mal erwachte, dachte ich tatsächlich noch, dass ich in der Kiste bin.
Am 12. September wurden Sie verhaftet. Was lief genau ab?
Ich wartete auf einen Anruf von Spielerberater Peter B. und wollte in die Stadt. Als ich aus dem Haus kam, steuerten drei riesige «Fetzen» auf mich zu – sie hatten direkt gegenüber parkiert. Ich glaubte an eine Entführung und dass meine Frau dann auf Lösegeld erpresst wird. Blitzartig überlegte ich: «Läck mir, meine Frau ist nicht zu hause. Die gehen nachher auf sie los, was mache ich nur?» Als sich die drei als Kantonspolizisten zu erkennen gaben, atmete ich auf. Aber auch das hat sich dann schnell wieder geändert...
Weil Ihr Haus durchsucht wurde.
Ja. Man sagte mir gar nicht, dass ich verhaftet werde. Das kam erst zum Schluss. Ich führte die Polizisten in mein Haus, sie durchsuchten alles ganz sachte. Ich fragte sie, was sie denn haben wollen. Es gehe um Dokumente von Spielerberater Peter B., sagten sie mir. Mit einem Griff fand ich diese und gab sie ihnen. Daraufhin wurde ich verhaftet.
Konnten Sie wenigstens noch frische Kleider einpacken?
Nein. Gar nichts. Ich hatte keine Chance, überhaupt noch etwas zu tun.
Auch Ihrer Frau konnten Sie nicht Bescheid geben?
Nein, sie erlaubten mir vorerst nicht, sie anzurufen. Im Gefängnis durfte ich dann ausnahmsweise kurz mit ihr telefonieren. Ich sagte den Polizisten: Sie wartet die ganze Nacht zu Hause auf mich und weiss nicht, warum ich nicht nach Hause komme. Und ihr es von einem Anwalt, den sie nicht mal kennt, ausrichten zu lassen, das geht doch nicht. Also wurde mir gestattet, es ihr kurz zu erklären.
Wie hat Sie auf Ihre Verhaftung reagiert?
Ganz ruhig. Sie fragte noch: «Ists schlimm?» Meine Antwort: «Nein, nein, kein Problem.»
Sie waren im Gefängnis Zürich am Helvetiaplatz. Aber erst kamen Sie ins Propog, das provisorische Gefängnis. Die Wände da sollen ganz schön dünn sein.
Ja, das ist so. Ich kam in die Zelle, es war ein Zweier-Schlag mit einem Kajütenbett, also eines oben und eines unten. Ich legte meine Sachen unten aufs Bett und wurde zur Einvernahme abgeholt. Als ich zurückkam, lag einer in meinem Bett... Ich sagte den Wärtern: «Ihr habt mich in die falsche Zelle gebracht.» Dem war aber nicht so. Ich sollte dann oben schlafen, schaffte es aber fast nicht, hinaufzuklettern. Es hatte keine Treppe. Der andere im Bett erwachte dann und sagte mir: «Hello!»
Was war das für ein Mithäftling?
Ein Amerikaner. Da dachte ich mir, wenigstens kann ich jetzt zwei Tage mein Englisch aufpolieren.
Was hatte der denn verbrochen?
Er hat mir die Story mehrfach erzählt. Er sei 71 Jahre alt, bald in 100 Ländern gewesen. Nun kam er in die Schweiz und hat offenbar sein Visum, sagen wir mal, leicht angepasst.
Schliefen Sie gut?
Ja, von der ersten Nacht an. Kein Problem. Das war eigentlich die grosse Überraschung.
Wussten Sie von Anfang an, dass Ihnen Mittäterschaft wegen Erpressung an YB-Sportchef Fredy Bickel zur Last gelegt wird?
Nein. Es kam für mich völlig überraschend. Logisch, ich wusste, dass die Polizei die Dokumente von Peter B. in meinem Haus suchte, da ich sie für ihn aufbewahrte. Ich dachte immer, Bickel und B. finden zusammen eine Lösung bei ihren Diskussionen. Wenn nicht, dann sollte ich zwischen den beiden vermitteln. Zusammen mit Bickels Anwalt Daniel Glasl.
Peter B. wollte 131 000 Franken von Bickel für die Herausgabe von den heissen Dokumenten.
Sehen Sie: Beide betitelten mich als Lehrmeister. Wenn zwei ehemalige Angestellte von mir Krach haben, dann vermittle ich. Das war meine Rolle. Und diese Rolle habe ich in meinem Leben bestimmt schon hundert Mal bei anderen Ex-Mitarbeitern gespielt. Aber ich hielt mich stets im Hintergrund. Bickels Anwalt Glasl rief mich dann etwa fünf Mal an und bat mich um Mithilfe.
Warum waren denn die Dokumente bei Ihnen gelagert?
Als in Bern 2002 alles drunter und drüber ging, fragte Peter B. mich, ob ich die Papiere für ihn aufbewahren kann. Falls ihm irgendwann mal irgendetwas passiert. Aber was in den letzten Wochen passierte, verstand ich am Anfang überhaupt nicht. Ich habe mir im Gefängnis dann den Fall Stück für Stück zusammengesetzt. Und notiert.
Auf Papier?
Ja, ich habe etwa achtzig Seiten davon im Gefängnis vollgeschrieben. Hier haben Sie einige Beispiele (zieht handgeschriebene Notizen hervor).
Wie kamen Sie ans Papier?
Da gibt es im Gefängnis so etwas wie einen Kiosk mit Papier, Äpfeln und Bananen. Man konnte es kaufen. Und TV zu schauen kostete einen Franken pro Tag.
Wie haben Sie bezahlt?
Man hat mir am Anfang 195 Franken abgenommen, die ich dabei hatte. Sie nehmen dir ja alles weg. Aber wenn du bei der Festnahme kein Geld hast, dann bekommst du auch am Kiosk nichts.
Was sahen Sie sich am TV an?
Die Tagesschau und Fussball. Und einmal sah ich Giacobbo/Müller am Sonntagabend und kam selber in der Sendung vor. Das war schräg, ich habe herzhaft gelacht.
Wie war das Essen?
Mein Problem war, dass auf meine Zellentüre ein V geschrieben stand. Ich dachte: «Komisch, wollen die allen mitteilen, dass der Vogel hier sitzt?» Aber das V stand für Vegetarier. So bekam ich – als Metzgersohn – die ersten drei Tage nur Gemüse, bis ich den Irrtum aufklären konnte.
Wie oft durften Sie die Zelle verlassen?
Eine Stunde am Tag. Aber da kannst du nicht viel gemeinsam machen. Ausser duschen.
Konnten Sie Sport machen?
Ja, alles, was man in einer Zelle machen kann. Kurze Sprints, Hüpfen, Wendungen, Dehnübungen. Ich war pflotschnass jeweils.
Durften Sie danach duschen?
Zwei Mal in der Woche war Dusch-Tag, vier Mann zusammen. Aber ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, da habe ich gar kein Problem damit. Ich bin übrigens in der Nähe des Gefängnisses am Helvetiaplatz oft in eine Turnhalle gegangen als Kind. Dass da eine «Chischte» steht, wusste ich gar nicht ...
Zum Coiffeur durften Sie im Knast nicht?
Sie sagten mir, ich dürfe mir die Haare selber abschneiden. Oder am Mittwochnachmittag würden sich die Häftlinge auf meiner Etage gegenseitig die Haare schneiden. Da verzichtete ich darauf – nach meiner Entlassung kam mein Coiffeur dann zu mir.
Wie waren die Wärter?
Sehr zuvorkommend. Am Ende kannten mich alle, sie konnten im Gegensatz zu mir ja Zeitung lesen. Natürlich ist es ein straffes Regime. Man muss die Uhr abgeben, und man kriegt keine Fachbücher. Ich lernte einen 20-jährigen Studenten kennen, der durfte seine Unterlagen fürs Semester nicht haben. Man will nicht, dass über Bücher geheime Botschaften ins Gefängnis kommen. Es müsste ja jede Seite kontrolliert werden. Aber es wurde mir nie langweilig: Ich hatte 500 bis 600 Seiten Akten zu lesen. Mein Kenntnisstand am Anfang der Haft war keine zehn Prozent von dem, was er jetzt ist. Was interessierte mich im Jahr 2002 der Fall YB? Wir waren im Abstiegskampf mit dem FC Zürich damals!
Sind Sie enttäuscht von Ihrem Zögling Fredy Bickel?
Grundsätzlich ist Bickel ein guter Mann. Das hat er bei YB und dem FCZ bewiesen. Mir scheint, dass der Fall irgendwann ausser Kontrolle geriet. Alles nahm eine Eigendynamik an, die ich nicht kommen sah – und Fredy Bickel vielleicht auch nicht.
Also sind Sie ihm nicht böse?
Schauen Sie: Ich bin ja auch kein Chorknabe. Aber wenn wegen mir jemand im Gefängnis landen würde, dann würde mich das persönlich extrem belasten. Ich bin froh, dass wegen mir noch nie einer auch nur eine Stunde in U-Haft war. Man nimmt einem Menschen, der vielleicht Frau und Kinder hat, die Freiheit.
Lesen Sie morgen Teil 2: «So lernte ich Fredy Bickel kennen»